Überprüfungen von Biogasanlagen in BW

Landwirtschaft

Komplexes Regelwerk für Biogasanlagen-Sicherheit

Der Wachmann hörte um 05:40 Uhr ein lautes Geräusch. Als er nachschauen wollte sah er vom 30 Meter entfernten Fermenter des Abfallzweckverbandes Südniedersachsen in Deiderode eine „Lawine“ aus 4,5 Millionen Liter Klärschlamm und 2,5 Millionen Liter Regenwasser auf sich zuschießen. „Ich habe mich nur noch am Türrahmen festgehalten“, notierte die Kreisfeuerwehr Friedland seine Aussage. Die Feuerwehrmänner sind im Januar 2006 zusammen mit den Kollegen aus Deiderode und Groß Schneen ausgerückt, um die Havarie einzugrenzen. Die Umweltfeuerwehr des Landkreises Göttingen stellte um 07:08 Uhr einen Methangas-Schwellenwert von 60 Prozent der Unteren Explosionsgrenze (UEG) fest und veranlasste den Rückzug der Hilfskräfte. Rund sieben Millionen Liter Flüssgkeit schwallten über den Schneenbach in die Leine. Alles in allem bezeichnete Landrat Reinhard Schermann die Havarie noch als glimpflich, weil der Fermenter noch in der Bau- und Inbetriebnahmephase war. An einem Arbeitstag unter Volllast der mechanisch-biologischen Abfallbehandlungsanlage wäre mehr passiert.

Mängel haben viele Ursachen

Biogasanlagen sind einer der Schlüssel für die Energiewende. Sie sind nicht nur grundlastfähig, sondern im Gegensatz zu Wind und Sonne produzieren sie auch Wärme für Schwimmbäder und Wohnungen. Doch die Anlagen sind ein Bündel von Gefahrstellen, bei denen in der Regel nichts passiert – aber dennoch eine lange Gefahrenliste aufweisen können: Vom statischen Versagen der Bauteile, über zu geringen Abständen von heißen Anlagenteilen, von Unwetter weggetragene Tragluftdächer, falscher Montage bis hin zu fehlerhaften Elektroinstallationen.

Hier haben oft die Baufirmen geschlampt. Aber Fehler machen auch die Betreiber: Keine Erstellung einer Gefahren- und Risikoanalyse oder von Betriebsanweisungen zum Begehungen von Schächten, mangelnde Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten und fehlende Unterweisungen für Mitarbeiter oder Besucher.

Infolge Mängel kann der Nachgärer zerbersten, der BHKW-Raum abbrennen, es zu einer Verpuffung im Gebäude kommen oder Gülle durch einen Rohrbruch auslaufen. Es passiert selten, aber wenn, gleich im großen Maßstab.

Prüfergebnisse Baden-Württemberg

In den beiden letzten Jahren hat das Umweltministerium Baden-Württemberg über die Gewerbeaufsicht der Stadt- und Landkreise 85 Prozent der Biogasanlagen des Landes mit einer Checkliste überprüft. Abgefragt wurden sicherheits- und genehmigungsrelevante Vorschriften aus den Bereichen Immissionsschutz, Kreislaufwirtschaftsrecht, Explosionsschutz, Gewässerschutz, Baurecht, Gefahrstoffverordnung und Produktsicherheitsrecht. Von den 721 geprüften Anlagen wurden bei 42 Prozent Mängel festgestellt. Besonders häufig wurden ungenehmigte bauliche und leistungserhöhende Änderungen der Anlagen und überfüllte, undichte oder fehlende Fahrsilos bemängelt. Das führt zum Austritt von wassergefährdenem Sickersaft. Gerade die wasserrechtlichen Anforderungen sind bei jeder vierten Anlage mangelhaft. Mangelhaft war auch manche Entwässerung der Lager- und Betriebsflächen.

Beanstandungen gab es nach Prüfberichten bei der Betriebssicherheit. Fast jeder fünfte Anlagenbetreiber habe es versäumt, die Anlage auf Explosionssicherheit zu prüfen. Jede siebte Anlage hat sicherheitsrelevante Mängel wie fehlende Dichtheitsprüfung von Rohrleitungen oder eine fehlende Gaswarnanlage.

Biogasanlagen sind komplex

Umweltminister Franz Untersteller glaubt, dass viele Biogasbetreiber mit der Vielzahl und der Komplexität der Vorschriften überfordert sind: „Fehlende oder unzureichende Kenntnisse führen fast zwangsläufig zu Fehlern. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Anlagen prüfen. Und wir brauchen ein nachvollziehbares Regelwerk.“

Baden-Württemberg will für Biogasanlagen eine wiederkehrende Prüfung vorschreiben. Bestehende Anlagen sollen umwallt werden, damit Gewässer im Falle einer Havarie geschützt bleiben.

Regelungslabyrinth

Die Anlagenkomplexität spiegelt sich ebenso in der rechtlichen Betrachtung wider. Nach Auskunft des Umweltministeriums Baden-Württemberg wird dabei zwischen Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) und Produktsicherheitsgesetz unterschieden.

Das erstere dient der Verbesserung des Arbeitsschutzes, muss vor Inbetriebnahme der Biogasanlage geprüft werden, beinhaltet aber keine weiteren Gefährdungen wie Emissionen von Luftschadstoffen oder Schutz vor Gewässerverunreinigungen. Die rechtliche Prüfungsgewalt für Biogasanlagen orientiert sich am Produktsicherheitsgesetz, wonach beispielsweise Dampfkessel oder Gasfüllungsanlagen sowie Lager für brennbare Flüssigkeiten überprüft werden.

Biogasanlagen sind also nicht „in vollem Umfang überwachungsbedürftig“, erläutert ein Sprecher gegenüber Herd-und-Hof.de – wohl aber hinsichtlich der darin befindlichen Anlagenteile im explosionsgefährdeten Bereich.

Die Gasverdichter unterliegen als Druckanlagen dem Energiewirtschaftsgesetz und sind somit von der BetrSichV ausgenommen und im übrigen Teil der Anlage werden die Drücke für eine Überwachungsbedürftigkeit für Druckanlagen nach BetrSichV nicht erreicht.

Grundsätzlich sind überwachungsbedürftige Anlagen vor der Inbetriebnahme und regelmäßig wiederkehrend durch zugelassene Überwachungsstellen (ZÜS) zu prüfen. Bei einer Biogasanlage kann die Prüfung am explosionsgefährdeten Teil wie Fermenter, Gasspeicher oder Blockheizkraftwerk auch von sogenannten zur Prüfung befähigten Personen nach §2 (6) der BetrSichV durchgeführt werden.

Eine weitere Überwachungsbedürftigkeit und mögliche Rechtsgrundlage für die Überwachungstätigkeit ergibt sich bei Biogasanlagen auch aus anderen betroffenen Rechtsgebieten, wie beispielsweise Bundesimmissionsschutzrecht, Abfallrecht oder das Wasserrecht.

Daher hat die Gewerbeaufsicht eine komplexe Check-Liste zur Hand, um die oben genannten verschiedenen Verordnungen in Gänze abzuprüfen.

Das bedeutet aber auch, dass wegen der Unterschiedlichkeit der Biogasanlagen nicht alle Prüfpunkte abzuarbeiten sind. Der Fachverband Biogas hat eine aktuelle und umfangreiche Check-Liste erarbeitet, die Betreibern einen Hinweis auf „wunde Punkte der Anlage“ geben und die Nutzer sensibilisieren kann.

Nicht alle Gesetzesänderungen können von den Betreibern in der Vielzahl der Verordnungen verfolgt werden.

Eine dieser ZÜS-Stellen ist beispielsweise die DEKRA, die für Betreiber ein individuelles Compliance Audit bereit hält: Aus den Forderungen der Gesetze, Verordnungen und Auflagen wird ein Soll-Ist-Vergleich erstellt. Betreiber können eine ZÜS-Mängelliste vor der echten Kontrolle abarbeiten.

Kein neuer Regelungsbedarf

Zwar forderte Untersteller „ein nachvollziehbares Regelwerk“ und aus Gründen des Gewässerschutzes bestehende Anlagen zu umwallen. Viele Anlagenbetreiber verlieren sich im Regelwerk. Doch das Ministerium will weder über die Umweltministerkonferenz noch dem Bundesrat neuen Regelungsbedarf anfachen, heißt es gegenüber Herd-und-Hof.de. Doch die Vorschriften sollten überschaubarer gestaltet werden und die Anlagenbetreiber regelmäßige Schulungen erhalten.

Deiderode

Übrigens: Der Abschlussbericht zu Deiderode schloss Veränderungen bei den Fundamenten der Fermenter, verfahrenstechnische Fehler sowie eine Explosion als Ursache der Havarie aus. Wahrscheinlich wurde das Unglück durch ein diffuses „Behälterversagen“ verursacht.

Lesestoff:

Die Check-Liste vom Fachverband mit dem Stand Mai 2015 finden Sie unter www.biogas.org

Roland Krieg; Foto: DEKRA

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