vTI bewertet die Agrarreformvorschläge

Landwirtschaft

Agrarökonomen bewerten GAP-Vorschläge

Agrarexperten des Johann Heinrich von Thünen-Institut in Braunschweig (vTI) haben in einem Arbeitsbericht die Brüsseler Vorschläge für die GAP-Reform bewertet. Der Versuch mit den Vorschlägen die bisherige Politik der der Direktzahlungen neu zu legitimieren, werde die EU-Kommission nicht gerecht, fassen die Autoren Dr. Hiltrud Nieberg und Prof. Dr. Peter Weingarten ihren Bericht zusammen. Ihre Empfehlung: „Um die Agrarmittel zielgerechteter einzusetzen, sollte Deutschland von der Möglichkeit Gebrauch machen, zehn Prozent der jährlich über fünf Milliarden Euro Direktzahlungen aus der 1. Säule der Agrarpolitik – also mehr als 500 Millionen Euro im Jahr – für die Entwicklung der ländlichen Räume, der 2. Säule der Agrarpolitik, bereitzustellen.“ [1] Im Detail:

Kürzung/Umschichtung der Direktzahlungen

Die allgemeine Kürzung der Direktzahlungen in Deutschland führt den Modellergebnissen zufolge zu durchschnittlichen Einkommenseinbußen von etwa 1 %. Kleinere Betriebe sind prozentual stärker betroffen. Die mögliche Umverteilung von 10 % der Direktzahlungen in die 2. Säule wirkt generell einkommensmindernd für die Betriebe und hängt von der konkreten Verwendung der Mittel ab. In den untersuchten Varianten geht das durchschnittliche Betriebseinkommen je Arbeitskraft um drei bis fünf Prozent zurück.
Empfehlung: Die GAP-Reform sollte ein klares Signal für einen langfristigen Abbau der Direktzahlungen setzen und die Direktzahlungen von Jahr zu Jahr reduzieren. Von der Option, Finanzmittel aus der 1. in die 2. Säule umzuschichten, sollte Deutschland in vollem Umfang Gebrauch machen.

Degression und Kappung der Direktzahlungen

Die finanziellen Auswirkungen wären insgesamt sehr gering. Insgesamt würden die Direktzahlungen in Deutschland bei knapp 200 Betrieben (insbesondere Marktfruchtbau) um durchschnittlich 1.500 € je betroffenem Betrieb gekürzt werden. Sowohl für die Verwaltung als auch für die Landwirtschaft entstünden zusätzliche Bürokratiekosten. Das Ziel der Kommission, die Direktzahlungen gerechter zu verteilen, wird nicht erreicht. Die Sinnhaftigkeit der vorgeschlagenen Regelung ist daher deutlich in Frage zu stellen.

Greening

Nimmt man die Anbaustrukturen von 2010, so wären von der Begrenzung der Hauptkultur auf maximal 70% der Ackerfläche 38 % der Betriebe betroffen. Um die vorgeschlagenen Vorgaben für die Anbaudiversifizierung einzuhalten, müsste weniger Mais angebaut werden (ca. 113.000 ha bzw. 4,7 % der Maisanbaufläche von 2010).
Die Umsetzung der ökologischen Vorrangflächen laut Kommissions-Vorschlag (7 % der prämienberechtigten Fläche) würde in Deutschland rund 620.000 bis 755.000 ha erfordern. Bereits jetzt würden etwa 10 bis 15 % der Ackerbau- und Dauerkulturbetriebe (ohne besondere Berücksichtigung ökologischer Betriebe) die Vorgabe erfüllen. Es ist zu erwarten, dass eine Verlagerung von ökologischen Vorrangflächen auf weniger günstige Standorte durch Zupacht stattfinden wird. Dies wäre aus betriebswirtschaftlicher Sicht positiv zu sehen und kann auch aus ökologischer Sicht sinnvoll sein.
Die Einschätzung der Thünen-Experten: Das „Greening“ der Direktzahlungen steht vor dem Grunddilemma, dass Umweltmaßnahmen in der 1. Säule prinzipiell leicht administrierbar sein müssen und damit meist weniger zielgerichtet sind als freiwillige Umweltmaßnahmen in der 2. Säule. Ein „Greening“ der 1. Säule läuft damit immer Gefahr, nur eine scheinbare „Begrünung“ mit hohen Mitnahmeeffekten zu sein oder die Umweltleistungen mit zu hohen Kosten zu erkaufen.

Kleinlandwirte-Regelung

Für etwa 50.000 Betriebe (ohne Weinbaubetriebe) wäre die Teilnahme an der Kleinlandwirte-Regelung finanziell attraktiv. Sie erhielten insgesamt zusätzliche Zahlungen von etwa 20 Mio. Euro, die bei den übrigen Empfängern von Direktzahlungen gekürzt werden müssten.
In Deutschland werden sich mit der Kleinlandwirte-Regelung die Verwaltungsaufwendungen nicht verringern. Die pauschale Befreiung der Kleinlandwirte von den Kontrollen der Cross-Compliance-Auflagen in den Themenfeldern Tierkennzeichnung, Tierseuchen und Lebensmittelsicherheit kann Probleme mit sich bringen. Eine Umsetzung dieser Regelung erscheint den Thünen-Wissenschaftlern daher nicht sinnvoll.

Junglandwirteförderung (1. Säule)

Etwa 7 % der Betriebe können eine Förderung von durchschnittlich 1.200 Euro je Junglandwirt und Jahr erhalten. Die Thünen-Wissenschaftler halten diese Förderung, die zusätzlich zur Junglandwirteförderung in der 2. Säule gewährt würde, in Deutschland nicht für erforderlich und auch nicht für sinnvoll.

Aktiver Landwirt

Der Kommissions-Vorschlag sieht vor, dass über die Hälfte der Landwirte (53 %) hinsichtlich des Status „aktiver Landwirt“ überprüft werden. Die angestrebte höhere Zielgenauigkeit steht nach Ansicht der Thünen-Experten in keinem vernünftigen Verhältnis zum notwendigen zusätzlichen Verwaltungsaufwand.

Einkommensstabilisierungsinstrument (2. Säule)

Die Kommission schlägt vor, dass bei einem Rückgang des Jahreseinkommens um mehr als 30 % im Vergleich zum Durchschnitt der drei vorangegangenen Jahre Landwirte aus einem Fonds auf Gegenseitigkeit bis zu 70 % der Einkommensverluste ausglichen bekommen können. Im Wirtschaftsjahr 2009/10 wiesen etwa 12 % aller Betriebe einen solchen Einkommensrückgang auf. Der damit verbundene Kompensationsaufwand beliefe sich für Deutschland auf 520 Mio. Euro.
Die Thünen-Experten halten das Einkommensstabilisierungsinstrument für nicht sinnvoll. Sie sehen erhebliche Umsetzungsprobleme für die Administration und Fehlanreize für die landwirtschaftlichen Betriebe.

Lesestoff:

Die Studie „Analyse der Vorschläge der EU-Kommission vom 12. Oktober 2011 zur künftigen Gestaltung der Direktzahlungen im Rahmen der GAP nach 2013“ liegt in Form eines Arbeitsberichts vor und kann kostenlos von der Homepage des Thünen-Instituts heruntergeladen werden unter http://literatur.vti.bund.de/digbib_extern/bitv/dn050475.pdf

[1] Die Empfehlung erinnert an den Vorschlag von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner zur letzten AMK. Kurz vorher hatten einige EU-Länder Beim Agrarrat in Luxemburg neue Vorschläge für die GAP eingebracht. Bei den grünen „Rhein-Ländern“ traf der Vorschlag auf Unmut. Die Unterschiede erklärt das BMELV.

Michael Welling (vTI) / roRo

Zurück