Welches Land wollen wir?

Landwirtschaft

Ostdeutschland: Von der blühenden Landschaft zum Abschreibungsobjekt?

>In Ostdeutschland gibt es einen so genannten Suburbanisierungsdruck der Metropole Berlin, aber auch der Zentren Leipzig und Dresden. Junge Menschen wandern zur Erfüllung ihrer Karriereträume in die Städte, aber viele Städter suchen ihre Zweitwohnungen nun auf dem Land. Wochenendurlauber und Pendler ersetzen aber nicht die verlorengegangenen Alltagsfunktionalitäten der Abgewanderten. Läden verwaisen, Busse fahren nicht mehr, Ärzte gibt es nur noch in größeren Städten. Damit verbunden ist auch eine Verringerung der Freiflächen: Zersiedlungstendenzen gibt es rund um Berlin und sogar entlang der Mecklenburgischen Ostseeküste. Gibt es noch einen Lebensunterhalt im ländlichen Raum?

Kongress im Bundestag
Es gibt keine Patentrezepte für den ländlichen Raum und Bundestagsabgeordnete Krista Sager warnte vor Euphorie. Sie sprach die Begrüßungsworte für den Kongress "Die Zukunft des ländlichen Raumes in Ostdeutschland", den die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen am 21.08.04 im Deutschen Bundestag abhielt. Aber es gäbe, so Krista Sager weiter, realistische Möglichkeiten gegen die Hoffnungslosigkeit, denn gerade im Osten entwickelt sich der Ökolandbau stärker als in den alten Bundesländern, gibt es Platz für nachwachsende Rohstoffe und regionalen Tourismus. Spreewaldgurken, das Ökodorf Brodowin oder das Künstlerdorf Ahrenshoop stehen stellvertretend als Marke für eine Region mit wirtschaftlichem Leben und Ein- sowie Auskommen.

Armes Land und wenig Arbeit
Constance Lindheimer ist Regionalmanagerin der 5.800 qkm großen Region Mecklenburgische Seenplatte mit etwa 317.000 Einwohner. Im Schnitt sind es 55 Einwohner/qkm, jedoch in weiten Teilen weniger als 30. Arbeitslosenquote: 25 Prozent. Regional hat die Landwirtschaft noch einen großen Anteil an der Bruttowertschöpfung und sichert viele Arbeitsplätze. Allerdings liegt der Produktionswert unter 1.000 Euro/ha. Der bundesdeutsche Schnitt liegt bei fast 2.000 Euro/ha. Das liegt vor allem daran, dass zwar Vorleistungen, wie Saatgut, Technik und Futter aus der eigenen Region verwertet werden und der Verkauf der Rohstoffe auch regional ist, doch findet die Veredelung und damit die eigentliche Wertschöpfung der landwirtschaftlichen Produkte durch Müllereien oder Mastanlagen woanders statt. Ziel ist es, diese Wertschöpfung wieder zu regionalisieren, das Geld in die Region zu holen, so wie es das andere Standbein der Seenplatte, der Tourismus, vormacht.

Thesen zur ländlichen Entwicklung
Hauptakteurin des Kongresses ist die Grünen-Abgeordnete Cornelia Behm. Sie fasste vor dem Kongress die Entwicklungsansätze für das Land in 19 Thesen zusammen. Da der technologische Fortschritt in der Landwirtschaft europaweit jährlich rund 100.000 ha aus der Produktion verschwinden lassen kann, bieten sich für die Bauern viele interessante Einkommensalternativen an: Anbau von alten Obst- und Gemüsesorten oder nachwachsende Rohstoffe. Je nach Region kann sich die Landwirtschaft, eine Dienstleistung oder der Tourismus als Chance begreifen lassen. Das müssten jedoch die Menschen vor Ort erkennen und umsetzen. Von außen kommende Investoren, die viele Arbeitsplätze schaffen, sind alles andere als die Regel. Allerdings muss auch ein dünn besiedelter Raum keine Katastrophe sein, denn sofern Dorfläden beginnen alle Produkte des täglichen Bedarfes anzubieten, Busse als neue Mobilitätsleistung praktisch auf Zuruf vorbeikommen oder das Abitur auch über das Internet "gebaut" werden kann, sind solche Regionen intakt. Skandinavien macht es vor.

Der ganzheitliche Ansatz
Verbraucherministerin Renate Künast blieb es dann vorbehalten den "Werkzeugkasten" der ländlichen Entwicklung in sieben weiteren Thesen vorzustellen. Die Agrarpolitik der Agrarwende kann der Schlüssel dafür sein, denn erst wenn Direktzahlungen nicht mehr an die Produktion gebunden sind, dann kann der Bauer in seiner unternehmerischen Freiheit Raps, Lein und alte Obstsorten anbauen, die nicht vordergründig nur den aktuellen Markbedürfnissen entsprechen. Förderungen müssen sektorübergreifend sein, das Handwerk mit der Landwirtschaft zusammen arbeiten und bestehende Organisationen, wie beispielsweise die Landfrauen können Kompetenzzentren bilden, um über Netzwerke Erfahrungen auszutauschen. Jeweils eine integrierte Methode für eine Region - dieses Bild steigert die Effektivität der Förderung und sichert den bisherigen 18 Modellregionen (www.modellregionen.de) den Fortbestand über 2005 hinaus.

Doch welche Bilder haben wir vom Land?
Die allermeisten besinnlichen Bilder über Dörfer und Land stimmen mit der Wirklichkeit nicht überein. Schweifender Blick von einem Hügel über Hecken und Seen bis zu den Baumgruppen am Horizont? Falsch: Die Klimaxvegetation Mitteleuropas ist der Wald. Nach den Gräsern kommen die Büsche und die ersten Bäume, bis das offene Land unter einem Blätterdach verschwindet. Das, was die Landschaft offen hält und damit ein Rückgrat des ländlichen Raumes ist, bleibt die Landwirtschaft. Hartmann Vogtmann, Präsident des Bundesamtes für Naturschutz, forderte zuerst einmal, zu überlegen, was wir alle mit dem Land machen wollen, wofür wir es überhaupt nutzen sollen. Das können die Menschen meist bereits ohne Fördergelder, wie Dutzende von Eigeninitiativen in Südwestdeutschland aus den 80er Jahren belegen. Die Kulisse, der ländliche Raum, ist bereits vorhanden. Die Rhönregion beispielsweise liegt sogar in drei unterschiedlichen Bundesländern: Thüringen, Bayern und Hessen. Das zeigt, dass Verwaltungen keine Hindernisse sein müssen. Dort wurden Einzelprojekte der Dorferneuerung, des Tourismus und der Agrarförderung zusammen gefasst. Bäuerinnen wurden zu Tourismusfachfrauen. Die Regenbogenforelle wurde zurückgedrängt und die ehemals heimische Rhönforelle wieder erfolgreich eingebürgert. Rhönbauern sind auf der Frankfurter Zeil mit ihren Produkten aus dem Naherholungsgebiet den Frankfurtern bekannt. Hartmann Vogtmann spricht sich eher für die Förderung der Regionalisierung, als für die Regionalisierung der Förderung aus.

Land braucht Bauern
Die Probleme des ländlichen Raumes sind kein Ostdeutsches, kein europäisches Problem, sondern ein weltweites. Bergregionen in Österreich, die Pyrenäen, das nördliche Skandinavien und auch 100 Millionen Chinesen die aus ihren Regionen in die Metropolen wollen, wie Wolfgang Reimer aus dem Landwirtschaftsministerium berichtete, weisen auf grundsätzliche Probleme hin, die vielleicht auch nicht über komplizierte Fürsorgemodelle gelöst werden können. Die Stadt, Karriere und Geld entzogen schon immer dem Land Menschen. Zum Teil liegt es auch daran, dass Landwirtschaft kaum mehr die Bauernfamilien ernährt. Selbst in hochindustrialisierten Produktionsregionen, wie die Schweinemast in Westfalen-Lippe, sichert Landwirtschaft kaum alleine die Einkommen. Wolfgang Reimer führte an, dass auch dort 25 Prozent aus Direktvermarktung und Tourismus stammt. So sind die vorgestellten Thesen nur der politische Teil der Diskussion. Wenn selbst ein 60 ha - Betrieb nicht mehr wachsen kann, weil die umliegende Genossenschaft keinen Hektar zur Pacht abgibt, dann lässt sich das nicht über Fördergelder regeln. Regionalmanager ersetzen keine Eigeninitiative der Menschen und Innovationen brauchen alle landwirtschaftlichen Betriebe: egal ob groß oder klein, ob konventionell oder ökologisch. Die großen Betriebe in Ostdeutschland sind die einzigen, die einem freien Wettbewerb nach WTO-Regeln bestehen könnten. Die Frage nach dem ländlichen Raum kommt um die Frage nach dem landwirtschaftlichen Betrieb nicht herum: ?Ein Dorf ohne Bauern ist ein Randsiedlungsgebiet?, wie es ein thüringischer Bauer auf dem Kongress formulierte. In den Diskussionen blieb offen, ob nicht vielleicht doch nur die landwirtschaftliche Förderung zur Erhaltung des ländlichen Raumes ausreicht. Aber Bauern brauchen gerechte Preise für Lebensmittel. Der Deutsche Bauernverband hatte bereits das Angebot von Aldi-Nord als Dumpingpreis bezeichnet: 10 Eier aus der Bodenhaltung zu 0,69 Euro. Der Discounter verschafft sich einen Wettbewerbsvorteil auf Kosten der deutschen Eiererzeuger. Wer Lebensmittel zu solchen Preisen kauft, der muss die vermeintlich eingesparte Differenz über die Kanäle der Fördergelder doch entlohnen. Eine Gefahr für den ländlichen Raum tauchte während des Kongresstages gar nicht auf: Der discountorientierte Verbraucher.

roRo

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