Totaler Absturz nach der totalen Idylle

Landwirtschaft

Wertewandel in der Gesellschaft

Wegweisend für die ganze Internationale Grüne Woche hatte sich die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft am Mittwoch auf ihrer Wintertagung um das Thema Wertewandel in der Gesellschaft gekümmert und die Frage gestellt, wie die Bauern sich künftig positionieren sollen?
Das Thema hat für Mastbetriebe mittlerweile einen höheren Stellenwert erhalten als die Tageszunahmen ihrer Tiere, sagte Hubertus Paetow, Landwirt in Mecklenburg-Vorpommern und Vorsitzender des DLG-Ausschusses für Betriebsführung.

Wandel bei Landwirtschaft und Gesellschaft

Während vor 50 Jahren die meisten Menschen noch eine verwandtschaftliche Beziehung in die Landwirtschaft hatten, sind Bauern und Nicht-Bauern heute deutlich mehr voneinander getrennt. Es gibt aber, so erläuterte Christian Dürnberger von der Hochschule für Philosophie München und Wissenschaftler am Institut für Technik-Theologie-Wissenschaft, weder „Die“ Landwirtschaft noch „Die“ Gesellschaft.
Außerdem werde heute mehr von der Landwirtschaft erwartet als vor 100 Jahren. Damals stand die Nahrungsmittelproduktion im Vordergrund, heute sind Umwelt und Artenschutz hinzugekommen. In der Zwischenzeit haben die Menschen erst die „Zerbrechlichkeit der Natur entdeckt“ und die Tierhaltung rückte später in den Mittelpunkt der Sozialethik. Als jüngste Entwicklung hat Dürnberger die Entdeckung des „ländlichen Raums“ ausgemacht, um den sich lange Zeit kaum jemand ernsthaft gekümmert hat und heute in der Agrarpolitik ein Kernthema besetzt.
Die Kommunikation von Zahlen und Daten reiche für eine Kommunikation mit den Verbrauchern nicht aus. Sie wollen auch Werte vermittelt bekommen, die sie mit der Landwirtschaft und Natur verbinden. Schon in der Antike gab es den „einfachen Hirten“ als sehnsüchtigen Gegenentwurf zu dekadenten Senatoren. Das „bäuerliche“ wurde schon immer mit Einfachheit, Ursprünglichkeit und Natur bebildert, wobei auch die literarischen Helden wie Homer die mühevolle Arbeit der bäuerlichen Existenz verschwiegen.
Gegen diese Bilder verstößt eine hochmoderne Landwirtschaft. Technik findet in der Werbung und auf Bildern gerade einmal noch als Traktor statt, aber nicht mehr als computergeführten Melkstand. Das Agrarmarketing mache sich diese Sehnsüchte zunutze. Dem Vorwurf, zu viel Idyll abzubilden, steht aber entgegen, dass die Nahrung nicht mit einem Auto verglichen werden kann. Bei diesem symbolisiert gerade die hochmoderne Technik die Weiterentwicklung durch technischen Fortschritt. Aus diesem Dilemma für die Landwirtschaft ist schwer herauszufinden. Auf zu realitätsfremde Vorstellungen sollte die Branche verzichten, rät Dürnberger.

Warum es investigativen Journalismus gibt

Diese Meinung teilt auch Kersten Schüßler, der für investigative Magazine wie Wiso oder Panorama produziert. „Der totalen Idylle folgt ein totaler Absturz“, heißt sein Fazit nach 15 Jahren Fernseherfahrung.
Zwar dürfe sich die Landwirtschaft freuen, zu einem Medienthema geworden zu sein, aber sie müsse auch das Mediengesetz ertragen, dass nur eine schlechte Nachricht eine gute Nachricht ist.
Die Journalisten befinden sich in der Rolle des Zuschauers. Sie greifen irgendeinen interessanten Anfang auf und recherchieren dann eine Geschichte, so Schüßler. Das Skurrile und der Widerspruch regen das Interesse. Gerade das Fernsehen brauche Skandale, weil die Aufmerksamkeit für einen Beitrag nur wenige Sekunden anhält. Heute können TV-Anstalten erkennen, ob während der dritten Minute eines Beitrags 100.000 Zuschauer zu- oder abschalten. Die Daten zeigen, welche „Storys“ erfolgreich sind. Auch im Printbereich gibt es immer weniger Differenzierungen. Weil verschiedene Tageszeitungen zu den gleichen Verlagen angehören, werden schlechte Meldungen gleich in mehreren Blättern dupliziert.

Die Bauern sind die besten

Unschuldig ist die Branche aber selbst auch nicht. Wer sich abschottet und nichts sagen möchte, muss Kritiker aushalten, die Hintergrundinformationen parat haben und den Medien zuspielen. Fehlende oder falsche Sachverhalte der Unternehmen und Verbände führen dann zu den bekannten Polarisierungen. Bekommen Medien keine Informationen von den Firmen, dann müssen sie auf die der Kritiker zurückgreifen – und die Geschichte hat ihren Skandal.
Nach Schüßlers Erfahrung sind die Bauern in der Prozesskette noch immer die offensten. Die Politik ist der verschlossenste Teil des Sektors.
Und was das Fernsehen betrifft, hält Schüßler noch ein weiteres Schmankerl bereit: 80 Prozent der Geschichte sind Bilder. Was die Sprecher zwischen den Bildern an Sachinformationen weitergeben, kommt bei den Zuschauern schon kaum mehr an.

Roland Krieg

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