Urban Farming macht ernst

Landwirtschaft

Vom Fisch im Reisfeld zur Aquaponik

Fische schwimmen zwischen überstauten Reispflanzen. Bevor der chinesische Reisbauer vor mehr als 2.000 Jahren sein Getreide geerntet hat, fing er sich einen Karpfen oder Buntbarsch. In der traditionellen Reis-Fisch-Kultur ergänzen sich Pflanze und Tier. Der Fisch düngt den Reis, lockert den Boden, frisst Unkraut und erhöht den Ertrag des Feldes. Erst die Intensivierung des Reisanbaus setzte der Koppelproduktion im Rahmen der grünen Revolution ein Ende. Seit einigen Jahrzehnten forscht die FAO jedoch wieder an der Wiederherstellung des Systems [1]. In den Reisfeldern könnten jährlich rund 6,7 Millionen Tonnen Fisch geerntet werden.

Auch deutsche Kleingärten haben ihren typischen Charme, wenngleich sie sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben. Wo vor Jahren noch Stangenbohnen und Kartoffeln zur Selbstversorgung angebaut wurden, frieden heute akkurate Rasenkanten die Freizeitgesellschaft ein.

Drittens: Die arbeitsteilige Landwirtschaft hat im letzten Jahrhundert komplexe Systeme in einzelne Betriebszweige separiert und die Bearbeitung intensiviert. Hohe Erträge bis hin zur Überproduktion haben die Selbstversorgung zu einem Hobby degradiert. Nach nur wenigen Jahrzehnten der ausschweifenden Produktion zeichnet sich die Endlichkeit der Ressourcen ab und der Klimawandel rückt andere Produktionsparameter als den Ertrag in den Vordergrund.

Doch es gibt einen Weg zurück nach vorn: Die Aquakultur als landgestützte Alternative zu überfischten Meeren und der erdlose Pflanzenbau, die Hydroponik, vereinen Fisch und Pflanze in einem kontrolliertem Produktionssystem und erfüllen obendrein den Kundenwunsch nach Produkten aus Nachbars Garten. Aquaponik heißt das System, dessen Grundprinzip gar nicht so neu ist, aber in Berlin den Schwung durch modernste Technologie erhält, und unter dem Oberbegriff der städtischen Landwirtschaft Märkte erobern will.

Das Grundprinzip

Anstatt über Boden und Humus führt eine wässrige Lösung den Pflanzen die benötigten Nährstoffe zu. Bei diesem erdlosen Anbau wurzelt die Pflanze in Mineralwolle, die von nährstoffreichem Wasser umspült wird. Der normale Transpirationssog der Pflanzen entzieht dem Wasser die Nährstoffe.


Wasser aus dem Fischtank fließt über die Füllkörper
mit denitrifizierenden Bakterien

Das Wasser stammt aus einem vorgeschalteten Kreislauf eines Fischbeckens. Die Ausscheidungen der Fische bilden die Grundlage der Nährstoffe, die von den Pflanzen genutzt werden können. Zuerst entfernt ein Filter Schwebstoffe und Fischkot aus dem abfließenden Teichwasser, dann fließt es über Füllkörper auf denen denitrifizierende Bakterien siedeln. Die wandeln das Ammonium in pflanzenverfügbares Nitrat um. Dieses nährstoffreiche Wasser wird in einem Behälter gesammelt und dem Wasserkreislauf zurückgeführt.

Das Berliner Prinzip des IGB

So hat es in den 1980er Jahren auch in Berlin angefangen, als Dr. Bernhard Renner vom heutigen Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) mit Karpfen und Gurken in der DDR experimentierte. Mangels Bedarf blieb es zwar beim Experiment, aber losgelassen hat ihn die Idee nicht mehr. Zusammen mit seinem Kollegen Prof. Dr. Werner Kloas wurde die Aquaponik weiterentwickelt und gipfelte bislang im Forschungsprojekt ASTAF-PRO. Die Abkürzung steht für „A System for Emissions Free Tomatoes and Fish Production in Greenhouses”.


Fischbecken mit Tilapia hinter dem Lamellenfilter
im unteren Containerbereich

Gegenüber allen anderen Modellen zeichnet sich die Berliner Anlage durch einige Clous aus. In einem gemeinsamen Gewächshaus untergebracht kommen wärmeliebende Tomaten und Buntbarsche (Tilapia) mit gleichen klimatischen Bedingungen aus. Zudem bietet das Gewächshaus, gegenüber der offenen Reis-Fisch-Kultur, dem Produktionssystem einen Schutz vor äußeren Umwelteinflüssen. Die Produktionsbedingungen sind kontrollierbar und sichern pflanzlichen und tierischen Produkten eine hohe Qualität zu.

Kühlfallen fangen das Evapotranspirationswasser der Tomaten auf und führen es dem Wasserkreislauf wieder zu. Diese Technik macht das System nahezu wasserunabhängig und bietet in Trockenregionen eine hervorragende Produktion von wertvollem Fischprotein und vitaminreichem Gemüse. Wasser wird dem System fast nur über die Ernte entzogen.

Den ganz besonderen Trick verriet Prof. Kloas Herd-und-Hof.de: Das Einwegventil. Nach Filter und Bakterien sammelt sich das nährstoffreiche „Nutri-Wasser“ in einem Behälter und fließt zurück zum Fischbecken. Ein Einwegventil zweigt das für die Pflanzen bestimmte Wasser in einen Sammelbehälter, aus dem es eine Pumpe in die Pflanzrinnen transportiert. Dieses Wasser fließt dann nicht mehr zurück in das Fischbecken, was eine Reihe von Vorteilen mit sich bringt, die das IGB sich hat patentieren lassen und den Startschuss für ein spezielles Projekt gab, das der Aquaponik noch den Hauch des Nachbarschaftsgartens hinzufügt.


Showcontainer auf dem ECF-Gelände der Berliner Malzfabrik

Tomaten und Fisch vom Parkplatz

Aquakultur und Gewächshauskulturen sind in ihrer Reinform sehr energieintensiv. Das Aquaponiksystem optimiert beide Produktionsrichtungen und reduziert den Ressourcenverbrauch auf das Minimum, das künftig für die Welternährung noch zur Verfügung steht. Der Showcontainer in der alten Berliner Malzfabrik ist handlich und demonstriert interessierten Händlern und Produzenten, um was es geht. Nebenan baut „Efficient City Farming“ (ECF) eine Pilotanlage auf 1.000 Quadratmeter, so wie sie später verkauft werden soll. Auch hier spielt das Einwegventil eine große Rolle, denn es entkoppelt Fisch- und Tomatenproduktion dergestalt, dass die Fischproduktion im Container verdoppelt werden kann ohne die auf dem Dach befindliche Tomatenproduktion auszubauen. Die räumliche Trennung reduziert im Gewächshaus zudem die Luftfeuchtigkeit.

Die Anlage produziert etwa fünf Tonnen Fisch und 35 Tonnen Tomaten im Jahr, erläutert Christian Echternacht von ECF gegenüber Herd-und-Hof.de. Auf Stelzen gestellt und mit doppelter Fischproduktion „überdacht“ die Aquaponikanlage eine Parkplatzfläche von rund 350 Quadratmeter und bietet immer noch einige Stellplätze. Ideal für den Lebensmittelhandel, der die Berliner ECF bereits besucht und Interesse bekundet hat.

Neue Wertigkeiten

Die einzelnen Erträge im Gartenbau und der Teichwirtschaft liegen höher als in der Aquaponik-Anlage. Die sozialisierten Folgekosten wie Überdüngung und Energieverbrauch aber auch. Daher sind die Erträge der ECF-Anlagen nicht nur in Kilogramm zu messen, erläutert Echternacht. Geringer Ressourcenverbrauch, keine Logistik wegen Produktion auf dem Gelände und die Erfüllung des Kundenwunsches nach Nachhaltigkeit und Transparenz sollen aus dem System ein Wirtschaftsmodell der Zukunft machen. Selbst den Einsatz von Zierfischen, die möglicherweise effizienter Nährstoffe für die Tomaten produzieren könnten, lässt der Marketingexperte nicht zu. Das würde die Ressourcen Wasser und Energie ungenutzt lassen.


Chili zwischen Tomaten und Basilikum verheißen eine abwechslungsreiche Ernte im oberen Gewächshausteil

Rund 400 Pflanzenarten könnten nach einer Studie der Humboldt Universität Berlin in den Produktionssystemen wachsen. Nur Pflanzen wie der Kürbis mit auswuchernder Blattmasse lässt sich nicht integrieren. Abhängig von der Gewinnmarge können neben Tomaten auch Basilikum und andere Kräuter gezogen werden, was die Produktion ähnlich abwechslungsreich und marktorientiert gestaltet wie ein „richtiges Gewächshaus“. Die jungen Setzlinge wachsen bereits in den Rinnen auf Mineralwolle, vielleicht auch mal auf Kokosfasern heran.

Die Jungfische werden neben der Anlage produziert oder angeliefert. Die Setzlinge wiegen fünf Gramm und werden bei einem Schlachtgewicht von 400 bis 500 Gramm entnommen. Mit einer Besatzdichte von rund 50 Kilogramm Fisch hält ECF die Tierschutzverordnung ein, die sogar höheren Besatz zulässt, ergänzt Karoline vom Böckel, Nachhaltigkeitsexpertin bei ECF.

Die Nachhaltigkeit der Produktion macht das System für den Lebensmittelhandel interessant, der sich im Bereich „Clean Tech“ schon seit längerem mit energiesparenden Filialen und Produkten aus der Region beim Verbraucher punkten will. Eine ECF-Anlage bringt den „Fisch vom Dach“ ins Regal. Denn auch Dachflächen eignen sich für diese Anlagen – sofern das Gebäude ausreichend stabil ist.

Landwirtschaft ohne Bauern

Die Händler müssen umdenken, so Echternacht. Sie können ihr Repertoire vom Händler um das des Produzenten erweitern. Und die „Landwirtschaft ohne Bauern“ erfordert auch woanders neue Positionen.

Urban Farming lautet die Überschrift. Schon heute lebt die Hälfte der Menschen in der Stadt und bis 2050 wachsen die Städte weltweit. Alleine in Afrika verlassen jährlich 14 Millionen Menschen das Land. Dort hat Urban Farming eine andere Bedeutung als in Europa.

Die neuen Arbeitsplätze der industriellen Revolution fingen die durch die Mechanisierung in der Landwirtschaft frei gesetzten Arbeitskräfte auf. In den meisten Entwicklungsländern gibt es in den Städten keine Arbeit. Keine Arbeit, kein Lohn und damit keine Möglichkeiten, Lebensmittel zu kaufen. Halbierte Autoreifen als transportable Pflanzengefäße in Nairobi gehören genauso zum Urban Farming wie Aquaponik-Systeme in Berlin [2].

In Europa hat Urban Farming eine andere Dimension und besetzt den Begriff „Ernährungssouveränität“ neu. Deshalb möchte ECF sein System auch nicht als neuen Betriebszweig auf landwirtschaftlichen Betrieben sehen [3]. Dann verliere die Produktion nach Christian Echternacht durch längere Transportwege wieder an Nachhaltigkeit. Zugeschnitten ist das System auf den kürzesten Weg – wie im Kleingarten.

Aquaponik-Anbieter gibt es viele und vor allem in den USA ist ein Trend entstanden, der für zu Hause kleine Anlagen und Zubehör anbietet. ECF hingegen macht mit seinem System ernst und stellt Urban Farming auf professionelle Füße.

Je 1.000 Quadratmeter-Anlage reichen 350 Abonnenten bei einer Monatsgebühr von 60 Euro für die Wirtschaftlichkeit aus, rechnet Echternacht vor. Vor allem in der Stadt erfüllt Aquaponik neben Regionalität und Transparenz dem Kunden auch die Vorliebe zur Direktvermarktung, die sie woanders kaum noch erleben können, und die Sehnsucht nach Authentizität.

Das ist nicht abwegig, denn nicht nur in kleinen Zirkeln wird die „Große Transformation“ diskutiert, die nach Wegen für eine neue Wohlfahrt sucht [4]. Reicht ein nachhaltiges Auto oder geht es nicht vielmehr um ein nachhaltiges Mobilitätskonzept? Ein anderes Wachstum wird neue Produktionsmethoden hervorbringen und gewohnte Bilder neu zusammensetzen. In der Berliner Malzfabrik steht ein neues Puzzlestück.

Aquaponik 2.0

Das erste System ist noch nicht verkauft, doch Herd-und-Hof.de hat mit Christian Echternacht schon an der Aquaponik 2.0 gebaut. Das System lässt sich optimieren und integrieren. Die Klärschlämme nach dem Fischbecken können zusammen mit dem Grünschnitt aus dem Gewächshaus in einer Biogasanlage genutzt werden. Neue Foliensolarpaneele auf dem Gewächshausdach produzieren Strom für die Anlage, den Supermarkt und könnten auch in das Netz eingespeist werden.

Bislang kommen Gartenbauer und Teichwirte mit ihren Berufserfahrungen mit der Aquaponik aus. Ein Mindestmaß an Abstimmung ist erforderlich, damit die Tomatenwurzeln nicht durch die Folgen frisch eingesetzter Salzwassergarnelen überrascht werden. Aber vielleicht gibt es in wenigen Jahren einen neuen „grünen Beruf“: Den Aquaponiker.

Lesestoff:

www.ecf-center.de Am 03. Oktober haben Sie Gelegenheit, sich beim ECF-Grillfest das System anzuschauen.

www.igb-berlin.de Am 09. September öffnet das IGB seine Tore zum Tag der offenen Tür und feiert 20jähriges Bestehen

[1] Li Kang Min: A Review of Rice-Fish Culture in China; FAO 1986

[2] Landwirtschaft in der Stadt. Worldwatch Institute 2011

[3] Agrargenossenschaften und Aquakulturanlagen

[4] Die große Transformation

Roland Krieg (Text und Fotos)

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