Vom Bauer zum wirtschaftlichen Ökosystemwirt
Landwirtschaft
Zweites Berliner Nachhaltigkeitsforum
Intensivierung hat mit Produktivitätssteigerung nichts zu tun. Dr. Anton Krause, Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Nachhaltige Landwirtschaft (FNL), verweist auf „grundlegende Missverständnisse“ in der Öffentlichkeit. Die Steigerung der Produktivität werde bei gleichbleibendem Betriebsmitteleinsatz und gestiegenem Ertrag erreicht, oder sogar ein höherer Ertrag bei reduziertem Einsatz von Dünger, Pflanzenschutzmitteln oder Wasser. Nachhaltigkeit ist das große Thema, zehn Milliarden Menschen auf der Welt zu ernähren, ohne die natürlichen Ressourcen zu schädigen. Wie das gelingen kann, war Thema des 2. Berliner Nachhaltigkeitsform der FNL in Berlin. Dr. Kraus: „Wir müssen den richtigen Weg finden, damit wir auch morgen noch satt werden!“
Nachhaltigkeit als Prozess
„Es gibt aber keine einfachen Antworten“, warnte Dr.
Thomas Kirchberg, Vorstandsmitglied der Südzucker AG. Die Landwirtschaft hat
sich von einer „Old Economy“ zu einem Wachstumsmarkt entwickelt, der längst
ohne Europa eine eigene Dynamik aufweist. So wächst der Milchkonsum in China
jährlich um 25 Prozent, obwohl die meisten Chinesen laktoseintolerant sind.
Im Ergebnis werde sich die Flächenverfügbarkeit von 0,5
Hektar pro Kopf im Jahr 1950 auf 0,15 Hektar im Jahr 2050 reduzieren. Wasser
und Land sind die knappen Faktoren. Eine Steigerung der Erträge ist
unausweichlich, aber stocke derzeit. Zwischen 1960 und 1990 haben die Getreideerträge
um durchschnittlich vier Prozent zugelegt, heute ist es nur noch ein Prozent im
Jahr und in Deutschland sogar nur noch 0,6 Prozent. In Lateinamerika und Afrika
können zwar noch Böden unter den Pflug genommen werden, doch reiche das nicht
aus, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Effizienzgewinn heißt die
Devise. Nicht nur in Afrika. In Bulgarien werden heute lediglich 3,6 Tonnen
Getreide von einem Hektar in die Scheune gebracht, ohne zusätzliche Bewässerung
könnten 8,5 Tonnen eingefahren werden. Damit kann Europa seinen Flächenrucksack
im Ausland reduzieren [1].
Die Bauern stehen im Mittelpunkt: Die Nachhaltigkeit
ist eine Balance zwischen Subsistenzbauer und industrieller Agrarindustrie. Die
Kleinbauern in den Entwicklungsländern sollen als Schlüssel für die Ernährungsfrage
unterstützt, aber nicht konserviert werden, so Dr. Kirchberg. Damit erteilt er auch
den Exporten aus Deutschland und der EU eine Absage. Sie können einzelne Märkte
bedienen, aber keinen Beitrag zur Welternährung leisten.
Komplexes Thema
Nachhaltigkeit wird für Dr. Kirchberg zu einseitig diskutiert. Wer auf selektive Pflanzenschutzmittel in der Stoppelbearbeitung verzichten will, der müsse wieder zum Pflug greifen. Wer den Boden nicht mehr verdichten will, der muss nicht auf Extensivierung zurückgreifen. Die Diskussion um die grüne Gentechnik werde zu einseitig auf die Firma Monsanto gemünzt. Die USA zeigen, dass die Fokussierung auf eine Anwendung nur eines Herbizides alles andere als nachhaltig ist. In den Entwicklungsländern ist die Vermeidung von Ernte- und Nachernteverlusten prioritär.
Populäre Irrtümer
Die Öffentlichkeit diskutiere drei Irrtümer, mit denen
Dr. Kirchberg aufräumen will. Die Sicherung der Welternährung brauche keine
billigen Nahrungsmittel. Hohe Preise führen zwar zu Konflikten bei der
städtischen Bevölkerung, niedrige Preise geben den Landwirten aber keinen
Anreiz, mehr zu produzieren. Die Agrarpolitik könne keine Sozialpolitik zur
Bekämpfung der Armut sein.
Bioenergie wird leidenschaftlich als einer der
Verursacher für Hunger diskutiert. Weltweit wird sie aber nur auf 30 Millionen
Hektar Fläche angebaut. Das Thema sei umfassender, denn auch der Weinanbau
beansprucht elf Millionen Hektar und Baumwolle sogar 34 Millionen.
Kirchberg verwahrte sich gegen die Gleichung, dass
große Betriebe große Umweltschäden hervorrufen. Kleine und mittelgroße Betriebe
seien nicht per se ökologischer.
Der Ökosystemwirt
Indirekt bestätigte das Florian Schöne, Umweltpolitiker
des Naturschutzbundes Deutschlands. Vielmehr sind die großen Schläge in den
Verruf gekommen. Felder werden von Rand her besiedelt und Schläge von mehr als
100 Hektar seien eine Versiegelung für Tiere. Die Schlaggröße habe sich in den
letzten Dekaden verdreifacht und führe zu einem Artensterben wie in den 1970er
Jahren durch Mechanisierung und Intensivierung.
Vorzüge des Ökolandbaus sind nach Schöne die Ausrichtung
auf beobachtete Naturkreisläufe, die imitiert werden. Natürlich müssten die Betriebe
auch einen Gewinn erwirtschaften, aber ohne die „ökologische Nachhaltigkeit berauben
wir uns unserer Produktions- und Lebensgrundlage.“ Die großen Betriebe können
mit kleinen Korridoren wieder mehr Nützlinge etablieren. Das Greening sei daher
der richtige Weg für ein Mindestmaß an Nachhaltigkeit.
Schöne plädierte für einen neuen Weg des Naturschutzes.
Mit Segregation werden Regionen in Schutz- und Schmutzgebiete unterteilt. Das
müsse auf einer Fläche stattfinden, so Schöne. Der Landwirt wird zu einem Ökosystemwirt,
der auf seinen Flächen Sölle, Niedermoore, neue Fruchtfolgen und Brachflächen
erlaubt. Dazu brauche es einen Ordnungsrahmen.
Moderne Züchtung überdenken
Nach Udo Hemmerling, stellvertretender Generalsekretär
des Deutschen Bauernverbandes, können sowohl ökologische als auch
konventionelle Betriebe durch ein gutes Management nachhaltig geführt werden.
Er sprach sich für standortangepasste Lösungen aus, die regionale
Ökoeffizienzen zulassen. Bevor die Praktiker aber loslegen, müsse mehr Geld in
Forschung und Entwicklung investiert werden, damit evidenzbasierte Lösungen die
komplexen Situationen abbilden können.
Hemmerling glaubt nicht mehr an eine transgene
Gentechnik, bei der Gene einer Pflanze auf eine andere übertragen werden. Mehr Chancen für eine gesellschaftliche
Akzeptanz hat die molekularbasierte Züchtung innerhalb einer Art zur
Verbesserung des Nährstoff- oder Wasserhaushalts.
Glaubwürdigkeit kommunizieren
Dass die öffentlichen Diskussionen derzeit so konfrontativ sind, liegt nach Janina Bethscheider vom Institut für Nachhaltiges Management (IfNM) an den vielen verschiedenen „Experten“, die sich über Landwirtschaft und Ernährungsindustrie Gedanken machen. Vom Privatmenschen der seine Meinung im Internet kundtut, über NGO bis Politik, Wissenschaft und Berufsstand. Der Blick in die Zeitungen zeige, dass schlechte Nachrichten vorherrschen und die erzielten positiven Ergebnisse unterdrücken. Wer aber einfach, verlässlich und transparent kommuniziert, erreicht beim Verbraucher einen Vertrauensstatus, der zu gesellschaftlicher Akzeptanz führe. Hilfreich wäre dabei, den Grad an Idylle zurückzufahren und mehr Realität zu wagen, empfiehlt die Kommunikationsexpertin.
Lesestoff:
[1] Wie viel Fläche im Ausland braucht der europäische Konsum?
Roland Krieg