Unterwegs mit vier Hufen
Landwirtschaft
Pferdeländer MV und BB
Die Landwirtschaft überrascht immer wieder mit neuen alten Nischen. War das Pferd vor der Motorisierung überhaupt nicht vom Land wegzudenken und mussten Flächen extra nur als Futter für die Tiere freigehalten werden, so beherrscht heutzutage der Vierbeiner fast ausschließlich die Freizeit- und Sportszene.
Gestern stellten die Agrarminister aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in der gemeinsamen Ländervertretung in Berlin ihre Bundesländer als „Pferdeländer“ vor. Dr. Till Backhaus aus Schwerin und Dr. Dietmar Woidke aus Potsdam wiesen auf den „Wirtschaftsfaktor Pferd“ hin.
Pferde schaffen Arbeit
Bundesweit haben 300.000 Menschen eine Arbeitstelle rund um das Pferd. Etwa 10.000 Firmen sind im vor- und nachgelagerten Bereich mit dem Tier verbunden. Für eine Million Pferde muss die Landwirtschaft 1,6 Millionen Tonnen Futtergetreide und 1,8 Mio. t Heu gewinnen. Die Menschen in den Reit- und Fahrvereinen setzen rund 2,6 Milliarden Euro um und die Gesamtbranche erreicht fünf Milliarden Euro Umsatz.
Weil Mecklenburg mit 20.000 Pferden, 264 Pferdesportvereinen mit 8.000 Mitgliedern und ein Reitwegenetz von 6.000 km aufweist, darf sich das nördliche Bundesland durchaus als Pferdeland bezeichnen. Der Verband der deutschen Halbblutzüchter wurde schließlich 1905 in Berlin auch bereits von Mecklenburgern gegründet, so Dr. Backhaus: „Das Pferd spielt in unserem Land immer eine wichtige Rolle“. Umsatz rund 100 Millionen Euro.
Die Brandenburger „Pferdewirtschaft“ erreicht rund 150 Millionen Euro Umsatz, bietet 7.500 Arbeitsplätze und weist rund 400 ehrenamtliche Reit- und Fahrvereine mit 16.000 Mitgliedern auf. Das Wegenetz umfasst rund 5.000 km.
Auch wenn in MV das Reiten nur auf ausgewiesenen Wegen zugelassen ist, während der südliche Nachbar grundsätzlich keine Einschränkungen kennt, gibt es bereits seit einem Jahr einen gemeinsamen Gestütsweg zwischen dem „Sanssouci der Pferde“, dem klassizistischen Gestütshof in Neustadt/Dosse und Redefin. Der 200 Kilometerlange Reitweg verläuft zwischen den Landkreisen Ludwigslust, Prignitz und Ostprignitz-Ruppin. Er bietet 15 Rastplätze für Ross und Reiter sowie 35 Reiterhöfe und 20 Gastronomiebetriebe in einem 20 km breiten Korridor.
Planung muss sein
Mit dem Hinweis „Reite in den Wald“ ist dem Reittourismus alleine nicht geholfen, veranschaulichte Dietmar Woidke. Eine Beschilderung muss her, Gasthöfe müssen ausgebaut, Karten gedruckt und Pferdeanbindungen an Aufenthaltsorten wie Museen geschaffen werden. Die Reiter müssen wissen, wo der nächste Tierarzt und der nächste Schmied sind. Das alles kostet Geld, was teilweise aus der EU-Gemeinschaftsinitiative Leader+ für die Entwicklung des ländlichen Raums stammt. Für MV kann sich der Reisende vor dem Urlaub bereits die Karten anschauen, die Tour vorbereiten und die Karte über das Internet ausdrucken.
Dabei geht es beiden Bundesländern nicht nur um das Reiten durch ein Stück Wald. Beide legen Wert auf mehrtägigen Reittourismus. MV kann beispielsweise vom Westen her bis nach Usedom durchquert werden. Brandenburg bietet einen umfangreichen Katalog mit Wanderreiten in den Großschutzgebieten. Damit sollen nicht nur die heimischen Reiter angesprochen werden, sondern alle in ganz Deutschland. Die Hoffnungen richten sich auch auf internationale Urlauber.
Lösungen finden
Der ländliche Raum ist mit seiner Strukturschwäche und der demographischen Entwicklung fast schon genug gebeutelt. Flächen stehen nicht mehr nur in Nutzungskonkurrenz zwischen Landwirtschaft und Gewerbe, sondern vermehrt auch innerhalb der Landwirtschaft: Anbau von Nahrungspflanzen oder erneuerbaren Energien? Jetzt kommt noch das Reiten hinzu!? Aber nur rund um Berlin, wo die Pferdedichte mitunter höher ist als die Bevölkerungsdichte, so Woidke, kommen sich Reiter, Skater, Nordic Walker, Waldbesitzer und Jäger in die Quere. Brandenburg versucht selbst in den Naturparks mit ausgewiesenen Reitwegen die strukturbringende Nutzung zu erlauben. Was auf bestimmten Wegen kanalisiert wird, lässt der benachbarten Natur ihre eigene Entwicklung. Selbst Jäger sehen ein, dass Reiter das Wild nicht verjagen. Alle Beteiligten sind gewillt, Lösungen zu finden.
So sieht auch pro agro Geschäftsführer Hans-Jürgen Kube den Gestütsweg Redefin nur als Ausgangspunkt für eine weitere Vernetzung der Zusammenarbeit: „Nur wenn es uns gelingt, mit unseren Angeboten die Wünsche und Vorstellungen der Reiter zu treffen, werden wir zunehmend mehr Menschen für Brandenburg und seine Reitwege begeistern können.“
„Abitur im Sattel“
Die Gesamtschule mit gymnasialer Oberschule in Neustadt/Dosse bietet mittlerweile sogar Reitsport als reguläres Unterrichtsfach an. Nach mehrjähriger Vorarbeit wurden mit dem Schuljahr 2005/2006 ab der 7. Klasse die Leistungsklasse Reitsport eingeführt. Durch den Umgang mit dem Pferd sollen die Jugendlichen Selbstdisziplin, eigenverantwortliches Handeln und Teamfähigkeit erwerben.
Rückepferde in MV
Reginald Rinke von der Forstbehörde Conow im Südwesten von MV beschrieb gestern auch das Arbeitstier Pferd im Wald. Manche Böden sind selbst in MV so schwer, dass bei Nässe die technischen Gerätschaften für den Abtransport des geschlagenen Holzes „bis zur Achse versinken“. Zumindest vom Einschlagsort bis zur nächsten Schneise kommen dann einige der 12 Forstpferde zum Einsatz. Die Pferde arbeiten bodenschonender als schwere Geräte, kosten aber bei geringerer Leistung mehr. Dafür bekommen die Waldbesitzer bis zu fünf Euro (60 Prozent der Kosten) über Fördergelder erstattet. Im Jahr 2004 haben die Pferde 11.575 Festmeter in 5.801 Arbeitsstunde gerückt. Das sind etwa zwei Festmeter in der Stunde.
Besonders geeignet sind dabei die Mecklenburger Kaltblutpferde auf Rheinisch-Deutscher Grundlage. Sie werden im Forstamt Abtshagen gezüchtet und haben bisher 10 Fohlen hervorgebracht.
Lesestoff und Urlaubsplanung
Wer jetzt Lust bekommen hat, in einem der beiden Bundesländer hoch zu Ross unterwegs zu sein, der kann sich im Internet informieren:
Über MV: www.reiten-in-mv.de
Über BB: www.pferdeland-brandenburg.de (Hier gibt es auch einen Katalog mit allen Reiterhöfen und -touren)
Wer ganz klein anfangen will, der kann mit den Lewitzer Plattenschecken in MV schon einmal üben. Und vorher noch einmal schnell nachschauen, woher denn alle Pferde überhaupt kommen.
Roland Krieg