Was wäre Ägypten ohne den Nil?

Landwirtschaft

Obst und Gemüse vom Nil

Ägypten: Heute steht das Land mit ganz anderen Schlagzeilen in der Öffentlichkeit. Als Partnerland der Fruit Logistica präsentierte sich das Land am Nil von seiner besten Seite und will seine Verlässlichkeit als Handelsnation unter Beweis stellen.

Ohne Nil kein Ägypten

Der Nil mit seinen Überschwemmungen hat das Land fruchtbar und reich gemacht. Seit Tausenden von Jahren haben die ägyptischen Ackerbauern im Schatten der Pyramiden Getreide, Obst und Gemüse angebaut. Sie gelten auch als Erfinder ausgeklügelter Bewässerungstechniken. Bis heute spielt die Landwirtschaft eine wichtige Rolle. Vor zehn Jahren hat das Land lediglich 500.000 Tonnen Agrarprodukte exportiert – heute sind es 3,5 Millionen Tonnen in 145 Länder. Nahezu ein Drittel der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft, die am Bruttosozialprodukt einen Anteil von 14,7 Prozent stellt. Der Agrarsektor unterliegt einem großen Wandel. Seit der Liberalisierung können die Betriebe ihren Markt selbst suchen und nutzen moderne Techniken wie die Tröpfchenbewässerung. 2.250 registrierte Exportfirmen können auf verarbeitete Produkte und gekühlte Waren zurückgreifen. Ägypten versucht, die Wertschöpfung im eigenen Land zu halten. Die Schnitt zwischen Europa und Asien weiß das Land mit dem Ausbau des Suez-Kanals auch für sich zu nutzen.

Beim Export helfen das Agricultural Export Council (AEC) und die Schwesterorganisation Horticulture Export Improvement Association (Heia), Die wichtigste Exportfrucht ist mit 1,2 Millionen Tonnen die Orange. Gefolgt von Äpfeln (650.000 t), Zwiebeln (492.000 t) und Bohnen (182.000 t). Die gefürchtete Wintererdbeere aus Ägypten wird nur in verhältnismäßig geringen Mengen (34.000 Tonnen exportiert. Die wichtigsten Exportländer sind Saudi-Arabien, Russland, die Vereinten Arabischen Emirate, Kuwait, Irak und dann Großbritannien.

Ägypten ist ein Geschenk des Nils, soll der griechische Geschichtsschreiber Herodot gesagt haben. Tatsächlich ist Wasser aus dem Nil der Beginn der Landbewirtschaftung. Ohne Wasser geht auch heute nichts. In den 1970er Jahren begann das Land mit dem Recyceln von Gebrauchswasser, dem so genannten Grauwasser. Heute sind alle landwirtschaftlichen Flächen im Nildelta mit einem Versorgungsnetz verbunden, in dem Grauwasser und Frischwasser gemischt verteilt werden. Außerdem wird Trinkwasser aus Entsalzungsanlagen vom Roten Meer gewonnen. Heute ganz modern durch solarbetriebene Umkehrosmose.

Feddan Project

Eine ägyptische, schon jahrhundertalte Vision ist die Ausbreitung der landwirtschaftlichen Fläche abseits des Nils. Im Niltal drängt sich alles. Im letzten Jahr hat Ägyptens Regierung mit dem Start des Feddan Projektes ernst gemacht. Feddan ist ein altes arabisches Flächenmaß in der Größe von etwa 0,41 Hektar. Ägypten will seine landwirtschaftliche Fläche um 20 Prozent ausweiten und hat die Landnahme als „1,5 Millionen Feddan Project“ in Angriff genommen. Im November 2015 hat das Kabinett dafür 1,92 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt.

Wasser ist da Kernthema des Projektes. Noch heute ist das Land der Pharaonen überwiegend vom Nilwasser abhängig. Doch die Nutzung des Grundwassers ist erst Schritt für die Überführung von Wüste in fruchtbares Ackerland. Schon seit 1997 versucht das Land im Südwesten, im „neuen Tal“, al-Wadi al Gedid, neue Landbewirtschaftung einzuführen. Im Rahmen des Feddan-Projektes sollen jetzt erstmals 4.046 Hektar über Bewässerung fruchtbar gemacht werden. Dazu werden im ersten Schritt 1.315 Brunnen gebohrt. In einer zweiten Phase kommen 1.950 und in einer dritten Phase 5.114 Brunnen hinzu. Für das Projekt stehen 447 Millionen US-Dollar bereit. Alleine das Bohren der Brunnen kostet 230 Millionen US-Dollar.

Das Wasser stammt aus einem der weltweit größten Grundwasserkörper, dem Nubian Sandstone Aquifer System. Da dieser sich nur sehr langsam wieder befüllt, ist sparsame Wasseranwendung oberstes Gebot.

An der Schnittstelle zwischen Europa, Arabien und Asien gelegen, ist das Wüstenland auch innovativ im Bereich des Ökolandbaus. Derzeit werden etwa 87.167 Hektar Land von 790 Produzenten bewirtschaftet. Kräuter, Kartoffeln und Zwiebeln gehen hauptsächlich nach Europa, Japan, die USA und Australien. Ägypten profitiert von einer klimatisch begünstigten Saisonverschiebung und kann vor allem Kartoffeln nach Europa liefern, bevor hier die ersten Frühkartoffeln geerntet werden.

AEC und HEIA

Das Agriculture Export Council (AEC) wurde 1997 zunächst als Non-Profit-Organisation gegründet und vertritt heute die Interessen von mehr als 1.200 Mitgliedern. Der Vorsitzende Ali Eissa sieht in den aktuellen Exportzahlen den Beweis, dass die politische Instabilität seit 2011 überwinden ist. Eissa selbst begann mit dem Exportgeschäft 1976. Seitdem hat der Agrarsektor einen rasanten Aufschwung erlebt. Um Frischware vor der Hitze zu schützen, werden sie unter Zelten in moderne Verpackungstationen weiter bearbeitet. Die großen Unternehmen der modernen Zeit haben nach seinen Angaben ebenfalls in den 1970er Jahren mit kleinen Geschäften begonnen. Die Handelstradition mancher Familien gehe aber einige Generationen zurück. Die Branche muss aber investieren. Die Fruchtindustrie spürt den internationalen Wettbewerb und will sich mit bester Infrastruktur für hohe Qualitäten bewähren.

Ein Jahr jünger ist die Gartenbauorganisation HEIA. Sie begann 10096 mit 25 Farmen und vertritt heute mehr als 700.Ähnlich hat sich der Export von beispielsweise Tafeltrauben entwickelt: Von 5.000 auf 110.000 Tonnen sagt HEIA-Vorsitzender Mohsen El-Beltagy. Für die Professionalisierung der Branche haben sich die Ägypter Expertisen aus anderen Fruchthandelsnationen, wie Südafrika, Chile und den Niederlanden geholt. Die Eigenen Gartenbauer werden mit Seminaren auf aktuellen Wissenstand gehalten. Die Organisation hat 2003 am Flughafen Kairo ein Terminal für verderbliche Waren aufgebaut. Länger als 24 Stunden ist kein Salat oder Küchenkraut mehr auf dem Flugplatz. In Luxor hat HEIA eines der modernsten Kühllagerhäuser Welt gebaut.

Green Trade Initiative

Nicht ganz so optimistisch blicken die Vertreter der Green Trade Initiative (GTI) auf das Feddar Project. Auf die neuen Flächen werden keine Kleinbauern wirtschaften. Zudem muss das Projekt seine Nachhaltigkeit erst noch beweisen. Unter dem Dach der UN-Organisation UNIDO für die Industrielaisierung zur Armutsreduzierung arbeitet die GTI mit dem italienischen Ministerium für Entwicklung zusammen. Aus allen Landesteilen liefern Kleinbauern derzeit acht verschiedene Exportfrüchte für den Export. Die Kleinbauern können im Rahmen des Programms auf Finanzmittel und Technik zurückgreifen und ihren Betrieben eine Wachstumschance geben. GTI verhilft den meisten einen erstmaligen Marktanschluss.

Roland Krieg; Fotos: roRo

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