Verantwortungsgemeinschaft Bauer und Jäger

Landwirtschaft

Biodiversität, Landwirtschaft und Jagd

In den 1930er Jahren wurden im gesamten Deutschen Reich 40.000 Wildschweine geschossen. Brandenburg hat im Jahr 2008/2009 alleine schon eine Sauenstrecke von 80.000 Tieren gehabt. 1957/58 wurden bundesweit 260.000 Wildsauen, im Rekordjahr 2008/2009 mehr als 650.000 Wildschweine geschossen. Hans-Dieter Pfannenstiel von der Hegegemeinschaft Baruther Urstromtal, das sich südlich von Potsdam und Berlin quer durch Brandenburg erstreckt, zeigte am Samstag auf einer Tagung von Jägern und Landwirten, dass sich die Wildschweinbestände auch schon vor der Ausdehnung des Maisanbaus ständig erhöht haben.

Wildschweine sind Nutznießer der Agrarpolitik

Innerhalb der Bundesrepublik weisen Hessen und Rheinland-Pfalz die höchsten Wildschweinbestände auf, obwohl dort der wenigste Mais angebaut wird. Der Jäger Pfannenstiel will den Mais nicht als Ursache für die hohe Wildschweinpopulation freisprechen, aber alleine sei er als Futtergrundlage nicht für die hohe Wilddichte verantwortlich. Frischlinge haben durch die milden Winter des Klimawandels erhöhte Überlebenschancen.
Aus ökologischen Gesichtspunkten heraus, sind nicht nur die Wildschweine ein Problem. Seit 1980 ist die Zahl der Vogelarten in Offenlanschaften um die Hälfte zurückgegangen. Größere Felder und steigender Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Mineraldüngern haben die Biodiversität nach Pfannenstiel aus der Balance geworfen. Die Intensivierung mit zwei Ernten pro Fläche und Jahr, die Nutzung ehemaliger Stillegungsflächen, die Förderung von Grassilage für die Biogasanlage zur Wiesenbrüterzeit, der Umbruch von Grünland und ein sinkender Grundwasserspiegel durch künstliche Beregnung sind durch Fördermaßnahmen entstanden. Nutznießer der Fördereffekte sind auch die Wildsauen.
Die sieben Prozent ökologische Vorrangfläche im Greening-Bündel der Reformvorschläge zur Agrarpolitik ab 2014 gehen den Jägern nicht weit genug und korrigierten nicht die Verfehlungen der EU-Biodiversitätsstrategie.
Nach Pfannenstiel sind die Probleme abnehmender Biodiversität und steigender Wilddichte jedoch ein gemeinsames Problem von Jägern und Landwirten und daher auch nur gemeinsam zu lösen.

Biogas als Chance für die Biodiversität

Das Thema Bioenergie kam auf die Landwirtschaft zu, als die Preise für Raps und Getreide niedrig waren. Aus der Einkommensalternative wurde schnell ein Betriebszweig, der durch den Strukturwandel seine Wucht hat entfalten können. Werner Kuhn vom Netzwerk Lebensraum Feldflur zeigte auf, wie sich die Landwirtschaft im Raum Würzburg verändert hat. 1965 wirtschafteten auf 1.100 Hektar noch 125 Landwirte. Im Jahr 2002 waren es nur noch 20 Landwirte auf 1.000 Hektar, von denen auch nur noch zwei ihren Betrieb im Vollerwerb führen.
Die Ideen der Lebensraum Brache, neue Artenvielfalt auf die Felder zu bringen, hatte nur kurzfristigen Erfolg. Die Wildäcker haben den Artenschwund nicht stoppen können. Derzeit entwickeln Saatgutzüchter neue artenreiche Ansaaten, die ihre ersten Bewährungsproben auch schon hinter sich gebracht haben. Wildpflanzenmischungen in mehrjähriger Nutzung werden bereits auf 900 Hektar in Deutschland angebaut. Die Mehrjährigkeit erhöht die Pflanzenvielfalt, senkt die Erosion, schützt die Oberflächengewässer, schont den Boden durch weniger Fahrten auf den Feldern und ist für Wildtiere und Honigbiene eine deutliche Verbesserung, so Kuhn. Der Lebensraumvorteil mache sich ab dem zweiten Jahr bemerkbar, wenn die Felder nur noch einmal zur Ernte befahren werden. Bei der Nutzung des heute weit verbreiteten Grünroggens finden Mahd und Stoppelbearbeitung gerade in der Brut- und Nestlingszeit statt.
Die Wildmischungen „laufen“ schon einige Jahre durch die Biogasanlage. Die Ergebnisse sind zufriedenstellend. Wildmischungen erzielen mit 250 Normliter Methan je Kilogramm organische Trockensubstanz das untere Ertragsniveau von Mais. Im ersten Jahr werden zwischen sieben und 12 Kilogramm Trockenmasse je Hektar geerntet, im zweiten Jahr waren es zwischen neun und 14, im dritten Jahr zwischen 12 und 17 Kilo. In jedem Standjahr prägen andere Gräser, Kräuter oder Stauden das Gesicht der Landschaft. Die vierjährigen Versuche zeigten, dass fast jedes Jahr andere Pflanzenarten das Gesicht des Feldes prägten und die Wirtschaftlichkeit des Wildpflanzenanbaus für die Biogasanlage sich ab dem zweiten Anbaujahr einstellt.
Daher bietet die Biogasnutzung nach Kuhn durch Wildmischungen Chancen für eine höhere Biodiversität auf deutschen Äckern. Derzeit wird im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik in Brüssel das Greening verhandelt und nach Kuhn stehen die Chancen nicht schlecht, dass Wildmischungen als Greening-Komponente akzeptiert werden.

Biodiversität in der Praxis

Der Biogaspark Felgentreu südlich von Berlin besteht aus 10 Biogasfermentern mit zusammen 8.500 kW, die 120.000 Tonnen Biomasse im Jahr verarbeiten. Die Wärme wird für ein Gewächshaus genutzt und die Aufbereitung zu Biomethan ist geplant, beschreibt Manfred Salm von der Tier- und Pflanzenproduktion Felgentreu die Energiegewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen.
Für den Anbau stehen 5.000 Hektar zur Verfügung, die aber auch Futter für Milchkühe und Mutterkuhherde liefern müssen. In diesem Jahr wurden auf 1.500 Hektar Wintergetreide, auf 2.250 Hektar Winterbegrünung mit Zwischenfruchtanbau und auf 950 Hektar Winterbrache als Stoppelfläche bewirtschaftet. Für das nächste Jahr hat Salm 2.700 Hektar Mais, 500 Hektar Sudangras, 100 Hektar Zuckerrüben und 300 Stilllegungsfläche eingeplant. Der Betrieb in Felgentreu will sich damit auf das Greening in der Agrarpolitik vorbereiten.

Alle Flächen sind mit Blühstreifen versehen, was sich auf 27 Hektar summiert. Auf vier Meter Breite wurden verschiedene Biogasmischungen ausgesät. Außerdem gibt es herbizidfreie Streifen von zehn Meter Breite zu Gewässern und sechs Meter zu benachbarten Ackerflächen sowie Lerchenfenster. Für die gesamte Mulchfläche hat sich Salm etwas Besonderes einfallen lassen. Die Vorschriften besagen lediglich, dass die Stillegungsfläche einmal im Jahr abgemulcht werden muss. Salm fährt zweimal auf die Fläche. Beim ersten Mal mäht er das Gras in einem 40 Meter breiten Streifen am Rand und in der Mitte des Schlages. Erst zum Ende des Sommers wird der Rest gemulcht. Zum Jahresende ist die gesamte Fläche gemulcht und Wildtiere und Insekten sowie Bienen finden eine Vegetation mit unterschiedlicher Wuchshöhe vor.
Im nächsten Jahr wird der Mais nach einer Zwischenfrucht in Schlitzsaat ausgesät, so dass der Boden die ganze Zeit mit Vegetation bedeckt ist. Was draus wird, weiß Manfred Salm noch nicht, der nicht nur Deutschland, sondern auch in Ungarn und Rumänien konventionelle und ökologische Betriebe geleitet hat.
Das bisherige Fazit von Salm: Die Biogasnutzung ermöglicht neue Anbauformen. Der Betrieb Felgentreu zeigt: Mit Eigeninitiative können Spielräume genutzt werden, die Jägern, Landwirten und der Biodiversität gleichermaßen nutzen können.

Ausstieg der Jagdgenossen?

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte im Sommer geurteilt, dass die Pflichtmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft nicht gegeben ist. Angesichts der hohen Wilddichte, taucht die Frage auf, ob eine flächendeckende Jagd daher überhaupt noch möglichj ist. Hans-Dieter Pfannenstiel möchte gegenüber Herd-und-Hof.de das Urteil nicht überbewerten. Selbst in Frankreich und Luxemburg, wo die Pflichtmitgliedschaft ebenfalls aufgehoben wurde, sind nur wenige Jagdgenossen dem jeweiligen Kläger gefolgt. Zudem sei die Nachbejagung auf dem Grundstück weiterhin erlaubt.
Kornelia Wehlan, Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses im Brandenburger Landtag aus der Fraktion Die Linke ergänzt, dass die Bezirke des Landes derzeit die regionalen Gegebenheiten überprüfen. Da ist das Thema auch richtig angesiedelt. Aus der Region des Baruther Urstromtales liege derzeit kein entsprechender Antrag vor.
Ausnahmen gibt es jedoch auch. Werner Kuhn berichtet von dem Sektengelände „Friedensreich“ bei Würzburg, wo Tiere und Pflanzen auf rund 300 Hektar sich selbst überlassen werden. In den benachbarten Jagdrevieren werden pro Jahr 250 Wildschweine geschossen und sind im letzten Jahr Wildschäden in Höhe von 21.000 Euro entstanden.

Lesestoff:

Aus dem Lebensraum Brache ist der Lebensraum Feldflur geworden: www.lebensraum-brache.de

Biogasforschung – auch mit Wildmischungen

Jagdgenossen können aussteigen

Roland Krieg

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