Umweltschutz: Vom Tisch, aber nicht unter dem Teppich

Landwirtschaft

Kommission verschiebt zwei Umweltpakte

Was sich seit dem Agrarrat anbahnte, aber bis Mittwochmorgen, haben die EU-Kommissare auf ihrer wöchentlichen Kommissionssitzung in Brüssel dann doch umgesetzt. Mit der Pflanzenschutz-Rahmenrichtlinie und der Verordnung zur Naturrestaurierung wurden zwei Pakte des Green Deals nicht besprochen. Vor allem auf die Pflanzenschutz-Rahmenverordnung haben Umweltverbände große Hoffnungen gesetzt. Sie ist Teil der Strategie „From Farm-to-Fork“ und das Risiko und die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 um die Hälfte reduzieren. Damit wären biologische Pflanzenschutzmittel nicht mehr den chemischen Pflanzenschutzmitteln in der Zulassung gleich gestellt und könnten leichter auf den Markt kommen. Gleichzeitig wäre das eine Aufwertung des Integrierten Pflanzenschutzes gewesen und eine Chance für die vielen Start-ups, die sich von Nützlingen bis Gesteinsmehlen um eine für die Artenvielfalt freundlichere Schutzvariante einsetzen.

Im Agrarrat am Montag hatte sich abgezeichnet, dass die Verschiebung nicht unumstritten ist. Die federführende EU-Kommissarin Stella Kyriakides warnte, man könne die Gesetzesvorlage wenige Wochen, aber nicht länger verschieben, weil Umwelt- und Klimakrise auch vor dem Hintergrund des Russlandkrieges weiter voranschreiben. Im besten Falle, könnte das Umweltpaket in der nächsten Woche verabschiedet werden. Am Mittwoch vom Tisch gekehrt, heißt nicht unter den Teppich verschoben.

Dennoch: „Die Verschiebung des Termins ist eine verpasste Chance. Ohne verlässliche Rahmenbedingungen werden biologischen Alternativen den Markt nicht in der benötigten Geschwindigkeit und im erforderlichen Umfang erreichen. Ernährungssicherung darf den nachhaltigen Umbau der Landwirtschaft nicht von der politischen Tagesordnung verdrängen. Es bleibt zu hoffen, dass die Kommission die Reform der Nachhaltigkeitsdirektive zügig veröffentlicht“, kommentierte Brigitte Kranz, Geschäftsführerin des Dachverbandes der Hersteller Biologischer Pflanzenschutzmittel Deutschland / Österreich (IBMA DA) [1].

Sie steht damit im Einklang mit den Empfehlungen des IPCC-Autors Hans Pötter, der zuvor im Umweltausschuss vor dem gegenseitigen Ausspielen der Krisen warnte [2].

Vier Millionen Hektar mehr

Die Kommissionssitzung stand am Vorabend des Europäischen Rates ganz im Zeichen von Putins Krieg. Energie und Lebensmittelsicherheit waren die dominanten Themen. Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis betonte nach der Sitzung, dass die europäische Lebensmittelversorgung gesichert und nicht unter Druck stehe. Dennoch stehen mit der weltweiten Ernährungsversicherung, den steigenden Lebensmittelpreisen und der fehlenden Resilienz bei einigen Agrarprodukten gegen die Importabhängigkeit drei wichtige Themen auf der Agenda der Landwirtschaft. Auch wenn die EU die Produktionsmengen aus dem Schwarzen Meer nicht ersetzen kann, so will sie dennoch für die ärmsten und armen Länder des globalen Südens die auf die Schwarzmeerprodukte angewiesen sind, humanitäre Hilfe leisten. Über die Welthandelsorganisation WTO wolle die EU sich gegen Exportrestriktionen und -verbote zur Wehr setzen.  

Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hat den Plan, ökologische Vorrangflächen für die Nutzung von Nahrungs- und Futterpflanzen frei gegeben auf vier Millionen Hektar angegeben. Das entspricht der Fläche der Niederlande oder einem Drittel der deutschen Ackerbaufläche. Die Freigabe der Krisenreserve in Höhe von 500 Millionen Euro soll national ergänzt werden, wobei die Länder die Sektoren für die Landwirtschaft frei wählen können. Bis zu 35.000 Euro pro Landwirt sind von der Kommission genehmigt. Ebenso wurden die Hilfe für die private Lagerhaltung im Schweinesektor und die Vorauszahlung der Agrargelder 2023 auf den Oktober dieses Jahres rechtlich festgemacht.

Wojciechowski betonte, dass diese vier Punkte kurzfristig gegen die Krise gelten, aber das fünfte formulierte Ziel, die grüne Architektur, weiterhin der Agrarweg der Kommission bleibt.  

Wendeschnipsel

In der aktuellen Agrardiskussion ist nicht immer auseinander zu halten, wer wirklich seine Pfründe verteidigt, oder ob es reale Sorgen sind, die zu Handlungen führen. Vor allem für die junge westeuropäische Gesellschaft sind existenzielle Sorgen seit dem Zweiten Weltkrieg unbekannt. Auch nicht jeder kann sich vorstellen, dass Putin Russland langfristig auf Unterdrückung ausgelegt hat und der Krieg in der Ukraine mit seinen Auswirkungen die Welt jahrelang prägen wird.

Europa hat es verstanden. Die Kommissionssitzung hat beim Thema Energie klar gemacht, dass mit REPowerEU Nägel mit Köpfen gemacht werden. Der rechtliche Rahmen für den Gasspeicherstatus von mindestens 80 Prozent zum Stichtag 01. November wird umgesetzt. Zudem wurde ein Werkzeugkasten für eine kurzfristige Preisregulierung für Strom vorgestellt. Die Kommission setzt dabei nur die Versailler Erklärung um die vom Europäischen Rat Mitte März in Versailles beschlossen wurde.

Was in anderen Ländern zu einer Neuauflage der Kernkraft geworden ist, wird in Deutschland zur Frage nach dem Kohleausstieg. Ein Vorziehen des Ausstiegs, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, scheint kaum noch möglich. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) brachte am Mittwoch sogar eine Verlängerung über das Datum von 2030 ins Spiel.

Die vordere Rapsnotierung für April hat am Mittwoch an der Euronext die nie für vorstellbare Schallmauer von 1.000 Euro je Tonne durchbrochen. Das ist folgerichtig, auch wenn die Verbraucher bislang von der Rapsknappheit der vergangenen Jahre nichts bemerkt haben. Schon der Preiskorridor von 700 bis 800 Euro im Spätsommer 2021 war schwindelerregend. Die Tausender-Marke wird aber auch durch den gestiegenen Rohölpreis getrieben. Und würde bei einem Ölembargo gegen Russland weiter steigen.

Auch die Schweizer bevorzugen heimisches Pflanzenöl. Die Branchenorganisation Swiss Grain hatte schon bei der Planung im Sommer 2021 eine Vertragsmenge von 14.000 Tonnen Sonnenblumen ausgeteilt. 1.000 mehr als im Vorjahr. Jetzt suchen die Ölmühlen weitere 3.000 Tonnen, weil sie die Kapazitäten dazu haben. Also läuft die Ausschreibung auf rund 1.000 Hektar Sonnenblumen für die Ernte 2022. Neu ist, dass eine Übermenge nicht als Problem angesehen wird, sondern die Möglichkeit der Lagerung ins Auge gefasst wurde. Die freien Verarbeitungsmengen resultieren aus einer unvollständigen Ausschöpfung für Raps. Von der Zielmarke 106.000 Tonnen wurden nur 100.000 Tonnen vertraglich abgesichert.

Bei Schweinen liegt der Schlachtpreis jetzt nur wenige Cent unter 2,00 Euro je Kilogramm. Für die Bundesbürger wird der Start in die Grillsaison teuer. Den Bauern reichen die aber angesichts der Energie- und Futterkosten noch immer nicht für eine Vollkostendeckung.

Der ukrainische Landwirtschaftsminister Roman Leshchenko konnte am Mittwoch internationalen Medien keine Angaben über die Aussaatflächen 2022 geben. Für die Ukrainer steht die Lebensmittelversorgung im Vordergrund. Die Aussaatfläche wird voraussichtlich um mindestens 30 Prozent reduziert und verlängert die globale Versorgungskrise über die Ernte 2022 hinaus.

Ägypten mit seinen bald 100 Millionen Einwohnern kommt ohne importiertes Getreide nicht aus. Auf dem Markt gibt es subventioniertes Brot und Fladen auf dem freien Markt. Die „freien Fladen“ sind in Ägypten seit Kriegsbeginn um 50 Prozent teurer geworden, weswegen die Regierung jetzt eine Preisobergrenze bekannt gegeben hat. Wer dagegen verstößt muss ein sehr hohes Bußgeld bezahlen. Im Gespräch ist auch eine Erhöhung der Brotsubvention, damit das Brot für alle bezahlbar bleibt.

Lesestoff:

[1] www.ibma-da.org

[2] Pötter im Umweltausschuss: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/wie-viel-krisen-vertraegt-die-welt.html

[3] Was wollen wir essen? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/was-wollen-wir-essen-sieben-tage-lang.html

Roland Krieg

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