Von der Markt- in die Sinnkrise?
Landwirtschaft
Agrarmarkt: Lösungen dringend gesucht
Gibt es eine Ökonomie außerhalb der Politik? Für Wladimir Putin ist die Antwort klar. Dieses Jahr sagte er nach dem Gipfeltreffen der BRICS-Länder: „Die Ökonomie ist tief in der Politik vergraben und wird vermehrt für politische Ziele instrumentalisiert. Daraus müssen wir unsere Schlüsse ziehen.“ [1] Der Weltmarkt war zu Zeiten des Kalten Krieges einfach: Der Handel mit Freunden hat die geopolitische Struktur aufrechtgehalten. Vielleicht gab es nach Zusammenbruch der UdSSR einen kurzen Moment des wirklichen globalen Handels – der aber ist schnell wieder vergangen. Es sind nicht nur die aufstrebenden Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika (BRICS), die eine neue Handelstektonik schaffen oder der seit den 1980er Jahren gewollte Süd-Süd-Handel, wie zwischen Brasilien und Afrika, es ist auch weiterhin die Politik, die Handelsströme bestimmt. Das Embargo Russlands, die Fünf-Jahrespläne Pekings, die über die Importe bestimmen und zuletzt schrammte ganz Fernost an einer Katastrophe vorbei, bis Nord- und Südkorea dann doch wieder „zueinander“ fanden. Was kommt als nächstes? Die Inseln im südchinesischen Meer? Geht es im mittleren Osten noch weiter abwärts? Der Händler hat darauf keinen Einfluss.
Bauern …
Verlangsamtes Wachstum in China mit fast panikartig zu Wochenbeginn gefallenen Aktien- und Rohstoffmärkten, niedriger Ölpreis sowie trotz Hitze und Dürre eine Rekordweizenernte in Frankreich von mehr als 40 Millionen Tonnen bei gleichzeitig langsamem Start der Exporte aus der EU wegen der Billigpreise Russlands, fasst Österreich diese Woche die Marktaussichten zusammen. Kein Wunder, dass die Bauern europaweit auf die Straße gehen. Sie können kaum noch kostendeckend produzieren. Egal, ob Milch, Fleisch, Obst, Gemüse, Getreide oder Raps. Der Kessel der Ärgernis kann den Dampf kaum noch halten, denn die „Krise“ währt schon zu lange. Vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium in Berlin versammelten sich polnische und deutsche Bauern, um die drei Agrarminister Marek Sawicki aus Polen, Stéphane Le Foll aus Frankreich und Christian Schmidt aus Deutschland zu einem „neuen Deal“ in der Agrarwirtschaft aufzufordern.
… und Politiker
Im Rahmen des Weimarer Dreiecks [2] trafen sich Schmidt, Le Foll und Sawicki bei einem Zwischenstopp in Berlin. Derzeit wird viel miteinander konferiert. Le Foll hatte bereits Treffen mit südeuropäischen Agrarministern hinter sich, Schmidt mit Bauernpräsident Joachim Rukwied und parallel trifft sich EU-Agrarkommissar Phil Hogan mit weiteren Kolleginnen und Kollegen für die Vorbereitung des Sonderagrarministertreffens am 07. September zur Überwindung der Preismisere.
Viel Diplomatie: „Die Lage ist wie in anderen Ländern schwierig“, sagte Schmidt und forderte mit Blick auf Brüssel: „Wir wollen Ergebnisse“. Im Topf sind alte Werkzeuge: Liquiditätshilfe, Höhe, Dauer und Volumen der Intervention, private Lagerhaltung, Ausschöpfen bestehender Hilfspakete, Suchen nach neuen Märkten außerhalb der EU sowie Innovationsförderung. Das ist nicht nur die Stimme des Weimarer Dreiecks, sondern auch die Grenze, die Phil Hogan gezogen hat [3]. Mehr ist nicht zu erwarten. Alles andere ist Traum – Weltmarkttraum.
Wie lang dauert eine Krise?
Allen dreien glitt das Wort „Krise“ leicht und wiederholt aus dem Mund. Sie soll begonnen haben, als Russland vor über einem Jahr das Embargo gegen EU-Agrarprodukte errichtete. Dann wollte China nicht mehr so viel importieren; jetzt hat Russland das Embargo ein Jahr verlängert. Ein schnelles Ende der „Krise“ ist nicht absehbar.
Der Internationale Getreiderat ICC in London hat seine Weltgetreideernte um 18 Millionen Tonnen nach oben korrigiert. Weizen und Futtergetreide werden in diesem Jahr das Volumen von 1.988 Millionen Tonnen erreichen. Das ist zwar ein Prozent weniger als 2014. Doch das letzte Jahr war ein Rekordjahr [4]. Daher freuen sich die deutschen Schweinehalter schon, wenn das Kilo Schlachtgewicht in den Niederlanden und Belgien aktuell um ein Cent gestiegen ist. Schon im letzten Jahr freute sich Deutschland über die Politik der kleinen Schritte und konnte neben Schweinenebenprodukte auch 72 Sportpferde nach China exportieren, wie Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, süffisant anmerkte [5]. Das ist alles andere als ausreichend.
Nicht nur Überproduktion
Wer handeln will, der muss über dem Selbstversorgungsgrad produzieren. Europa ist noch immer einer der stärksten Agrarhandelsregionen und Deutschland kommt ohne Exporte wirtschaftlich nicht aus. Mittlerweile wird mehr als jeder vierte Euro im Agrarbereich über den Export eingenommen. Aktuell behauptet sich der Agrarexport „trotz schwierigem Umfeld“ wie die German Export Association for Food and Agriculture (GEFA) aktuell belegt. Im ersten Halbjahr 2015 sind die Werte für Agrarausfuhren um ein Prozent leicht über das Vorjahresniveau geklettert. Da allerdings die Preise gesunken sind, konnte das nur über ein Plus von zehn Prozent im Volumen erreicht werden. Der größte Teil des Exports bleibt in der EU - 24 Milliarden Euro, 75 Prozent Anteil. Während der schwache Euro beim Handel mit Drittländern den Austausch begünstigt, hemmt er den Binnenhandel, erläutert Dr. Franz-Georg von Busse, Sprecher der GEFA. In Drittländern hilft das Image „Made in Germany“ noch immer. Vor allem sind Exporte nach Afrika erfolgreich. Die TOP 3 Zielländer sind Algerien (342 Mio. Euro, +191,6%), Marokko (201 Mio. Euro, +28,7%) und Südafrika (129 Mio. Euro, +9,1%).
Exportförderung
Die Exportprofis spüren jedoch zunehmenden Wettbewerb. Austauschbare Bulkware können auch andere Länder mittlerweile in hoher Qualität liefern. Gefragt ist die Spezialität. Der Wettbewerb resultiert nicht nur aus neuen Exportländern, sondern vor allem durch systematische Bearbeitung der Auslandsmärkte. Deutsche Messebeteiligungen und „Bayerische Wochen“ in den USA oder Asien verfehlen nicht ihr Ziel. Was aber machen die Wettbewerber?
Die Amerikaner reisen mit Marktexperten und Aktenordnern durch die Welt und überzeugen Landwirte und Importeure mit Studien über Vorzüge von US-Ware. Jeder Agrarsektor hat seine professionelle Vermarktungsorganisation. Für Getreide ist es das U.S. Grains Council, dessen Vizepräsidentin Kimberly Atkins am Wochenende über den amerikanischen Erfolg berichtete. Das Council bricht langsam Handelsbarrieren von Standards oder Zollsätzen, nimmt direkt Kontakte mit den Zwischenhändlern auf, die in die USA zur Besichtigung von Produktionsstätten eingeladen werden und generieren damit neue Absatzmärkte.
Für Asien gibt es eine neue Absatzinitiative für Ethanol aus Mais. China hat Bedarf nach diesem Stoff und Japan will Getreideethanol in seine Energiewende einbauen. Das Embargo gegen Kuba hat den Amerikanern einen deutlichen Wettbewerbsnachteil gebracht – wenn direkte Zahlungen erlaubt werden, werden die USA vor allem wegen logistischer Vorteile den großen Importbedarf an Rohstoffen und verarbeitender Industrie decken. In China und Mexiko gibt es neues Personal ausschließlich für die Getreideexporte.
Allein die USA hat das Potenzial zur Verdrängung Europas. Nach Japan werden 12 Millionen Tonnen Getreide pro Jahr exportiert, nach Mexiko 10,9, nach Kolumbien 4,4, 3,9 nach Südkorea und 2,4 Millionen Tonnen nach Peru. Nach Taiwan, Ägypten, Saudi Arabien, Kanada und Guatemala sind es jeweils zwischen 0,9 und 1,8 Millionen Tonnen. Stichtag für die Zahlen ist der 20. August 2015. Zusammen entspricht das der Exportmenge der gesamten Getreideernte Deutschlands.
Leben von der Hoffnung
Die großen Trends bleiben unverändert: Flächen- und Wasserknappheit, wachsende Bevölkerung mit veränderten Verzehrgewohnheiten erfordern mehr Lebensmittel. Da bleibt auch China attraktiv. Das Reich der Mitte wird jährlich 15 Prozent mehr Lebensmittel importieren müssen. Deutschland liefert heute meist Fleisch und Wurst, Molkereiprodukte, Bier, pflanzliche Lebensmittel und Backwaren. Die Exportwirtschaft wird in diesem Jahr noch auf der „Wine & Spirits Fair“ in Hongkong und auf der „Food & Hotel“ vertreten sein. Für nächstes Jahr sind bereits Messebeteiligungen für die „Vinexpo Asia-Pacific“ und erneut die „Food & Hotel“ eingeplant. In China schreitet die Urbanisierung rasant fort. Gab es im Jahr 2010 noch 126 Millionenstädte, werden es 2025 bereits 221 sein. Im gleichen Zeitraum wird die Zahl der Megastädte mit mehr als zehn Millionen Menschen von vier auf 8 bis 10 steigen. Derzeit ziehen jährlich 20 Millionen Menschen in die Städte. Diese werden einen Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 90 Prozent aufweisen.
Dennoch ist China kein einfacher Markt. Viele Länder haben das Rennen um Registrierung, Zulassung und lokale Verpackungsanforderungen aufgenommen. Der Zahlungsverkehr wird streng überwacht. Jedem Transfer muss ein Waren- oder Deinstleistungsgeschäft zugrunde liegen. Ob lokaler Markt, Verarbeiter oder Lebensmitteleinzelhandel: Ausländer müssen ihre Waren an eine Importgesellschaft verkaufen, die nicht nur die Papierarbeit bis hin zu Etikettierungsvorschriften übernimmt, sondern auch die Distribution im Land. Deutsche Molkereiprodukte waren bis vor kurzem ein Qualitätsrenner in China. Derzeit gelten sie noch als wettbewerbsfähig gegen Milch aus Australien und Neuseeland. Doch die australischen Minengesellschaften ziehen ihr Geld aus dem Rohstoffmarkt zurück. Lohnender ist die Investition in die Agrarwirtschaft. Gina Rinehart, die reichste Frau Australiens, kauft aber kein Land mit Mastrindern, sondern baut gleich eine eigene Molkerei mit Pulverturm. 30.000 Tonnen Milchpulver sollen jährlich nach China gehen. Forrester hat mit Harvey Beef in Westaustralien den einzigen Rindfleischerzeuger aufgekauft, der eine Exportlizenz für China hat. Wo liegen die deutschen Chancen?
Der Online-Händler cityshop.com in China vertreibt mehr als 10.000 Produkte aus dem Ausland. Auserlesene Waren, die zunächst die Auslandsvertreter erreichen. Deren Konsum dient dem Händler als Multiplikator für den Aufbau einer chinesischen Konsumentenschicht. Die Shops sind aber in „High End Business Aereas“ gelegen. Die Gewinnmarge liegt bei 50 Prozent. Eine Vermarktung nur für Spezialisten.
Exporterstattung?
So könnte das Thema Exporterstattung am kommenden Montag ein Ergebnis sein. Stéphane Le Foll und Marek Sawicki haben es deutlich ausgesprochen. Christian Schmidt hingegen verweigert sich, weil er eine Gefahr für die Entwicklungsmärkte sieht. Eine Exportoffensive im Rahmen von Marketingaktivitäten hingegen sei denkbar. Exporterstattung als Entlastung für den Binnenmarkt hält Milchmarktexperte Erhard Richarts vom ife-Institut Kiel für sinnvoll. Dafür könnten die 900 Millionen Euro Superabgabe verwendet werden, die von der EU als Strafzahlungen für erhöhte Milchmengen aus dem letzten Quotenjahr eigenommen hat. Ein Drittel stammt aus Deutschland.
PLU
Die private Lagerhaltung (PLU) wird möglicherweise in Brüssel eine Rolle spielen. Von den drei Ministern ausdrücklich gewünscht, wehrt sich die Branche der Schweinehalter (ISN) gegen dieses Instrument. Erst im Frühjahr wurden 17 Millionen Euro Steuergelder für die PLU ausgegeben und haben den folgenden Preissturz nicht aufhalten können. Zwar habe die Lagerhaltung das Angebot gesenkt, doch auf dem Markt ist auch die Nachfrage gesunken. Statt der Betriebsleiter hätten nur die „Kühlhausbetreiber von der besseren Auslastung ihrer Lagerkapazitäten profitiert“. Ihre Bedenken haben die Schweineproduzenten sogar in einem offenen Brief an Minister Schmidt mitgeteilt. Bislang ohne Ergebnis. Die ISN geht sogar noch weiter. Sie formuliert: „Staatliche Markteingriffe sind Steuerverschwendung und kontraproduktiv.“
Bettelbrief aus Bayern
Bayerns Bauernpräsident Walter Heidl hat sich in der letzten Woche den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) vorgenommen und in einem offenen Brief den Verzicht auf „Schleuderpreise“ eingefordert: „Landwirtschaftliche Erzeugnisse werden frei gehandelt. Doch der LEH hat eine Rabattschlacht mit Grundnahrungsmitteln angezettelt. Mit diesem Preiskampf soll die Marktmacht der einzelnen Konzerne weiter ausgebaut werden. Das schadet Erzeugern und Verbrauchern gleichermaßen. Die Konzerne betonen zwar, offen und konstruktiv in alle Gespräche zu gehen. Doch das ist scheinheilig und unglaubwürdig. Schließlich wird die Preisspirale immer weiter nach unten gedreht und die Verantwortung den Wettbewerbern zugeschoben. Wir Bauern wollen einen fairen Dialog und zukunftsfähige Lösungen. Ein erster Schritt dazu ist die Initiative Tierwohl.“
Doch wie der Handel die Preise wirklich erhöhen kann, bleibt offen [6]. Er kann sich nur selbst aus dieser Falle befreien. Ob der Runde Tisch eine Lösung ist? Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes, Johannes Röring schlug Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt vor, alle „Akteure der Lebensmittelkette und der Politik an einen Tisch zu holen, um Maßnahmen zur Lösung der aktuellen Krise zu diskutieren und umzusetzen.“
Sonderqualitäten gehen immer
Walter Heidl hält für die deutschen Konsumenten einen praktischen Rat bereit: Heimische Produkte kaufen. Das hat auch Thomas Schmidt, Landwirtschaftsminister in Sachsen auf dem Tag der Direktvermarkter vergangenen Freitag gefordert. Direktvermarkter profitieren von der Nähe zum Kunden und sollen im Wettbewerb mit dem LEH auf ihre eigene Stärke setzen. „Aus den kurzen Wegen der Produkte ins Regal und dem direkten Kontakt zwischen Produzent und Konsument entsteht eine Vertrauensbasis, von der beide profitieren können. Mit Fachkompetenz und Informationen über seine Produkte kann der Landwirt die Kunden dauerhaft an sein Geschäft binden.“ Dorthin müsste Christian Schmidt auch die Kundin schicken, von der er am Montag berichtete. Sie sei bereit, mehr Geld für Produkte auszugeben, wüsste aber nicht wo. „Der Öko-Markt ist vom Preisverfall nicht betroffen“, wusste der Minister zu berichten. Das zeige, dass die Probleme nicht im Binnenmarkt lägen. Zwar gibt Schmidt vor, die Lösung zu kennen, muss sich aber auch fragen, wieso Fläche und Zahl der Ökobetriebe im letzten Jahr erstmals rückgängig sind?
Struktur- und Politkrise?
Schmidt bleibt betont skeptisch gegen „regulatorische Maßnahmen für Märkte“. Die Definition erstreckt sich jedoch zwischen Intervention und Marktverantwortungs-abgabe auf eine Vielzahl an Instrumente. Wie viel Regulatorik ist erlaubt und gewünscht? Marek Sawicki bedauerte öffentlich das Ende der Milchquote. Wenn Bauernvertreter den Markt wollen, und um Hilfe rufen, wenn der Markt angekommen ist, passen Politik und Wunsch nicht zusammen.
Die Idee, dass die Landwirtschaft gegenüber anderen Wirtschaftssektoren möglicherweise ungeeignet für eine Marktorientierung ist, wird nicht abgestritten. Die Nachfrage begrenzen und auf das Angebot zurückzufahren sind Möglichkeiten, die Stéphane Le Foll und Marek Sawicki gegenüber Herd-und-Hof.de in Betracht ziehen. Welche Werkzeuge dafür in Frage kommen, müsse diese Woche ausgearbeitet werden. Ob die beiden allerdings den Wünschen ihrer Bauern folgen bleibt abzuwarten. Die französischen Bauern haben an der deutschen Grenzen weniger gegen die Berufskollegen auf der östlichen Rheinseite demonstriert, sondern ein Ventil gefunden, ihren Unmut über den Absturz Frankreichs aus der Premier League der Agrarwirtschaft kund getan. Die Zahl der Pleiten auf französischen Höfen ist rasant angestiegen [7]. Polen hat das erst noch vor sich. Östlich der Oder gibt es zahllose kleine Betriebe und der Strukturwandel hat gerade erst begonnen.
Die GAP als Spiegel der Gesellschaft
Vor dem Hintergrund
zunehmender gesellschaftlicher Wünsche bleibt die Frage, wie Jaroslaw in
Masuren, Jacques in den Vogesen und Josef in der Eifel künftig Landwirtschaft betreiben
können. Jaroslaw hat ein bisschen Land, ein paar Kühe und Schweine und der Hof
wird von der Afrikanischen Schweinepest bedroht. Jacques betreibt in den
Vogesen Almwirtschaft auf kargem Boden. Seine Nachbarn bewirtschaften die Almen
nicht mehr ganzjährig. Josef hat einen kleinen Milchviehbetrieb, arbeitet halbtags
in Trier und verkauft Wildspezialitäten. Jaroslaw, Jacques und Josef haben nie
nach Russland geliefert und werden nie nach China liefern.
Die Frage bleibt: Wie bleiben sie der Landwirt- und Landschaft erhalten? Ein neues Konzept für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) muss her. Das weiß auch Minister Schmidt, der diese Diskussion schon für die nächste Förderperiode ab 2020 führen werden muss. Die gesellschaftlichen Leistungen müssen honoriert werden, aber „über den Markt“ betont Schmidt. Die Grünenpolitiker Martin Häusling und Robert Habeck haben vor der Sommerpause ein Konzept ausgearbeitet, bei dem die zweite Säule die Direktzahlungen ersetzt [8]. Nicht nur, weil sie glauben, die Agrarumweltmaßnahmen haben bislang nicht funktioniert, sondern auch, damit die Landwirtschaft flächendeckend erhalten bleibt. Absurd?
Die Universität Wageningen in den Niederlanden tüftelte seit 2012 an einem neuen Konzept für die Entlohnung der Landwirte. Beim „Collective Approach“ werden Biodiversitätsziele innerhalb einer Region gemeinsam bestimmt und die Landwirte müssen sich für die Umsetzung „zusammenschließen“. Sonst gibt es kein Geld mehr. Das Ministerium wird das Konzept 2016 umsetzen und es wird nicht mehr als 30 Zahlungsempfänger geben.
In den nächsten fünf Jahren steht der „Sinn der Landwirtschaft“ erneut auf dem Prüfstand. Ohne die Kernaufgaben Lebensmittel- und Biomasseproduktion zu vernachlässigen, besteht die Kunst darin, auch Jaroslaw, Jacques und Josef eine Zukunft zu geben. Noch nie haben so viele Bauern europaweit ihrem gemeinsamen Unmut Luft verschafft. Sie sind nicht zu überhören.
Lesestoff:
[1] BRICS wird Mitspieler in der Weltökonomie
[2] Loses Gesprächsforum zwischen Frankreich, Polen und Weimar, das auf ein Treffen der entsprechenden Außenminister 1991 in Weimar zurückgeht, bei dem eine „Gemeinsame Erklärung zur Zukunft Europas“ formuliert wurde.
[3] Spielraum für Agrarminister bleibt begrenzt
[4] Die goldenen Jahre des Ackerbaus sind vorbei
[5] Ostendorff kritisiert „Exporterfolge nach China“
[6] Die Selbsterkenntnis muss aus dem Handel kommen
Roland Krieg; Fotos: roRo; Online Shop City Shop; Grafik: GEFA