Verzicht auf betäubungslose Ferkelkastration

Landwirtschaft

Fahrplan Ferkelkastration mit vielen Fragezeichen

Ausgehend von der niederländischen „Erklärung von Noordwijk“ aus dem Jahr 2007 folgte ein Jahr später die „Düsseldorfer Erklärung“ des Deutschen Bauernverbandes, der Fleischwirtschaft und des Handels, so schnell wie möglich vollständig auf die Ferkelkastration zu verzichten. Ein Jahr später gründete sich die Koordinierungsplattform „Verzicht auf Ferkelkastration“ bei der QS GmbH, dem Prüfsystem für Lebensmittel. Mit deutscher Gründlichkeit wurde dann im Rahmen einer Novelle des Tierschutzgesetzes im Jahr 2013 der „Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration“ beschlossen, womit Deutschland gegenüber den EU-Nachbarländern als einziger mit einer rechtlichen Vorgabe vorangeht. Ziel für die Umsetzung ist der 01.01.2019. Zeit für das Bundesministerium für Ernährung Landwirtschaft (BMEL) und QS, 2,5 Jahre vor Beginn den aktuellen Stand zusammenzufassen und einen „Fahrplan“ für die restlichen Aufgaben aufzustellen. Die gemeinsame Tagung in Berlin an diesem Donnerstag zeigte aber die noch vielen offenen Fragen auf und hinterfragte den Termin.

„Keine Signale für Terminänderung“

„Wir bräuchten etwas mehr Zeit, weil es noch einige offene Fragen gibt“, sagte Mirjam Lechner von der Unabhängigen Erzeuger Gemeinschaft für Qualitätsferkel Hohenlohe-Franken (UEG). „Auch 2017 wird der Handel volumenmäßig nicht halten können.“ Denn Aldi und Rewe wollen bereits ab nächsten Januar aus der betäubungslosen Ferkelkastration austeigen.

Spätestens im Dezember 2016 muss das BMEL einen offiziellen Zwischenbericht vorlegen, der durch Bundestag und Bundesrat gehen wird. „Es gibt keine Signale für eine Änderung des Termins“, sagte Bernhard Kühnle aus dem BMEL. Die Debatten allerdings werden dann zeigen, ob Daten aus dem Gesetz geändert werden. Für den Handel ist die Antwort klar: „Das ist Gesetz und das kommt“, sagte Dr. Ludger Breloh von der Rewe AG. Da solle sich niemand Illusionen machen.

Warum die Unsicherheiten?

Nicht kastrierte männliche Schweine können unangenehm riechen. Sie bilden mit Androstenon und Skatol Stoffe, die spätestens beim Erhitzen den Aufenthalt in der Küche tagelang unangenehm machen. In Spanien und Großbritannien werden männliche Schweine schon mit 75 kg geschlachtet, so dass das Thema gar nicht erst auftritt. Erst in der Endmast bis 110 kg, und im Biobereich weit darüber bis 140 und 160 kg, fangen die Geruchsabweichungen bis hin zum „stinken“ richtig an. Daher werden männliche Ferkel kastriert. Eine landwirtschaftliche Praxis nahezu weltweit, von der Verbraucher kaum etwas wussten – bis niederländische Tierschützer das Thema auf die politische Agenda brachten.

Drei Alternativen haben sich bis heute herausgestellt: Der Eingriff des Entfernen der Hoden unter Narkose mit Kohlendioxid wie in den Niederlanden oder Isofluran. Nach der Betäubung wird ein Schmerzmittel für den eigentlichen Eingriff gegeben. Ein zweiter Weg ist die chemische Kastration mit Improvac, einem Wirkstoff, für den die Firma Pfizer noch zwei Jahre einen Patentschutz hat. Der dritte Weg ist die Mast unkastrierter Eber, die hohe Managementkünste für bestimmte Haltungs- und Fütterungsmaßnahmen erfordert. Vielleicht gibt es auch noch einen vierten, bis heute noch unentdeckten Weg. Das BMEL hält für diesen Fall Forschungsgelder bereit, sagte Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth. Alle drei Varianten haben ihre Vor- und Nachteile, werden aber nicht nur vom BMEL als gleichwertig angesehen. Doch heute ist die „Sorge um die Prozessqualität der Sorge um die Produktqualität“ gewichen, erklärte Flachsbarth.

"Denn Fleisch von kastrierten Ebern weist andere Eigenschaften auf", wie Dr. Wilhelm Jaeger von Tönnies Lebensmittel GmbH erklärte. "So wie auch bei Kastraten und weiblichen Schweinen eignet es sich nciht für jeden Verwendungszweck". Auf Grund der veränderten Fettsäurezusammensetzung oxidiert das Fett schneller, die Muskelstruktur ist gröber.

Dadurch ist Eberware nicht mehr für Dauer- oder Rohwurst geeignet. Schon vor der Tagung hieß es aus informierten Kreisen, "Stinker" könnten mit viel Aromastoffen in der Wurst Verwendung finden. Auch das Panel erkannte die Gefahr. „Stinker“ in der Wurst sollten auf keinen Fall mit Überwürzung und Überkochen übertuschen werden. Das würde ein ganzes Fleischwarensortiment diskriminieren.

Fleisch von nicht betäubungslos kastrierten Ferkeln eignet sich für den Frischfleischbereich und eingeschränkt für den Verarbeitungsbereich. Die Verwendungsmöglichkeiten müssen von allen Beteiligten in der Kette ausprobiert und getestet werden. Das gilt auch für den Export. Der südostasiatische Markt nehme kein Eberfleisch ab und kenne diese Diskussion gar nicht.

Mit Blick auf den Zeitrahmen geht es „in den Endspurt“, erklärte Dr. Hermann-Josef Nienhoff von QS. Wie soll die Branche mit dem „Zwischenspurt des Handels“ umgehen, der bereits ab 2017 umstellt, wie müssen sich Landwirte und Märkte zu Jahresbeginn 2019 umgestellten haben?

Handel forciert die Umstellung

„Das Thema ist uns wichtig“, sagte Dr. Breloh, der mit Rewe bereits 2017 Fleisch anbieten wird, das von nicht betäubungslos kastrierten Tieren stammt. „Vor allem Veredlungsprodukte sind ein wichtiges Sortiment. Der Ausstieg aus der betäubungslosen Kastration ist ein wesentlicher Bestandteil des Tierwohls“. Die drei vorliegenden Alternativen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden und hielten für jeden Betrieb ein Optimum für die Praxis bereit. Breloh räumt aber auch ein, dass die vertikale Produktion für die Handelsmarken einfacher umzustellen ist. Der Handel will auch keine Kennzeichnung, denn durch den internationalen Handel landet Eberfleisch aus den Niederlanden, „Improvac-Fleisch aus Belgien und Isofluran-Fleisch aus der Schweiz nebeneinander im Regal, erklärte Hans-Jürgen Matern von der Metro AG: „Wir akzeptieren alle Wege.“ Kaufland ist bei Eberfleisch skeptischer. Doch seit einigen Jahren macht der Supermarkt der Schwarz-Gruppe gute Erfahrungen und will das Segment ausbauen, sagte der für Fleischwaren zuständige Leiter Ralph Dausch.

Ein besonderes Thema ist die chemische Kastration. In Zusammenarbeit mit den Verbraucherzentralen in Nordrhein-Westfalen und Berlin überlegt sich die Rewe eigene Kommunikationswege. Improvac ist kein Hormon. Es greift aber in den Hormonstoffwechsel ein. Warnungen über Auswirkungen auf den menschlichen Hormonstoffwechsel stammen nach Kühnel eher aus der Branche und nicht von Verbraucher- oder Tierschutzschutzorganisationen. „Geimpfte Eber“ wären eine für den Verbraucher besser erklärbare Sprachregelug, schlägt Breloh vor. Daher sollte das Fleisch aus jeder Alternative nicht gekennzeichnet werden, um nicht den einen oder anderen Weg zu diskriminieren.

Der Handel sieht sich als Vorreiter. Ohne den Zwischenschritt 2017 würde der landwirtschaftliche Teil der Branche sich in den beiden letzten Jahren noch immer nicht ausreichend bewegen und „zu Beginn 2019 gegen die Wand laufen.“

Schweer fordert Folgenabschätzung

Für die Fleischindustrie scheint das Thema in der Praxis bewältigt. „Schnüffelnase und Sperma Sexing“ wurde zwar in den letzten acht Jahren von den Schlachthöfen versprochen, beklagte sich Mirjam Lechner. Doch Fortschritte gibt es nicht. Nach Dr. Heinz Schweer von der Vion GmbH ist die Geruchserkennung am Schlachtband auch mit der menschlichen Nase sicher. Alle 30 Minuten werden die Prüfer ausgetauscht. Schweer verweist auch auf die Niederlande, wo „Albert Heijn“ mit Eberfleisch in Vorleistung gegangen ist und mit dem Siegel „Beter leven“ Vorbild für andere Händler wurde. Die Diskussion in Deutschland verstehe er nicht. Was für die Großen gilt, ist aber auf die kleineren nicht übertragbar. Böseler Goldschmaus ist aus der Eberfleischproduktion wieder ausgestiegen: Die „Kunden wollten kein Eberfleisch“, sagte Dr. Gerald Otto vom Familienbetrieb im niedersächsischen Garrel. Gegenüber weiblichen Masttieren werde der Eberpreis „noch um einiges runtergehen“.

Für die Konzerne wird sich der Markt aufteilen: "Stinker" werden nach wie vor aussortiert. Wie hoch der Anteil in der Ebermast ist, verrät niemand. Auch auf dem Panel wurde eher vermutet: In etwa so hoch wie der Anteil "Binneneber". Bei diesen Tieren ist der Hoden in die Bauchhöhle gewandert und konnte nicht entfernt werden. Drei bis sechs Prozent sind „Geruchsabweicher“, für die Kunden Produktspezifikationen aufstellen können. Die Vielfalt an Masttieren wird unübersichtlich: weiblich, männlich, Eber oder kastriert mit Impfung oder unter Narkose. Nicht nur die Asiaten, auch die Italiener wollen kein Eberfleisch. Ein wichtiger Exportmarkt für bayerische Mäster. Schweer fordert daher eine Studie zur Folgenabschätzung vom Bundeslandwirtschaftsministerium, was Kühnle angesichts der zur Verfügung stehenden Zeit für zu kurz hält.

Probleme auf den Betrieben

Die größten Probleme aber gibt es auf der Erzeugerstufe. Die Ebermast hat nach Angaben von Schweer einen Anteil von zehn Prozent bei Vion, Null Prozent bei der Behandlung mit Improvac und zwei bis drei Prozent mit Betäubung. 2019 muss der Anteil bei allen drei Varianten irgendwie zusammen 100 Prozent ergeben. Betriebe, die in eines der Verfahren einsteigen wollen, brauchen rund ein halbes Jahr für die Umstellung, die bei der Ebermast auch baulich erfolgen muss: Mehr Platz und Trennung von männlichen und weiblichen Tieren. Da wird die Zeit äußerst knapp.

Schweinehalter und Berater Rainer Leicht aus Baden-Württemberg weiß dabei gar nicht mehr, zu was er den Betrieben raten soll. „Die Folgenabschätzung“ auf den Betrieben laufe bereits. Allerdings anders, als sich die Gesetzgeber das gewünscht haben. Die Betriebe stehen vor dem Hintergrund der niedrigen Agrarpreise vor dem Aus. „Bei manchen klappt´s, bei vielen klappt´s nicht. Bei vielen Kosten!“. Alle drei Varianten sind eine Verschlechterung des Tierschutzes. Der Landeskontrollverband hat diesen März eine Petition gegen das Inkrafttreten des Gesetzes gestartet [1]. Leicht hält die „gängige Kastration für die 4. Möglichkeit“. Die Ebermast eignet sich nicht für regionale Spezialitäten, die chemische Kastration ist nach der ersten Impfung kaum etwas anderes als eine Ebermast, und wird erst bei der 2. Impfung vor der Endmast wirksam. Der Wirkstoff Isofluran hilft nur beim Stressabbau zum Kastrieren. Zur Schmerzausschaltung muss ein zweites Mittel gegeben werden [2].

Derzeit werden die Kosten pro Schwein mit fünf Euro verrechnet und Bayerns Bauernpräsident Walter Heindl fürchtet, dass die Landwirte auf den Kosten sitzen bleiben. Und das erhöht den Druck auf die landwirtschaftlichen Betriebe. Sowohl Franz Beringer von der Erzeugergemeinschaft Oberbayern als auch Schweinehalter Florian Hollmann aus Niedersachsen halten die Lage auf den Betrieben für schwierig. Wenn die Fleischwirtschaft mit der Differenzierung nach Kastrationsart beginnt, beginnt ein Strukturbruch, weil die Betriebe sich für jeweils nur eine Möglichkeit entscheiden müssen. Auf Grund der kleinen Strukturen in Süddeutschland müssten sich Ferkelerzeuger regional gemeinsam für eine Alternative entscheiden, um die hohen Mengen an Schweinefleisch erzeugen zu können. Für Beringer steht dabei auch eine ganze Essenkultur an regionalen Speisen auf der roten Liste. Die Handelsströme endeten in einem „Wirrwarr“.

Hubert Kellinger vom Verband der Fleischwirtschaft spricht aus, was viele denken: „Weil das Thema Kastration „draußen“ niemand wirklich interessiert, sind auch keine höheren Preise nach dem Ausstieg aus der betäubungslosen Kastration durchzusetzen. Bislang haben wir uns nie um das Endprodukt gekümmert.“ Sein Resümee der Tagung: „Es ist ein Tag der Unsicherheit auf allen Stufen.“ Vor allem bei den kleinen Erzeugungsketten scheint niemand den 01.01.2019 wirklich ins Auge zu fassen. Dabei müssen Erzeuger, Mäster und Metzger sich in den nächsten 2,5 Jahren gemeinsam abgestimmt haben, wie sie das Gesetz umsetzen wollen.

Lesestoff:

[1] Petition gegen Verbot der betäubungslosen Kastration: www.lkvbw.de -> Erzeugerringe

[2] Isofluran ist in Deutschland für die Anwendung bei Schweinen grundsätzlich nicht zugelassen. Es darf aber nach Umwidmung des Veterinärs individuelle angewandt werden. Nach Michael Dreyer ist es den Ökobetrieben freigestellt, es zu verwenden. Alternativen sind eine Ketamin-Azaperon-Kombination oder eine Kombination mit Meloxicam nach Isofluran. Verabreicht werden darf das Mittel ausschließlich vom Veterinär.

Positionspapier zur Ferkelkastration des Landesbauernverbandes BW

Roland Krieg

[Der Text wurde am 14. Juni im Absatz zur Produktqualität geändert; Roland Krieg]

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