Welche Wege nimmt die GAP?

Landwirtschaft

GAP zwischen Wunsch, Wirklichkeit und Weltbevölkerung

Am Dienstag diskutierte der Agrarausschuss des Europaparlamentes über eine Studie möglicher Wege der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und über die Zukunft des Rindfleischmarktes. Hoffentlich in Kenntnis über das am Wochenende von der New York Times gefällte vernichtende Urteil über den Brüsseler Selbstbedienungsladen. Europa sucht seinen Weg in der Agrarpolitik und droht auf den verschiedenen Positionen zu verhärten.

Die Studie

Verschiedener Wissenschaftler der Politikabteilung für Struktur und Kohäsion der EU haben mit Blick auf das Jahr 2050 verschiedene Szenarien für den Agrarsektor aufgezeichnet, welche vier Wachstumspfade die Landwirtschaft in der EU nehmen kann [1].

„Kleine Schritte ohne großes Ziel“ beschreibt den aktuellen Weg und gilt als überholt. Der Verlust an Biodiversität, Treibhausgase und das Verharren in der gegenwärtigen Agrarstruktur erfordert nur geringe Änderungen in der Agrarpolitik. Es gibt Veränderungen, die aber zusammen kein Zielbild anvisieren.

Unter dem Begriff der „Massenproduktion“ wird die Produktionssteigerung ohne Rücksicht auf Umweltfaktoren subsummiert. Forschung und Entwicklung konzentrieren sich auf Automatisierung. Jungunternehmer kommen kaum in den Markt. Die natürlichen Ressourcen werden weiter ausgebeutet.

„Lokale Wertschöpfungsketten“ beschreibt schon ein neues Ziel. Dennoch werden Treibhausgase nur eingeschränkt eingespart, die extensive Landnutzung weitet sich aus und die städtische Landwirtschaft gewinnt an Bedeutung. Die EU verabschiedet sich von Handelsoptionen, es gibt ein erhöhtes Risiko der Ernährungsunsicherheit bei Frischprodukten.

Das Szenarium „Nachhaltigkeit für Alle“ klingt wie das Paradies, in dem landwirtschaftliche Produktionsschritte in klimaneutrale und ökologische Formen überführt werden und ein Teil der Kreislaufwirtschaft werden. Dafür müssen neue Politiken formuliert und aufgestellt werden.

Autorin Monica Pesce gibt zu, dass die vier Wege extrem für eine Diskussion formuliert wurden. Der Öko-Landbau ist in der gesamten Studie zwar ein starker Trend, aber nicht nur weltweit, sondern auch in Europa müsse die Politik darauf achten, dass ein großer Teil der Bevölkerung auf niedrige Lebensmittelpreise angewiesen ist. Wenn alle Menschen satt werden sollen, reiche eine kleinstrukturierte Ökolandwirtschaft nicht aus.

Parlamentarische Sicht

Aus der Vielzahl der Meldungen kamen zwei Positionen ganz besonders heraus. Der österreichischen Grünen Sarah Wiener fehlen die sozialökologischen Standards. Mit Agro-Sylvo-Pastoraler Landwirtschaft und Permakultur hat sie genaue Vorstellungen, wie eine nachhaltige Landwirtschaft aussieht. Auf der anderen Seite gibt es die ökonomischen Seher im Parlament, die den Engpass der GAP in den mangelnden Einkommensmöglichkeiten der Landwirte sehen. Ohne ausreichende Einkommensmöglichkeiten können die Landwirte Nachhaltigkeit nicht umsetzen, sagt die finnische Liberale Elsi Katainen. Ihr französischer Parteikollege Jérémy Decerle ergänzt, dass die GAP  zu wenig für den Erhalt der Landwirte unternimmt. Der italienische Christdemokrat Herbert Dorfmann lenkte den Blick von der Erzeuger- auf die Käuferseite: Weltweit verhielten sich die Verbraucher nach dem Szenarium zwei der Massenproduktion. Erst wenn das sich ändert, können höhere Preise auch die Landwirte unterstützen, ergänzt seine irische Parteikollegin Mairead McGuinness.

Auflagen ohne Einkommensausgleich aufzulegen ist ökonomische nicht nachhaltig. Nicht nur in Deutschland sind die Landwirte auf die Straße gegangen. Die Niederlande wollen die Landwirtschaft bereits aktiv in die Kreislaufwirtschaft integrieren und stoßen auf harten Widerstand der Bauern. Für die niederländische Christdemokratin Annie Schreijer-Pierik ist das „Ende der Fahnenstange“ bereits erreicht. Bevor die neue GAP allgemeinverbindlich ein Szenarium 4 umsetze, müssten die anderen Mitgliedsländer erst einmal den aktuellen Nachhaltigkeitsstand der Niederlande erreichen.

Feudalherrschaft

Das wird nicht einfach sein, denn der polnische Konservative Krystof Jurgiel fordert zunächst einmal mehr Geld für die osteuropäischen Länder. Die am Sonntag veröffentlichten Recherchen der New York Times (NYT) sind nicht neu. Im Jahr 2015 hat ein EU-Bericht über europäisches Landgrabbing Teile bereits aufgedeckt [2]. Im Fokus der US-Zeitung steht Viktor Orban, der als Premierminister Ungarns die EU stark kritisiert, aber ein Hauptnutznießer von Agrargeldern aus Brüssel ist. Vor allem Ungarn habe die sozialistische Feudalwirtschaft in der EU fortgeführt. Wie in der EU-Studie steht bei der NYT der ungarische Distrikt Fejer im Fokus, wo Orban und viele seiner Günstlinge zu Hause seien. „Es ist ein absolut korruptes System“, zitiert die NYT den ehemaligen Agrarminister Jozsef Angyan. Die Gelder fließen in verschachtelte Unternehmen, die mühsam von der NYT teilweise aufgedeckt wurden.

In Tschechien habe Andrej Babis 2018 mindestens 42 Millionen Euro flächenabhängige Direktzahlungen erhalten. Babis ist schon Milliardär und aktuell Premierminister des Landes.  In Bulgarien erhalten rund 100 Agrarunternehmen etwas 75 Prozent der Direktzahlungen für das gesamte Land. In der Slowakei existiere eine „Agrar-Mafia“, auf deren Konto auch der Mord am Journalisten Jan Kuciak 2018 gehe.

Die Kommission hat den Bericht 2015 als übertrieben bezeichnet und das Europaparlament Politiker nicht, wie in einer Entschließung gefordert, von Zahlungen ausgeschlossen.

Die Hausaufgaben für Brüssel dürften dabei nicht am Agrarsektor enden. Die NYT schreibt, die osteuropäischen Länder haben das System nicht erfunden, sondern schreiben es aus der UdSSR kommend effektiver fort. Damit habe sich die EU nie wirklich auseinander gesetzt und handele gutgläubig.

Lediglich Mairead McGuinness hat die Veröffentlichung am Dienstag noch unter „Verschiedenes“ aufgebracht.

Der Außenhandelsaspekt

Auf eingetretenen Pfaden widmeten sich die Parlamentarier dem europäischen Außenhandel. Speziell sorgen sich die Parlamentarier nach dem Mercosur-Vorschlag der EU-Kommission um den europäischen Rindfleischmarkt. Doch schon der im letzten Jahr von der OECD und FAO vorgestellte gemeinsame Marktbericht zur weltweiten Landwirtschaft bis 2027 zeigte das jährliche Wachstum der Fleischproduktion bei einem Prozent weltweit. Nach den USA folgen Argentinien, China, Indien, Mexiko, Russland und die Türkei. Das Angebot folgt der Nachfrage. In den Industrieländern werde der Fleischkonsum jährlich um 2,9 kg pro Kopf und Jahr wegen der niedrigen Preise zunehmen. In den Entwicklungsländern hingegen begrenzt allein die Verfügbarkeit das Mengenwachstum bei 1,4 kg Fleisch pro Kopf und Jahr. Selbst in den am wenigsten entwickelten Ländern steigt der Fleischkonsum, begrenzt durch die Verfügbarkeit um 0,3 kg/Kopf/Jahr. Die einzige Region mit sinkendem Fleischverzehr ist Afrika südlich der Sahara, weil die Einkommen fehlen.

Eine Trendumkehr im Fleischverbrauch ist nicht absehbar. Rindfleisch ist eine teure Produktion. Der kurzfristige Marktausblick der EU weist auf dem Rindfleischmarkt eine Ablösung von Lebendvieh durch Frischfleisch hin [3]. Der kommende Brexit und der Rindfleischskandal in Polen drückt auf die Rindfleischproduktion, führte Paul Csiszár von der Wettbewerbskommission aus. In der EU sinkt die Rindfleischproduktion um 0,9 Prozent, was aber lediglich auf die Preiseffekte und nicht auf Einfuhren von Rindfleisch zurückzuführen ist. Die im Mercosur vorgesehenen Rindfleischexporte machen gerade ein Prozent der europäischen Rindfleischproduktion aus.

Flavio Coturni von der EU-Handelskommission betont, dass die Landwirtschaftskonzessionen in Gegenseitigkeit vergeben werden, ohne, dass die europäischen Landwirte benachteiligt werden [4]. Offenbar gibt es Kommunikationsprobleme zwischen  der Kommission und dem Parlament. Sicherungsklauseln im Abkommen schützen die europäischen Landwirte. Irland hat bereits eine Hilfe für den Rindersektor erhalten. Michael Scannel von der Agrar-Kommission hält vergleichbares für Polen und Tschechien für möglich.

Allerdings ist die Rindfleischproduktion geschichtlich sehr unterschiedlich aufgestellt. In den Niederlanden werden durchschnittlich 43 Rinder pro Betrieb, in Rumänien lediglich vier Rinder pro Betrieb gehalten. Vor allem der Konsum von Rindfleisch in der östlichen EU habe noch Aufholbedarf und biete Chancen bei einem Handel innerhalb der EU.

Die Parlamentarier schwanken nach Parteiausrichtung zwischen Chancen für die heimische Landwirtschaft, Sorgen um die Rinderhalter mit der Anfrage nach mehr Agrar-Geldern und Handels- und Verzehrstopp.

Fazit

Die GAP ist das Ventil für die Wende zu nachhaltigen Lebensstilen. Sie ist aber auch der einzige Marktsektor, der in der EU noch vergemeinschaftet ist und mangels fehlender anderer Spielfelder allein für Wenden jeglicher Art herhalten muss. Der „Green Deal“ von Ursula von der Leyen kann die Diskussion für eine nachhaltige Lebensausrichtung auf alle Sektoren gleichermaßen verteilen.

Da der Europäische Rat die Budgetfrage verschoben hat, sollten die Akteure die Zeit nutzen, einmal noch alle Fragen auf den Tisch zu bringen, um aus der EU wieder ein Gesamtkonzept zu machen.

Lesestoff:

[1] http://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=IPOL_STU(2019)629205

[2] Extend of Farmland Grabbing in the EU (2015) DG für Internationale Politik http://www.europarl.europa.eu/studies

[3] EU-Märkte 2019/2020 https://herd-und-hof.de/handel-/agrarmaerkte-2019-2020.html

[4] Mercosur-Kritiker verrennen sich: https://herd-und-hof.de/handel-/mercosur-kritiker-verrennen-sich.html

Roland Krieg

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