Von der Milchstraße in die Sackgasse?
Landwirtschaft
Berliner Milchforum ohne wegweisende Zukunftsvision
Mit mehr als 500 Teilnehmern ist das 8. Berliner Milchforum erneut größer geworden und hat sich eine neue Tagungsstätte suchen müssen. Warum die Veranstalter, der Deutsche Bauernverband, der Milch-Industrieverband, der Deutsche Raiffeisenverband und die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft sich ausgerechnet ein Hotel mit dem Namen Titanic ausgesucht haben, bleibt unergründlich. Das Bundeskartellamt hatte jedenfalls zu Beginn der Woche bereits seinen Eisberg auf Kollisionskurs geschickt [1]. Die traditionelle politische Podiumsdiskussion am Donnerstag kam um das Sachstandspapier nicht herum und diskutierte die alten Fragen nach Mengenregelung, Lieferbeziehungen und Branchenorganisation. Die eingangs gestellte Frage, ob es einen verlässlichen Weg für die deutschen Milchbauern gibt, blieb unbeantwortet. Dafür redeten die Diskutanten sich die Situation nicht so schön, wie parallel EU-Agrarkommissar Phil Hogan auf dem französischen Milchkongress in Langres [2]. In Deutschland haben rund 7.000 Milchbauern in den beiden letzten Jahren aufgehört.
Das Bundeskartellamt hat den Impuls von außen gesetzt. Karsten Schmal, Milchpräsident des DBV, sieht Handlungsbedarf in den Bereichen Molkereistrukturen und Lieferbedingungen. Er versteht den Bericht des Kartellamtes „nicht als Frontalangriff auf die Molkereigenossenschaften, sondern als Anregung zur Diskussion“. Für ihn ist die Krise vorbei und besteht der Auftrag, Lösungen zu finden, „dass so etwas nicht noch einmal passiert. Wir müssen mit Mengen über Zeiten und Preisen umgehen lernen.“ Schwierig sei die Machtpyramide von 69.000 Milchbauern, 100 Molkereien und vier Lebensmitteleinzelhändler. „Ja, es muss sich etwas ändern“, stellte er fest – wie in den anderen Bereichen der Landwirtschaft bereits geschehen. Legehennenhalter planen vor einer Erweiterung erst den Absatz. In der Milcherzeugung können die Landwirte vor dem Hintergrund von Anlieferpflicht und der Abnahmengarantie bei den Genossenschaften ihre Bestände zu einfach erweitern. Doch: „Wenn die Milchmenge zu viel wird, leidet die Gemeinschaft“. Doch sieht Schmal auch viele Initiativen der Molkereien. „Es bewegt sich etwas.“ Deshalb plädiert er für eine Branchenorganisation: „Wir glauben im Deutschen Bauernverband: Ja, die brauchen wir.“ Nicht nur Erzeuger und Molkereien, auch der Handel gehöre dazu. „Deutschland liegt etwa ein bis drei Cent hinter den europäischen Kollegen. Das kann man besser.“ Die Branchenorganisation könne den Rahmen dafür bilden und Eigeninitiative zeigen. Österreich zeige, wie es geht. Dort gibt es von der Bergmilch über Heumilch viele verschiedene Milchsegmente. Aber, so räumt Schmal ein: Die Österreicher erzeugen nur ein Zehntel der deutschen Milchmenge und haben mit der AMA eine starke Vermarktungsorganisation.
„Wir haben Pech gehabt.“ Prof. Dr. Folkhard Isermeyer vom Johann Heinrich Thünen-Institut beschreibt das Aufeinandertreffen der ausgeweiteten Milchproduktion nach dem Ende der Quote und nach einer Hochphase der Preise in den Jahren 2013 und 2014 auf den Rückgang der globalen Nachfrage seit 2014. „Das hat sich jetzt zurechtgeruckelt.“ Hätte man die Situation nach dem Wegfall der Quote vorausgesehen, hätte das „phasing out“ anderes gestaltet werden können. Isermeyer erinnert daran, dass die letzte Milchpreiskrise der Jahre 2009/2010 im Quotenregime passierte. Der Ausstieg war unausweichlich. Der Ökonom widerspricht jeder Mengenregelung. Die Bündelung gegenüber dem Marktpartner Handel sei notwendig, aber ob es auf Ebene der Erzeuger oder Molkereien geschehe, bleibe offen. Der Staat müsse Leitplanken setzen, die Regeln der Genossenschaften aber den Eigentümern überlassen. Skeptisch steht er einer Branchenorganisation gegenüber. Er plädiert für eine nationale Nutztierstrategie. Dort ist die Situation mit dem geplanten BMEL-Logo für mehr Tierwohl, dem Logo des Deutschen Tierschutzbundes und den Maßnahmen der 2. Säule in der Agrarpolitik für die Landwirte „unübersichtlich“. Sie wissen nicht, in welche Richtung sie investieren sollen. Keines der Siegel gebe Marktsignale. Zudem sind Probleme wie Nährstoffüberschüsse und Tierwohlbelange branchenübergreifend und können durch eine Branchenorganisation für den Sektor Milch nicht alleine gelöst werden. Die gemeinsame Nutztierstrategie helfe gegen die Zersplitterung der Märkte und könne klare Regeln setzen. Der Veränderungsdruck der Gesellschaft bleibe und lande irgendwann in den Parlamenten, was dann eine Kostenlawine durch neue Vorschriften auf die Landwirte auslöse. Allerdings gebe es derzeit zwei verschiedene Ansprüche an die nationale Nutztierstrategie: Die einen wollen einfach nur mehr Tierwohl, die anderen eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz der Nutztierhaltung. Beides werde es nicht geben, weil die Aufteilung in „gute und böse Milch“ bestehen bleibe. Wer einseitig auf Tierwohl setze, der entlohne die Extrakosten der exportierten Milchmenge nicht. Würde Deutschland sich dem Weltmarkt ergeben, dann blieben in 30 Jahren nur noch Betriebe mit 2000 Milchkühen im Laufstall übrig.
Für den Sprecher des Deutschen Milchkontors, Ingo Müller, sind alle mengenabhängigen Preismodelle wie ein A-B-Modell ein Weg zurück in die Quotenregelung. Die Molkereien wüssten, wie sich der Absatz in den Folgejahren entwickelt. Da sei die „Grundperformance“ der Molkereien als Unternehmen gefragt. Wenn eine Molkerei die Mengen zurückfahre, würde sie innerhalb des europäischen und Weltmarktes den Milchpreis auch nicht retten können. Die DMK habe eine gute Diskussionsstruktur mit den Erzeugern und bereitete sich seit 2015 auf Veränderungen vor. Vor dem Quotenende habe es mehr als 35 Versammlungen mit den Landwirten gegeben.. Das oft zitierte Beispiel von FrieslandCampina, die Geld für eine Mengenreduktion gezahlt haben, folgte den eigenen Unternehmensinteressen. „Am Ende regelt der Markt den Preis.“ Das haben die Niederländer nicht vorgehabt. Die Aktion habe auch keinen Preiseffekt auf den Lebensmittelhandel gehabt. Müller unterstreicht, dass er ein Angestellter der Molkerei und die Landwirte die eigentlichen Unternehmer in der Molkerei sind. Die aktuell laufenden Kündigungen von rund 1.000 Milchbauern sind der schlechten Molkereiperformance geschuldet, sagte er und kein Resultat aus dem Duo Andienpflicht und Abnahmengarantie. Landwirte und Molkereien würden in der Öffentlichkeit fälschlicherweise oft als zwei verschiedene Paar Schuhe dargestellt. Deshalb sei der Sachstandsbericht des Kartellamtes doch ein Frontalangriff auf die Molkereien. Die DMK, wie die anderen untersuchten Molkereien, haben sich nicht kartellwidrig verhalten. „Eine Veränderung der Lieferbedingungen schaffe keine neue Wertschöpfung.“ Wenn ein Milcherzeuger wechselt, müsse er der anderen Molkerei auch erklären, wie lange er wie viel Milch liefern will, bevor sie ihn aufnehme. Sie brauchen Planungssicherheit für ihre Investitionen. Die Wertschöpfung resultiere aus Forschung und Entwicklung sowie neuen Absatzmärkten und nicht aus veränderten Lieferbedingungen. Der Branchenorganisation war Müller nicht abgeneigt. Das daraus am Ende nur eine Interessengemeinschaft mit Molkereien wurde sei keine Niederlage: „Das ist doch schon mal ein kleiner Schritt.“ Solange es in dieser Gruppe nicht um Preise geht, sei der Zusammenschluss legitim.
Grundsätzlich gegen jegliche Form der staatlichen Mengenregelung spricht sich Peter Hauk, Landwirtschaftsminister in Baden-Württemberg, aus. Er kritisiert auch die beiden jeweils 500-Millionen-Euro schweren Hilfspakete. Beim ersten war die Milchkrise schon beinahe vorbei und als das Mengenreduktionsprogramm anlief, suchten die ersten Molkereien wie Müller-Milch mit Zusatzgeldern dringend nach mehr Milch. Der Staat habe in beiden Fällen viel zu langsam reagiert. Das Marktgeschehen nach dem Quotenende war für Hauk absehbar. Der Milchmarkt sei global aufgestellt und die EU-Milchexporte würden die Preisvolatilität nicht vorantreiben. In Baden-Württemberg haben sich mit der Schwarzwaldmilch und Schrozberger Molkereien zwei kleinere Unternehmen mit „Spezialmilch“ auf die neue Marktsituation eingestellt und halten ihre Angebots- und Nachfragesituation im Gleichgewicht. Spezialprodukte wie die Weidemilch funktionieren im Regionalmarkt. Andienpflicht und die Abnahmegarantien seien ein hohes Gut der genossenschaftlichen Molkereien: „Da will ich nicht daran rütteln.“. Aktuell geraten die Tierhalter zu schnell gleich an den Pranger. Eine Branchenorganisation werde dagegen kein Bollwerk bilden können. Die Landwirtschaft insgesamt müsse wieder für mehr Akzeptanz in der Gesellschaft sorgen. Auf die spezielle Situation seines Bundeslandes gemünzt, kann nur der Landwirt, keine Lieferbeziehungen, die flächendeckende Grünlandbewirtschaftung sicher stellen. Daher müssten die Themen viel stärker aus der Sicht der Bauern betrachtet werden. Hauk stellt aber auch klar: „Nur mit Kühen auf der Weide werden wir die Deutschland nicht satt machen und die globale Nachfrage nicht decken.“
Christian Meyer, Landwirtschaftsminister in Niedersachsen, spricht sich gegen regionale und deutsche Alleingänge aus. „Wir haben einen europäischen Milchmarkt.“ Und mit Blick auf den Start der Handelsgespräche mit Neuseeland: „Wir konkurrieren mit Neuseeland in China und nicht in Europa.“ Meyer widerspricht dem allgemeinen Wording, Kritiker wollten zurück zur Quote. Es gehe nur um eine Mengenregulierung im Krisenfall. Da müsse Europa zusätzliche Mechanismen einbauen, die kein starres System wie die alte Quote seien müssen. Die Agarministerkonferenz in Niedersachsen werde in zwei Wochen neue Vorschläge machen. Deutschland gehöre zu den Zauderern wie Irland und die Niederlande. Hogan als irischer Kommissar für den Agrarbereich verantwortlich, schließe eine Mengenregelung kategorisch ab, obwohl die Mehrheit in der EU nicht eindeutig sei. Meyer will mehr Wettbewerb zwischen den Molkereien. Die kleinen Molkereien im Süden zahlen mehr. Dort können Landwirte auch mal wechseln. Die starre Haltung der großen Molkereien habe in den beiden letzten Jahren dem ländlichen Raum einen volkswirtschaftlichen Schaden in Form von Einkommensverlusten zwischen fünf und sechs Milliarden zugefügt. In vier Wochen präsentiert Niedersachsen ein neues Weidemilch-Label, an dem die gesamte Wertschöpfungskette mitgearbeitet hat und den Landwirten einen Zuschlag von fünf Cent bescheren soll. Meyer zeigt sich zufrieden, weil nach Vorbild der Brancheninitiative Tierwohl alle Akteure daran beteiligt sind. Die Molkereien alleine würden es nicht tun. Seinen Vorstoß nach einer gemeinsamen Vermarktungsplattform in Niedersachsen haben die Molkereien abgelehnt.
Lesestoff:
[1] Sachstandsbericht des Bundeskartellamtes: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/milch-lieferbedingungen-jetzt-offiziell-in-der-kritik.html
[2] Hogans Rede vor den französischen Milchbauern: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/hogan-feiert-milchpolitik-als-erfolg.html
Roland Krieg; Fotos: roRo