Was wollen wir essen – Sieben Tage lang?
Landwirtschaft
Zu viel für einen Hektar
Was kann ein Hektar Fläche leisten? Das hängt vor allem davon ab, wie die Fläche beschaffen ist. Ein Hektar Wasser laden zum Rudern ein, ein Hektar Wald zum erholsamen Spaziergang, ein Hektar Grünland gibt Rindern frisches Futter und von einem Hektar Ackerland können Landwirte bis zu 100 Dezitonnen Getreide ernten. Oder auch nur 30, wenn das Wetter trocken ist und Wasser fehlt. Manchmal auch gar nichts, wenn Pflanzenkrankheiten den ganzen Bestand befallen.
Gleichzeitig sollen Blühpflanzen den Bienen Nahrung geben, seltene Pflanzen den Wanderer erfreuen, aber auch Biomasse für die Biogas, Kraftstoffe und die chemische Industrie heranwachsen. Alles ein bisschen viel für 10.000 Quadratmeter Land. Qualitätsunterschiede zwischen den Böden sind noch gar nicht berücksichtigt.
Damit hat niemand gerechnet
Das Puzzle der Boden- und Ressourcennutzung war bislang schon ein schwieriges, bei denen die meisten in der aktuellen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ab Januar 2023 Fortschritte gegenüber der alten Politik sehen, andere hingegen einen Stillstand. Die fragile Balance, zum Teil schon jenseits der planetaren Grenze, wird durch Putins Krieg dermaßen durcheinander gewirbelt, dass niemand mehr vorhersagen kann, wohin die Reise geht. Das einzige, was funktioniert sind die tradierten Argumentationsmuster.
Jetzt „endlich“ geht den Menschen das volle Lebensmittelregal aus und die Lebensmittelvorsorge muss zwingend die oberste Priorität bekommen. Dem knurrenden Magen ist der bunte Schmetterling egal. Aber wird der Mensch von blühenden und summenden Wiesen satt?
Die Lösung ist akademisch: Wer stets zu Fuß geht und mit Getreidebrei zufrieden ist, der erfreut sich auch an der Natur. Verbraucher, die mit fossil betriebenen SUVs zum Metzger um die Ecke fahren, um sich das letzte Schnitzel zu sichern, können auch auf sauberes Wasser und saubere Luft verzichten. Eine Zeit lang – und die Geschichte zeigt, dass auch der erste Status nicht ewig währte. Nur per pedes Getreidebrei schlürfen war auch kein Paradies.
Putins Krieg stellt die Frage, in welcher friedlichen Welt wir leben wollen. Und die Antwort muss schneller erfolgen, als gedacht.
Für und wider – hin und her
Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) will mehr Flächen für die Lebensmittelproduktion nutzen, bevor der Kühlschrank leer wird. Naturschützer Johannes Enssle vom Naturschutzbund Deutschland kritisiert diese Denkweise, die Hauk nicht persönlich gepachtet hat, als „Instrumentalisierung des Ukrainekrieges“ die Landwirtschaftspolitik der letzten Jahre zurückzudrehen.
Ebenfalls am Montag forderte die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzer (AGDW) eine klare Kurskorrektur beim Green Deal. Der Wald müsse zur Energiegewinnung genutzt werden.
Die Freigabe von Brachflächen für die Futterproduktion 2022 ist bereits ausgemacht, da fordert die FDP-Agrarpolitikerin Carina Konrad die Aussetzung der ab 2023 vorgesehenen vier Prozent betriebliche Stillegungsfläche.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) steht in der Kritik, mit einem Fleischverzicht Futterflächen für die Humanernährung frei zu geben.
Ursula Heinen-Esser hat den ganz großen Wurf vorgelegt und will die GAP 2023 gleich um ein Jahr nach hinten verschieben. Den Vorschlag der Landwirtschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen hat die ganze Union als Opposition in Berlin aufgenommen. Die österreichische Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger hat für das Alpenland bereits umgerechnet und könnte 9.000 Hektar Land zusätzlich in Produktion nehmen.
Vom grünen Kreuz zur grünen Vier
Mit den Bauernprotesten 2019 stellten Landwirte ein grünes Kreuz auf die Felder. Aktuell wird in der Diskussion um die Agrarpolitik daraus eine „grüne Vier“. Bauer Willi hatte die Landwirte aufgerufen, auf ihren Feldern eine grüne Vier aufstellen oder ihre Fahrzeuge damit zu kennzeichnen. Die "grüne Vier" soll als äußeres Zeichen und als Hinweis an die EU-Kommission gelten, die ab 2023 geplanten Flächenstilllegung zeitweise auszusetzen. Auch in Mecklenburg-Vorpommern haben sich Landwirte dieser Aktion angeschlossen.
Wie ernst ist die Situation?
Was weder in Deutschland noch in Westeuropa derzeit fehlt sind Lebensmittel. Russland und die Ukraine exportieren um diese Jahreszeit alterntige Ware, die also auf Lage liegt. Unter normalen Ausfallerscheinungen würden beide Länder im Sommer dieses Jahres wieder ernten und exportieren können. Also sind aktuell vor allem die Länder betroffen, die auf die aktuellen Verkäufe angewiesen sind.
Da jedoch die Ernte- und Exportmenge ab September 2022 völlig offen sind, stellt sich die Frage, wer welche Mengen für wen produzieren muss, damit es zu keinem Hunger kommt. Allein die Preissteigerungen werden im mildesten Ausfallverlauf weltweit mindestens sieben Millionen Menschen in den Hungerstatus schicken. Das hat FAO-Generaldirektor Qu Dongyu auf dem G7-Agrarministertreffen in der vergangenen Woche deutlich gemacht.
Wie Dr. Hans Pötter, Mitautor des IPCC-Berichtes, im Umweltausschuss des Europaparlamentes in der vergangenen Woche sagte, duldet keine einzige Krise einen Aufschub [1]. Die komplexen Zusammenhänge des Agrarsystems werden aktuell „zusätzlich herausgefordert“, wie Dr. Thomas Herzfeld vom Leibniz-Institut für landwirtschaftliche Entwicklung in Transformationsökonomien mitteilte. „Exakte Prognosen sind unmöglich.“ In einem Fragenkatalog von Herd-und-Hof.de sei es nicht empfehlenswert, Abstriche an der grünen Architektur zu machen, wenn andere Optionen, wie die Reduktion des Fleischverbrauches offen stehen. Konsumenten reagieren auf die steigenden Preise, aber wo sie sparen, ob beim Tanken oder Essen „lasse sich empirisch erst im Nachhinein feststellen“ [2].
Leon Mohr von Bioland kann keine Abstriche für die langfristige Sicherung der Ernährung akzeptieren. Auch der Bioanbau leidet unter den steigenden Betriebsmittelkosten. Wie sich das Konsumentenverhalten auswirkt „ist schwer abzuschätzen“. Für den Anbauverband Bioland steht neben dem Fleischkonsum auch die Nutzung der Biomasse für Agrokraftstoffe auf der Streichliste.
Rein mengenmäßig können weder Deutschland noch Europa zusätzlich so viel Agrarprodukte erzeugen, wie die Ukraine sie exportiert, stellt Martin Häusling, Agrarsprecher der europäischen Grünen im Europaparlament fest. Selbst Alternativen innerhalb der konventionellen Agrarbranche, wie der integrierte Pflanzenschutz seien „schwammig formuliert“. Landwirten fehle „ökologisches Know-how. Häusling betrachtet mit den mineralischen Düngemitteln aus Russland und Belarus auch die weitere Abhängigkeit, die eine Transformation des Agrarmodells nach sich ziehen müsse. Der Landwirt mit einem Hof in Hessen ist auch skeptisch gegenüber technologischen Lösungen wie dem Smart Farming, das von großen Konzernen vorangetrieben wird.
Die Geschäftsführerin Kathrin Jäckel von Bundesverband Naturkost Naturwaren ist optimistisch, weil auch die vergangenen Krisen die Hinwendung der Verbraucher zu regionalen und ökologischen Erzeugungssystemen reagiert haben. Allerdings werden auch die Bio-Fleischpreise steigen, weil mit dem Ausfall der Futtermittelexporte aus der Ukraine auch die Bio-Erzeugung betroffen ist. auch regionale Wirtschaftskreisläufe spüren die gestiegenen Transportkosten. Sie machen aber in der Summe nur einen geringeren Teil aus.
Für eine Warenstromzusammenlegung über die Verbandsgrenzen hinweg hat sich niemand ausgesprochen.
Es ist eine Konsumfrage
Nach dem G7-Treffen sagte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, er wolle eine Politik, die alle Krisen löst. Vielleicht ist es wichtiger, dass sich Konsumenten die Antwort geben, den Konsum zu wählen, der alle Krisen löst. Das wäre ein Belastungsmoratorium für jeden Hektar Land. Dann klappt es auch mit der Landwirtschaft.
Lesestoff:
[1] Wie viele Krisen verträgt die Welt? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/wie-viel-krisen-vertraegt-die-welt.html
[2] Marktplatz Leseclub 11/2022 vom 18.03.2022 https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/herd-und-hof-leseclub.html
Roland Krieg, Foto: LBV MV
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