Welternährung ist mehr als Fläche und Ertrag

Landwirtschaft

Lernen, mit der Schöpfung umzugehen

Derzeit reichen die Schlagzeilen der Presse von der Unmöglichkeit der Menschen, sich zukünftig noch mit Nahrung zu versorgen, bis hin zu einfachen Lösungen, dass die grüne Gentechnik die wachsende Bevölkerung doch noch ernähren kann. In der Tat ist die Situation steigender Lebensmittelpreise und Lösung der Welternährung eine „Gemengelage“, wie der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell gestern Herd-und-Hof.de mitteilte. Er stellte in Berlin sein neues Buch „Aus der Schöpfung leben – Erneuerbare Energien nutzen“ vor, das er zusammen mit Pater Christoph Gerhardt aus der Benediktinerabtei Münsterschwarzach geschrieben hat.

Sozialmetabolischer Übergang
Als die österreichische Soziologin Prof. Dr. Marina Fischer-Kowalski Anfang April den sozialmetabolischen Übergang am Ende des Fossilzeitalters als Zeit der Unruhe und des Chaos beschrieb, wusste sie noch nicht wie nahe ihre Prognose an der Wirklichkeit lag. Mittlerweile ist die Regierung von Haiti gestürzt. Die um rund 40 Prozent gestiegenen Lebensmittelpreise haben die Dynamik auf den komplexen Sachverhalt erhöht, warum Menschen immer noch arm sind und hungern. Und das in direkterer Verbindung auf den Lebensstil der westlichen Welt bezogen als jemals vorher. Weil auch hier die Preise steigen.
Auf der Frühjahrstagung des IWF und der Weltbank haben einige afrikanische Länder begonnen, ihre unerledigten Hausaufgaben zu markieren. Fehlende Zugänge zu Boden, Betriebsmitteln, Wasser oder Saatgut hindern die Kleinbauern, sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen. Die Eigenproduktion soll mehr gefördert werden. Diesen Mangel klagte auch der jüngst erschienene Bericht des International Assessment of Agricultural Kowledge, Science and Technology for Development (IAASTD) an. Die Lösung ist politisch, wie die Menschenrechtsorganisation FIAN zum Tag der Landlosen am 17. April forderte: „Anlässlich des Tages der Landlosen fordert die Menschenrechtsorganisation FIAN die weltweite Stärkung der Mitbestimmungsrechte von Kleinbauern und den Schutz von Vertretern von Kleinbauernorganisationen. Dies ist die Voraussetzung, um das Menschenrecht auf Nahrung international zu verwirklichen. Die Steigerung der Lebensmittelproduktion wird nur dann den Hunger bekämpfen, wen Kleinbauern das Recht erhalten, mitzubestimmen, was und auf welcher Fläche produziert werden soll.“
M. P. Jones, Exekutivdirektor des Forums für Landwirtschaftliche Forschung in Ghana schreibt bei scidev.net, dass nur 150 Nahrungspflanzen weltweit aus kommerziellen Gründen erforscht und im Ertrag verbessert werden. Hingegen spielen bei der autochthonen Bevölkerung weitere 7.000 Arten eine Bedeutung, die jedoch vernachlässigt werden.

Schwung für Doha?
Die Welthandelsrunde Doha ruht seit mehreren Jahren, hat aber nun auch wieder an Dynamik gewonnen. Weltbank Präsident Zoellick: „Wenn es jemals einen Zeitpunkt gegeben hat, die verfälschten Agrarsubventionen zu beschneiden und die Märkte für Lebensmitteleinfuhren zu öffnen, ist er jetzt gekommen.“ Als neues Ziel, Zölle und Subventionen für Landwirtschafts- und Industrieprodukte zu senken, ist der Januar 2009 im Gespräch. Die Genfer Direktorin des Instituts für Landwirtschafts- und Handelspolitik, Carin Smaller, assistiert: „Es wird Zeit, dass wir ein neues Gebilde an Handelsregeln aufstellen, damit Regierungen ein starkes und beständiges Lebensmittel- und Landwirtschaftssystem aufbauen können.“

Keine lähmende Reaktionen hervorrufen
Der Flächendruck der erneuerbaren Energien spielt nach Hans-Josef Fell derzeit noch keine große Rolle. Um diesem Faktor künftig jedoch die Spitze zu nehmen, müsse sowohl die Lebensmittel- als auch die Produktion von erneuerbaren Energien auf dem Acker nachhaltig erfolgen, sagte er zu Herd-und-Hof.de. Hinter den gestiegenen Lebensmittelpreisen stecke vor allem der hohe Ölpreis, der beispielsweise die Bearbeitungskosten in die Höhe treibt. In den ländlichen Regionen sind die Strukturen falsch, wenn Bauern keine Gelegenheit erhalten an Saatgut zu kommen. Nachhaltigkeit sei aber nicht im Interesse der Konzerne, die mit der grünen Gentechnik einfache Lösungen anbieten. Man brauche für die Lösung überhaupt keine Gentechnik. Beispiele der Wüstenbegrünung zeigen, dass es auch anders geht. Derzeit solle man die Menschen nicht mit „apokalyptischen Beschreibungen“ in ihren Reaktionen lähmen, mahnt Fell eine differenzierte Betrachtung an.

Münsterschwarzach vor der Haustür
Bücher über erneuerbare Energien sind derzeit bei Drucklegung oft veraltet. Der Markt ist sehr dynamisch. Das Fell und Prior Gerhardt dennoch ein lesenswertes Buch geschrieben haben, liegt an zwei Eigenschaften: Ohne Tabellen und quälenden Analysen gibt es durch seinen praktischen Teil einen lesbaren Überblick über einfache persönliche Handlungsanleitungen. Mit der richtigen Dämmung und den richtigen Baustoffen in der Gebäudehülle kann jeder Einzelne bereits viel für die Energieeffizienz tun. Warum sollte der Zweitwagen nicht ein Elektroleichtmobil sein?
Im Dschungel der hin- und herwogenden Argumente, die Nahrungs- und Ernährungssouveränität für alle Menschen sicher herzustellen, bietet das Buch eine handhabbare Orientierung.
Zusätzlich fügt Pater Gerhardt der aktuellen Diskussion die verloren gegangene Komponente der Spiritualität hinzu. Die Abtei Münsterschwarzach im Maintal bei Würzburg wird von Benediktinern geleitet. Dem Heiligen Benediktus war die Erhaltung der Lebensgrundlage ein wichtiges Ziel. So haben die Mönche 2000 begonnen ihre Abtei mit Strom und Wärme aus Biogas, Fotovoltaik, Solarthermie und einer Holzhackschnitzelheizung mit Rohstoffen aus der Umgebung selbst zu versorgen. Jetzt sind sie fertig. 50.000 m2 Fläche und täglich 1.300 Menschen auf dem Gelände mit Gymnasium erforderten rund 650.000 Heizöl und eine Million kWh Strom im Jahr. In der Bilanz produziert das Kloster das mittlerweile alles selbst.
In der Abtei-Erklärung vor sieben Jahren heißt es, dass der Wechsel zu erneuerbaren Energien „ein mutiger Schritt mit spiritueller Grundlage“ ist, denn die Umwelt achten, bedeutet auch die Menschen zu achten.
Die Abtei hat noch einen weiteren Vorteil: Man kann sich vor Ort über den Erfolg informieren, den das Buch beschreibt und ihn als Vorbild für das eigene Tun übernehmen.

BMZ-Plan zum Earth Day
Seit 1970 wird jeweils am 22. April unter dem Motto „Global denken, lokal handeln“ der Tag der Erde, Earth Day, begangen. Zumindest das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) hat gestern seine Hausaufgaben mit einem 9-Punkte-Plan gemacht und einen „Pakt für Ernährungssicherung“ und einem „New Deal for global Food Policy“ vorgelegt. Darin fokussiert das Ministerium die in den letzten Wochen verstreut erhobenen Forderungen nach Förderungen der Zivilgesellschaften, nach mehr Agrarforschung in den Entwicklungsländern, dem Abbau von Exportsubventionen und dem Aufbau einer nachhaltigen Landwirtschaft. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul geht allerdings noch einen Schritt weiter und forderte am Montag generell, die Agrartreibstoffe auf den Prüfstand zu stellen. Das Recht auf Nahrung wiege schwerer als das Recht auf Mobilität: „Einsatz von Getreide und Ölfrüchten für die Agrartreibstoff-Produktion vorübergehend aussetzen, bis sich die Märkte wieder beruhigt haben“, heißt es in dem Papier. Wohl aus Furcht vor solchen Sätzen hüllen sich derzeit das Agrar-, als Kernkompetenzministerium für Landwirtschaft und Ernährung, und das Umweltministerium in Schweigen.

Intensivierung
Für Hans-Josef Fell ist die grüne Gentechnik keine gangbare Alternative. Nicht kategorisch abgelehnt wird sie von Lothar Willmitzer, Direktor des Max-Planck-Instituts in Potsdam, der aus dem IAASTD-Bericht den Mangel herausliest, dass die geforderten traditionellen Landbauweisen den Ernährungsanforderungen nicht gerecht würden. Für Willmitzer stehen die Kleinbauern mit ihren niedrigen Erträgen besser dar, wenn ihre Pflanzen krankheitsresistent sind und höhere Ernten erzielen. Auch David Dickson, Direktor von scidev.net hält den Bericht für ambivalent, weil bei der Gentechnik nur die Risiken erwogen wurden. Hier stelle sich der Bericht gegen den wissenschaftlichen Konsens des Weltklimaberichts, dass die grüne Gentechnik angesichts des Klimawandels nur eine geringere Bedrohung darstelle.
Zweifellos muss die Produktivität der landwirtschaftlichen Produktion steigen. Das sagt auch der IAASDT. Er will mit Hilfe von landwirtschaftlichem Wissen, Forschung und Technik, den Boden, die Nährstoffversorgung der Pflanzen, die Vor- und Nacherntebehandlung bei der Schädlingsbekämpfung und das Wassermanagement verbessern. Welche Technik dazu am besten geeignet ist, steht noch aus – vor allem auch deshalb, weil trotz aller Hochrechnungen die Gesamtbilanz der Welternährung ähnlich wie die Klimavorhersage zu viele Unbekannte hat. Die „menschliche Aneignung der Nettoprimärproduktion“ für Nahrung, Energie aber auch durch Siedlung und Infrastruktur geht nicht zwingend durch den Mensch zurück. Die Klagenfurter Wissenschaftler haben berechnet, dass intensiv bewirtschaftetes Ackerland und Bewässerungswirtschaft höhere Photosyntheseraten aufweisen können als die natürliche Vegetation. Fest steht im sozialmetabolischen Übergang am Ende des Fossilzeitalters bislang nur, dass sich etwas verändern muss.

Lesestoff:
Das Buch „Aus der Schöpfung leben – Erneuerbare Energien nutzen“ ist im Vier-Türme-Verlag Münsterschwarzach erschienen und kostet 14,90 Euro. ISBN-Nummer 978-3-89680-348-1
Eine Zusammenfassung des IAASTD-Berichts (Original hat 2.500 Seiten) finden Sie unter www.agassessment.org
Scidev ist der Internetauftritt der Wissenschaftsmagazine Science und Nature: http://www.scidev.net/en/
Den 9-Punkte-Plan des BMZ finden Sie unter www.bmz.de

Roland Krieg

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