Väterchen Frost, Mütterchen Russland und der Russische Bär
Landwirtschaft
Deutsch-russischer Handel: „Der Optimismus kehrt zurück!“
Russland ist der Sehnsuchtsort der deutschen Wirtschaft. Weite Steppen und tiefe Wälder hat Alexandra schon 1968 in ihrem „Lied der Taiga“ besungen. Russland weist mit der Märchenfigur „Väterchen Frost“ und der Namensgebung „Mütterchen Russland“ familiäre Metaphern auf, dem aber auch schon 1557 mit dem „Russischen Bären“ ein weniger freundlicheres Bild zuteil wurde. Es stammt vom österreichischen Gesandten am Russischen Hof, Siegmund Freiherr von Herberstein, der ihn in seinen „Rerum Moscoviticarum Commentarii“, ausmalte. Bei den Sommerspielen 1980 sollte das Olympia-Maskottchen Mischka Moskau als liebenswürdigen Teddy in die Welt tragen. Der Bär wurde von der konservativen Partei „Einiges Russland“ auch als Symbol gewählt.
Russland: Thema im Bundestag
In diesen Tagen sind die Sichtweisen über Russland erneut gespalten. Seit der Krim-Annexion haben sich die gemeinsamen Welten nach der Überwindung des Eisernen Vorhangs wieder aufgetrennt. Russland fühlt sich von der NATO zunehmend eingekreist, die starke Truppenkonzentration an der Grenze zur Ukraine haben konkrete Kriegsängste hervorgebracht [1]. Die G7-Länder hatten am Wochenende neben China auch Russland als Risikofaktor für den Weltfrieden auf die Agenda gesetzt. Mit der pünktlichen Sperrung des Asowschen Meeres wegen einer Marineübung hat Moskau den Westen, die einen sagen gewarnt, die anderen geschockt.
Die „Modernisierungspartnerschaft“, von der Frank-Walter Steinmeier als Oppositionsführer der SPD im Jahr 2010 sprach, wurde durch die Annexion der Krim jäh beendet. Mit einem Zusatzpunkt auf Antrag der CDU/CSU wurde in der vergangenen Woche das Thema Russland zur ersten außenpolitischen Debatte der neuen Regierung. Auf der Tribüne lauschte der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk der Debatte. Sie fand am 09. Dezember statt. Einen Tag zuvor jährte sich das Abkommen von Belowesch, einem Ort mit einer Staatsdatsche in Weißrussland. 1991 beendeten Russland, Belarus und die Ukraine die Sowjetunion und sicherten sich gegenseitige territoriale Integrität zu. Einen Tag später, feierten nicht nur die Sozialdemokraten vor 50 Jahren den Friedensnobelpreis an Willy Brandt, der zusammen mit Egon Bahr das Architektenduo der Ostverträge repräsentiert. Wolfgang Helmich sowie Nils Schmid von der SPD und Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) verwiesen auf den zeitlichen Rahmen rund um die Debatte.
Johann David Wadephul von der CDU betonte, dass sich die Europäer „jeder militärischen Intervention in der Ukraine“ entgegenstellen müssen. Nils Schmid forderte die Wiederbelebung des NATO-Russland-Rates. Für Alexander Graf Lambsdorff von der FDP setzt Moskau „das Militär als außenpolitische Instrument ein“. Nicht ganz zu Unrecht, wie Christian Petry (SPD) und Ali Al-Dailami (Die Linke) ergänzen. Türkische Drohnen und Aufrüstung der Ukraine sind aus beider Sicht Sündenfälle des Westens.
Auf Alexander Gaulands Hinweis, Russland ziehe „um alten russischen Siedlungsraum“ rote Linien, hielt Trittin dem ehemaligen Vorsitzenden der völkischen AfD, seinen offenbaren Hintergrundgedanken auf alten deutschen Siedlungsraum „Von der Etsch bis an den Belt“ entgegen. Gauland gab zwar zu, die Länder wie die Ukraine hätten völkerrechtlich gesehen Recht, aber nicht politisch, entgegnete Jürgen Hardt (CDU), das Völkerecht nicht relativiert werden kann.
Eskalationsspirale
Russland hat seit der Annexion der Krim „sehr viel Geld und sehr viele Ressourcen“ ökonomisch binden müssen, erläuterte Hardt. Den Sanktionen der EU folgte das Embargo gegen europäische Lebensmittel – ein Beispiel, dem Putins Mini-Me in Minsk ab dem 01. Januar 2022 für zunächst sechs Monate folgen wird. Der europäische Dachverband für Obst und Gemüse hat sogleich beklagt, dass das vom Verbot des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko den Frischesektor im Umfang von 10 Prozent der Exporte betreffe. „Wieder einmal ist das europäische Obst und Gemüse die Geisel der internationalen geopolitischen Auseinandersetzungen, „beklagte Freshfel-Vorsitzender Philippe Binard. Die Eskalationsspirale wegen der Krim hat dem Sektor zwei Milliarden Euro Exportvolumen gekostet.
Die Wirtschaft
„Wirtschaft braucht Frieden. Da ist die Vermittlungsfähigkeit der Politik gefragt.“ Das sagte Oliver Hermes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, am Donnerstag bei der Vorstellung der jährlichen Geschäfts-Klimaumfrage für Russland 2022. „Der Optimismus kehrt zurück“, sagte er. „Die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen stehen auf einem festen Fundament und haben die Delle des ersten Corona-Jahres 2020 hinter sich gelassen. Die aktuellen besorgniserregenden politischen Spannungen könnten den positiven Ausblick aber in Frage stellen“, warnte Hermes.
Rund 90 deutsche Firmen in Russland haben sich an der Umfrage von Ende November beteiligt. Sie setzen rund 14 Milliarden Euro um und beschäftigen 50.000 Mitarbeiter. Gegenüber dem vergangenen Jahr hat sich die Stimmung verbessert, der Ausblick ist positiver geworden und sowohl Umsatz- als auch Exporterwartungen sind angewachsen.
Bei den Unternehmen steht das Potenzial des russischen Marktes im Vordergrund. Die Markterschließung ist das dominante Motiv für die positiven Erwartungen. 93 Prozent der Unternehmen sind für einen Abbau der EU-Sanktionen gegen Russland, 98 Prozent für eine Inbetriebnahme von Nord Stream 2. Die Firmen wollen die „Modernisierungspartnerschaft vor allem in den Bereichen Energie und Klimaschutz, für den sich Russland auf der COP26 in Glasgow ausgesprochen hat, vorantreiben. Insgesamt sehen nur 15 Prozent der Unternehmen das Geschäftsklima als negativ an. Bei der Negativbewertung („negativ“, „leicht negativ“) ist die Zahl der Prozentpunkte gegenüber 2021 um 42 gefallen.
Das liegt auch daran, dass die Firmen die russische Wirtschaft auf Erholungskurs sehen. Daher beurteilen 13 Prozent der Firmen ihre eigenen Geschäftsaussichten als sehr gut, 35 Prozent als gut und 36 Prozent als befriedigend. Bei den Investitionen sind sie vorsichtiger. Nur knapp ein Drittel wird in den nächsten 12 Monaten Geld in die Hand nehmen.
Neben dem Binnenmarkt spielen geringere Lohnkosten, die geografische Nähe zu Deutschland und der EU sowie die lokale Zulieferbasis als Standortvorteil eine Rolle. Allerdings drücken die EU-Sanktionen, der Wechselkurs des Rubels und die russische Bürokratie auf die Stimmung. Mit finanztechnischen Aspekten sind die Firmen zufrieden. Die Bereiche Finanzierung, Ausschreibeverfahren und Steuerbelastung liegen auf den letzten drei Plätzen der Sorgenliste.
Die größten Wachstumschancen gibt es in den Bereichen Land- und Ernährungswirtschaft. 48,8 Prozent votieren für diesen Sektor. Auf Platz zwei liegt der IT-Bereich mit 38,4 Prozent. Russland ist auf dem Weg zur Diversifizierung. Das macht sich nicht nur in einer Aufholjagd in der Eigenerzeugung bemerkbar [2]. Moskau fokussiert sich zunehmend auf Zentralasien. Deutsche Unternehmen hoffen über Moskau auch auf diese Märkte zu kommen. 50 Prozent der Firmen schätzen die Entwicklung als wichtig ein [3]. Vor einem Jahr hielten drei Viertel der Befragten den Eurasischen Wirtschaftsraum als unwichtig.
Ein Beispiel ist der Energiekonzern RWE, der ebenfalls in der vergangenen Woche die Zusammenarbeit mit dem russischen Konzern Novatek bekannt gab. Beide wollen künftig blauen Ammoniak und Wasserstoff nach Europa liefern. Der Wasserstoff soll aus Erdgas mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) produziert werden.
Die Landwirtschaft
Die Erdgaspolitik trifft aber nicht nur Westeuropa, sondern auch Russland selbst. Während die Landbevölkerung weiter mit Holz heizen kann, treffen die hohen Gaspreise die Städter und die Industrie. Auch in Russland sind die hohen Energiepreise Treiber für die Inflation. Für Düngemittel hat Russland den Export gegen ein Abfließen ins Ausland schon verboten. Moskau versucht das auch mit Exportzöllen bei Getreide. Die werden regelmäßig erhöht, aber das Korn bleibt nicht im Land. Die Dürre 2021 hat den Kartoffelanbau geschädigt. Kartoffeln sind knapp. Russland muss Kartoffeln aus Belarus, Usbekistan und Ägypten einkaufen. Auch Lieferungen aus dem Iran dienen der Deckung des Bedarfes. Kohl ist fünf Mal teurer als 2020. Die letzte Meldung osteuropäischer Marktbeobachter stellt den kontinuierlichen Anstieg der Gurkenpreise fest.
Wegen der türkischen Drohnen in der Ukraine hat Moskau ein Importverbot für türkische Mandarinen verhängt –setzt es aber nicht um. Offenbar sollen die roten Früchtchen nicht unter dem Weihnachtsbaum fehlen. Im vergangenen Jahr hat die Türkei 370.000 Tonnen Mandarinen nach Russland exportiert. Ein Ersatz ist nicht möglich. Nachdem die Niederländer schon wegen der hohen Energiepreise Gewächshäuser leer stehen lassen, dürfte es für Moskau teuer werden, gleiches zu verhindern. Ohne Energiesubventionen wird es beim Anbau unter Glas kalt.
Zu den Metaphern Russlands gehört auch die Geduld der russischen Seele. Es gärt jedoch nicht nur wegen der eingesperrten Menschenrechtsaktivisten. Es wird auch unruhig, wenn Lebensmittel für viele unbezahlbar werden. Der Vorsitzende der Außenhandelskammer Russland, Matthias Schepp, sagte zwar gegenüber Herd-und-Hof.de, in Moskau sind die Regal noch voll. Wenn allerdings in der Hauptstadt vor internationalem Publikum Regallücken auftauchen, sind woanders schon ganze Geschäfte leer.
Preise und Kosten bleiben hoch
Was die europäischen und amerikanischen Landwirte sorgt, wird auch an den russischen nicht vorbeigehen. Die Kosten steigen an und werden bei sinkenden Einnahmen ab 2022 die Betriebe an den Rand ihrer Wirtschaftskraft bringen. Trotz Exportzölle, die lagen in der vergangenen Woche bei knapp 85 US-Dollar je Tonne, ist Getreide eines der wichtigsten Ausfuhrgüter Russlands. In den ersten zehn Monaten hat Moskau 27,4 Milliarden US-Dollar und damit 19 Prozent mehr als 2020 verdient. Der Export steht im Wettbewerb mit dem Binnenmarkt. Noch gilt der Plan, bis 2024 mit Getreide einen Exportverdienst in Höhe von 34 Milliarden US-Dollar zu erzielen. Auf den besten Lössböden der Welt erwirtschaftet Russland nur knapp die Hälfte des westeuropäischen Ertrags. Um mehr zu ernten, sollen im ganzen Land 13 Millionen Hektar durch Melioration neu bewirtschaftet werden. Das ist eine Million Hektar mehr als die Ackerfläche in Deutschland.
Eine gute Nachricht gibt es: Stefan Dürr konnte sich in der vergangenen Woche mit den russischen Banken einigen und hat die Verstaatlichung des größten Agrarbetriebes abgewehrt. Damit kann der Deutsche auch seine Pläne einer Milchviehfarm in der Region Altai in Höhe von 60 Millionen Euro weiterführen. Tönnies hingegen zieht sich aus Russland zurück.
Ansonsten knirscht es an allen Ecken und Enden. Der Fleischkonsum hat sich in diesem Jahr nicht erhöht. Weil im Zusammenhang mit den Energiepreisen auch die Futterkosten steigen, will Moskau zur Steigerung des Fleischkonsums Einnahmen aus Exportzölle in die Subventionierung der Futterbeschaffung lenken. Außerdem will Russland in eigene Standards für Tierarzneimittel investieren, denn 70 Prozent der Veterinärmedikamente müssen importiert werden.
Die Marktexperten von Germany Trade & Invest (gtai) fassen den Ausblick auf die Land- und Ernährungswirtschaft kurz und knapp zusammen: „Preise und Kosten bleiben hoch“. Um den Russen etwas Gutes zu tun, hat Moskau sich entschieden, die Importzölle für Schweine- und Rindfleisch zeitweise aufzuheben. Ab dem 01. März 2022 wird ein neues Gesetz Lebensmittel mit verbesserten Eigenschaften Raum geben. Diese werden in einer Mischform zwischen der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft angebaut.
Marode Logistik
Regionalität spielt in dem größten Land der Erde so gut wie keine Rolle. Zur Überbrückung der weiten Steppen und tiefen Wälder braucht Moskau eine funktionierende Transportlogistik. Für Erneuerung und Neubau der Wege will Russland über das Transportministerium bis 2035 jährlich drei Prozent seiner Wirtschaftsleistung ausgeben. Das Gesamtvolumen der Investitionen wird auf 600 Milliarden bis einer Billion Euro veranschlagt. Nach Berichten der gtai sind auch in Russland Lkw-Fahrer knapp, Ersatzteile und Diesel teuer. Die Frachtkosten zwischen St. Petersburg und Moskau sind innerhalb eines Jahres um 50 Prozent je Lkw angestiegen. Die Containerhäfen im Osten haben ihre Kapazitätsgrenzen erreicht.
Fazit
Der Russische Bär hat deutlich mehr Gründe auf seine Füße zu achten, als seine Krallen zu schärfen.
Lesestoff:
[1] Der Historiker Dimitri Trenin ist Direktor des Carnegie Moscow Center, dem Thinktank für Außenpolitik in Moskau. Im Interview mit „Die Zeit“ vom 09. Dezember kann auch die wirtschaftliche Integration der Ukraine für Moskau durch westliche Infrastruktur und Stationierung von US-Raketen als „Kuba-Effekt“ eine Bedrohung sein.
[2] Gewächshaus-Boom in Russland: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/gewaechshaus-boom-in-russland.html
[3] Der Sprung nach Afrika: https://herd-und-hof.de/handel-/eurasien-blickt-auf-afrika.html
Roland Krieg
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