Vier Wochen Milchproteste in England
Landwirtschaft
Britische Milchbauern: „Well here we are back again!“
Anfang Juli startete die britische Bauernorganisation Farmers for Action (FFA) eine neue Milchkampagne. Im Jahr 2000 gründete sich die FFA, weil Bauern mit der Effektivität der Agrarindustrie unzufrieden waren. Anfang Juli hat die FFA Signale einiger größerer Milchbauern aufgegriffen, die vor den sich abzeichnenden Milchpreissenkungen im August warnten. Auslöser ist eine Werbung des britischen Lebensmittelhändlers Tesco gewesen, der Preissenkungen auf Frischkäse ankündigte. Auch die Kette ASDA hat nach Ansicht der FFA begonnen, Molkereiprodukte zu verramschen. Die gleiche Diskussion und Forderungen wie beim Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) in Deutschland.
Da die FFA auch in den Vorjahren die Bauerndemonstrationen gegen fallende Milchpreise initiierte, hieß es gleich zu Beginn am 02. Juli: „Well here we are back again with falling milk prices!“. Und damit war auch die FFA wieder zurück auf der Straße. Vorsitzender David Handley stellte den Molkereien ein Ultimatum bis zum 01. August, alle Milchpreissenkungen seit April 2012 wieder zurückzunehmen und warnte vor einem Milchlieferstreik.
Proteste landesweit
Im Gegensatz zur Situation in Deutschland demonstrieren FFA und der britische Bauernverband National Farmers Union (NFU) gemeinsam. Zum Protest vor der Westminster Abbey am 11. Juli bot der NFU Bustranfers aus den Regionen nach London an und nahm auch die FFA-Bauern mit. Einen Tag später hat die Co-operative Group für ihre Milchbauern eine sofortige Preiserhöhung von 2,5 Pence je Liter und um 4,27 Pence je Liter ab dem 01. August angekündigt. Bauernpräsident Peter Kendall von der NFU begrüßte das als Garantie für einen fairen Preis. „Aber“, so Kendall weiter, „auch wenn das ein wichtiges Signal ist, der Handel muss sich ebenfalls bewegen und ein nachhaltiges Preismodell für den Milchsektor umsetzen.“
Zwischenzeitlich wurde vorgeschlagen, Milchkühe aus der Produktion zu nehmen, um die Marktversorgung für höhere Milchpreise zu kürzen. Die FFA warnte davor, dass „Schlachten“ in diesem Zusammenhang die öffentliche Unterstützung für die Proteste gefährde und die Rindfleischpreise nach unten ziehe.
In der letzten Woche weiteten sich die Proteste landesweit aus und Waliser Milchbauern haben beispielsweise die Molkerei in Somerset blockiert. Die Bauern nehmen sich die Händler auch gezielt vor. Als am vergangenen Samstag Asda im schottischen Inverness eine neue Filiale mit der Werbung „Die billigste Milch in ganz Schottland“ aufmachte, zogen die Milchbauern gleich vor Ort auf.
Erste Erfolge
ASDA überlege sich gerichtliche Schritte gegen die FFA. Bei den Milchprotesten im Jahr 2010 unterlagen sie allerdings vor Gericht, so dass die FFA nur von einem Strohfeuer ausgeht. Im Gegenteil habe Asda den Erzeugerpreis am 24. Juli um zwei Pence je Liter erhöht.
Auch das wertet Peter Kendall von der NFU als positives Zeichen. Ebenso hat die Molkerei Morrison die Erzeugerpreise erhöht. Wegen der anhaltend schlechten Witterungsbedingungen legt Morrison von August bis Oktober drei zusätzliche Pence je Liter oben drauf. „Das sind gute Nachrichten, doch die Arbeit ist damit noch lange nicht getan“, so Kendall. Von diesen Preiserhöhungen profitieren nicht alle Milchbauern in England. Als nächstes will sich die Milchkampagne die Discounter vornehmen.
Asda
Asda hat mit seiner Preiserhöhung nach eigenen Angaben die geplante Milchsenkung für den 01. August zurückgenommen. Durchschnittlich bekommen die Asda-Milchbauern 30.000 Pfund im Jahr mehr für ihre Milch. Außerdem werde in eine neue Verarbeitungsstätte für Butter in Westbury investiert, was den Bauern eine langfristige Perspektive bieten soll. Asdas Verkaufsdirektor Karl Martin sieht in der Trinkmilch nur die eine Hälfte der Geschichte. Die andere sei der internationale Wettbewerb für Butter und Frischkäse. Der Weltmarkt soll den Bauern langfristige Einkommensstabilität bringen.
Auf Anfrage von Herd-und-Hof.de teilt ein Firmensprecher noch weitere Details mit: Demnach hat Asda als erster die Preiserhöhungen zugesagt, weil sie den Druck steigender Betriebsmittelpreise verstanden haben. Nach der zugesagten Erhöhung der Asda-Milchpreise folgen im August weitere zwei Pence je Liter, die bis Jahresende zugesagt sind. Damit zahle Asda einen um fünf Pence höheren Preis als der Durchschnitt der Dairylink-Bauern. Die Bauern erhalten dann 29,5 Pence.
Neben diesen kurzfristigen Maßnahmen werde Asda zusammen mit den Milchbauern ein Sicherungsmodell entwickeln, das der britischen Milchindustrie ein nachhaltiges Auskommen sichere.
Petition und Boykott
Die FFA hat eine Online-Petition eingerichtet, die bis zum 16. August unterzeichnet werden kann. Sie richtet sich direkt an das Landwirtschaftsministerium und fordert einen gerechten Milchpreis.
Durchschnittlich liegt der Erzeugerpreis bei 25 Pence je Liter, was weder einen Gewinn, noch Investment oder eine Altersvorsorge erlaube. Während dessen setze der Handel Dumpingmilch in der Werbung ein, um Kunden in das Geschäft zu locken. So wird der in England handelsüblicher 2,27 Liter-Container für 1,18 Pfund verkauft. Das entspreche einem Milchpreis von 0,52 Pence je Liter für den Konsumenten. Die Molkereien erhalten davon 84 Pence, also 37 Pence je Liter. Beim Milchbauern kommen von dieser Milch nur 57 Pence, umgerechnet 25 Pence je Liter an. Die Kosten für einen Liter Milch belaufen sich aber auf 30 Pence je Liter, so dass derzeit die Bauern elf Pence je Liter für dieses Gebinde dazulegen.
Was in der britischen Tradition des Boykotts möglich ist, wird auch umgesetzt. Die FFA hat eine Liste von Händlern und Molkereien erstellt, wo die Kunden keine Milch kaufen sollen. Der englische Landwirtschaftsminister Jim Paice will über das englische Parlament die Errichtung einer Schiedsstelle für den Lebensmittelhandel erreichen. Und zuletzt sollen die Erzeugerorganisationen das Preisungleichgewicht langfristig beseitigen.
Die Proteste sind nur der Anfang. Jim Paice hat zusammen mit den Landwirtschaftsministern Alun Davies (Wales) und Richard Lochhead (Schottland) einen „Code of Conduct für die Vertragsgestaltung mit den Milchbauern angekündigt. Verarbeiter sollen ihn noch in diesem Jahr umsetzen.
Preisknick auch weiterhin in Deutschland
Grundsätzlich ist die Situation in Deutschland nicht anders. Schon im Mai forderte Hessens Landesbauernpräsident Friedhelm Schneider, dass die Milch teurer werden muss.Das Bundeslandwirtschaftsministerium gab der Milchindustrie die Schuld, da sie die Möglichkeiten der Intervention nicht nutzten. Von einer Krise sprach aber nur der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM).
Ob das reicht? In dieser Woche haben Discounter neuerlich einen Preisrutsch verursacht und der Deutsche Bauernverband (DBV) kann gerade bei den sommerlichen Temperaturen, wenn die Kunden Milchfrischgetränke und Eis stärker nachfragen die Preissenkung weder verstehen noch nachvollziehen. „Vielmehr müsste die erhöhte Nachfrage und der erfreulich starke Export von Frischmilch nach Südeuropa preisstabilisierend wirken“, teilte der Verband mit.
Der DBV erwartet schlimmeres: Die Trockenheit in den USA werde die Futtermittelkosten und damit die Kosten für die Milchproduktion steigen lassen. Die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft AMI vermerkt, dass die Sojapreise bereits weit vor der Ernte wegen ständig nach unten revidierter Ernteprognose mit 500 Euro je Tonne ein Allzeithoch erreicht haben. Das Milchleistungsfutter für Kühe hat seit Jahresbeginn von 221 auf 254 Euro je Tonne zugelegt. Im Januar 2010 lag der Preis noch bei 156 Euro.
Nicht nachvollziehbar seien die niedrigen Milchpreise auch vor dem Hintergrund, dass Verarbeiter und Handel zunehmend Nachhaltigkeitsstrategien verabschieden. Darin müssten ökologische, ökonomische und soziale Aspekte berücksichtigt werden und den Milchbauern einen fairen Preis gewähren.
Von einem neuerlichen Milchstreik wie in England ist Deutschland weit entfernt. Der DBV appelliert an die Marktbeteiligten für einen fairen Milchpreis zu sorgen.
Lesestoff:
Anfrage im Bundestag zum Milchpreis
Roland Krieg; Foto: FFA; Plakat: NFU