Welthandel bei verschiedenen Standards

Landwirtschaft

Mercosur und Vietnam

Lange haben Südamerika und die EU miteinander verhandelt. Jetzt hat die EU-Kommission sich grundlegend mit dem südamerikanischen Handelsverband Mercosur geeinigt. Einem Abschlusstext müssen auf dem alten Kontinent das Europaparlament und der Ministerrat zustimmen.

Das Abkommen mit den südamerikanischen Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay steht vor allem bei den europäischen Landwirten in Kritik, weil mit Argentinien und Brasilien gewichtige Agrarexporteure darstellen. Der Agrarexport von Brasilien war der einzige Sektor, der in den letzten Jahren eine gute Performance gezeigt hat.

Der Handel mit dem Mercosur beläuft sich jährlich 88 Milliarden Euro für Güter und auf 34 Milliarden Euro bei Dienstleistungen. Im Güterbereich sind die wertmäßigen Ströme nahezu ausgeglichen, wenn auch die Art der Waren sehr unterschiedlich ist. Das Abkommen wird beidseitig rund 90 Prozent der bestehenden Zölle auf null setzen. Die EU legt Wert darauf, dass die hohen Verbraucherstandards in Europa beibehalten werden und Waren aus Südamerika nach dem gesundheitlichen Vorsorgeprinzip reglementiert werden dürfen. 357 geschützte Marken werden vom Mercosur anerkannt. Neben dem Exportvorteil von Autos und Ersatzteilen verfolgt die EU das Ziel, Rohstoffe wie Häute für die Lederwarenindustrie und Sojabohnen für die europäische Tierhaltung preiswerter importieren zu können.

Vorteile für die Agrarindustrie liegen für den künftig zollfreien Export von Schokolade, Wein und Spirituosen sowie zollfreie Kontingente für Molkereiprodukte wie Käse.

Der FDP-Vorsitzende Michael Theurer kommentiert: „Das Freihandelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten ist ein wichtiger Schritt gegen Protektionismus und Abschottung. Es schafft eine Win-Win-Situation: Ein Wirtschaftsraum mit 260 Millionen Einwohner ist nun für die deutsche Wirtschaft besser erreichbar und im Gegenzug werden auch die Importe in die EU erleichtert. Unsere mittelständische Industrie ist auf solche Exportchancen angewiesen.“

Holger Bingmann ist Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen und kommentiert: „Der Durchbruch kommt zur rechten Zeit. Das ist eine sehr gute Nachricht vor allem für die Bürger und Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks. Wir sind überglücklich, dass dieses historische Abkommen nach äußert langen und zähen Verhandlungen nun zu einem erfolgreichen Abschluss kommt. Die entstehende größte Freihandelszone der Welt ist mehr als nur ein Ausrufezeichen gegen den weltweit grassierenden Protektionismus.“

Die Handelspolitikerin Katharina Dröge (Bündnis 90/Die Grünen) hält das Abkommen für fatal: „Die EU tauscht mit dem Abkommen besseren Marktzugang für Autos gegen riesige Importe von Rindfleisch, Geflügel, Zucker und anderen Agrargütern. Das bedeutet neue Weide- und Anbauflächen und wird wohl weitere Rodungen im Amazonasgebiet zur Folge haben. Schon jetzt sind ist die Abholzung des Regenwaldes unter Bolsonaro um mehr als 50 Prozent gestiegen. Mit gravierenden Folgen für den Klimaschutz, die Artenvielfalt im Amazonas-Gebiet und die indigene Bevölkerung, die für neue Weideflächen vertrieben wird.“

Berit Thomson von der Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) verweist auf die ablehnende Haltung einiger EU-Mitgliedsländer: „Die Staats- und Regierungschefs aus Frankreich, Polen, Irland und Belgien haben im Vorfeld insbesondere wegen der geplanten Rindfleischimporte Kritik zum Abkommen geäußert. Die Länder wurden unterstützt von den Niederlanden und Ungarn.“

Kritiker ziehen auch die Politikerkarte und verweisen auf den präsidialen Rechtsaußen Jair Bolsonaro. Dröge: „Die Entscheidung ist auch ein Schlag ins Gesicht für die Zivilgesellschaft in Brasilien, die sich gegen Repressalien des rechtsextremen Präsidenten Bolsonaro wehrt. Denn den Liberalisierungen für die europäische Industrie und die südamerikanischen Agrargiganten stehen im Abkommen kaum Regeln für den Schutz von Umwelt, Klima und Menschenrechten gegenüber – ein fatales Ungleichgewicht.“ Der Europaabgeordnete Martin Häusling (Grüne) kritisiert seine Klimapolitik: „Bolsonaro hat seinen Klimaetat gerade um 90 Prozent gekürzt. Wie kann man mit einem derartigen Ignoranten Verträge abschließen?“

Der Blick nach Brasilien zeigt, dass Bolsonaro in den ersten sechs Monaten nahezu nichts wirklich hat durchsetzen können. Die aktuellen Umfragewerte liegen bei nur noch 32 Prozent, sagte der brasilianische Politologe Aurélio Nogueira gegenüber der Deutschen Welle. Weder die Liberalisierung der Waffengesetze noch die Vorlagen gegen Korruption haben den Kongress passiert. Dunkle Immobilien-Geschäfte ziehen den Präsidenten sogar selbst in den Schlamassel, den er kritisiert. Marktliberalisierungen  zur Stimulierung der Wirtschaft verhindert der Präsident bislang und enttäuscht die Industrie.

Vietnam

Auch das anschließende Abkommen mit Vietnam wird kritisiert. Katharina Dröge: „Die heutige Unterzeichnung des EU-Vietnam-Handelsabkommens ist ein schlechtes Signal im Kampf gegen die Klimakrise und ein großes Versäumnis mit Blick auf die Menschenrechtslage in Vietnam. Das Abkommen setzt einseitig auf die Interessen großer Konzerne. Regelungen zum Schutz von Klima, Umwelt, Arbeitsstandards oder gar Menschenrechten bleiben hingehen größtenteils zahnlos.“

Vietnam befindet sich zwischen Geschichte und Moderne. Die Mitte der 1980er Jahre aufgelegten Wirtschaftsprogramme (Doi Moi) verfangen nicht so recht, weil mehr als drei Viertel der Menschen in der Schattenwirtschaft tätig sind. Doch mittlerweile gehört Vietnam zu den Schwellenländern.

Handel bei verschiedenen Standards

Bauernpräsident Joachim Rukwied hatte auf dem Bauerntag vergangene Woche ein Abkommen mit dem Mercosur im Vorfeld kritisiert und sagte am Samstag: „Es ist nicht zu akzeptieren, dass die EU-Kommission diese völlig unausgewogene Vereinbarung unterzeichnet. Dieses Handelsabkommen ist Doppelmoral pur. Es gefährdet die Zukunft vieler bäuerlicher Familienbetriebe, die unter den hohen europäischen Standards wirtschaften. Ungleiche Anforderungen bei Umwelt- und Klimaschutz, beim Antibiotikaeinsatz und beim Pflanzenschutz, sowie die fehlende ausreichende Absicherung des europäischen Marktes würden zu einer dramatischen Wettbewerbsverzerrung - insbesondere bei Rindfleisch, Geflügel und Zucker führen.“

Wie aber gerade der Agrarhandel bei den weltweit unterschiedlichen Standards  funktionieren kann, darüber debattierten Experten auf dem Bauerntag. Die Weltpolitik hat nach dem Weltbauernpräsidenten Theo de Jager aus Südafrika die Agrarwirtschaft längst als Wirtschaftssektor und „Business“ anerkannt. Das sei für die Sicherheit von Investitionen auch notwendig. Technologische Innovationen und die Digitalisierung erreichen und verändern die Landwirtschaft schneller als früher und bringen auf einem zusammenwachsenden Markt zwangsweise alle Formen der Landbewirtschaftung in Wettbewerb zueinander. Unterschiedlich sind nach wie vor die Anforderungen an die Landwirtschaft. Die einen wollen sich endlich satt essen, die anderen stellen immer mehr Forderungen an die Qualität und Herkunft ihres Essens.

Für de Jager sind die Märkte geteilt. Die afrikanische Landwirtschaft kann mit ihren Produkten qualitätsmäßig nicht in Europa bestehen und umgekehrt seien die europäischen Produkte in Afrika zu teuer. Die Wünsche auf saturierten Märkten werden vielfältiger. Aber auch abstrakter: Die Landwirtschaft sei aber noch nie in Harmonie mit der Natur gewesen. Für einen Ertragsüberschuss muss der Landwirt das Unkraut bekämpfen.

Für die afrikanischen Bauern ist das dennoch frustrierend, wenn sie trotz Ausbildung und Vermarktungsinvestitionen gegen brasilianisches oder europäisches Geflügelfleisch antreten müssen. Der Kampf gegen Hunger und Armt ist auch ein Auftrag für den Norden, fordert de Jager.

Wo liegt die Lösung?

Der Weltmarkt ist kein gemeinsames Spielfeld. Die Lösung ist ein großes Problem, weil Marktstandards kaum übertragbar sind. Die Standards erhöhen sich außerhalb Europas nur sehr langsam. Aber ist Abschottung eine Lösung?

Betriebswirtschaftler Dr. Rainer Kühl von der Justus-Liebig-Universität betrachtete den Lösungsansatz in Europa. „Die Landwirtschaft ist keine Spielwiese einer gesättigten Gesellschaft!“ Müssten die Standards so hoch sein? Die deutsche und europäische Landwirtschaft brauche neue Konzepte und müsse nahe urbaner Zentren konsumentennah produzieren. Dr. Dirk Köckler, Vorstand der Agravis Raiffeisen AG, sieht eine Rückbesinnung auf den eigenen Markt. Das Thema Klima rüttelt mittlerweile das verarbeitende Gewerbe durch. Witterungsbedingte Ausfälle sind kaum noch auszugleichen. Das dritte Jahr hintereinander lasse keinen „Grünaufschlag“ auf den Weltmarktpreis für hochwertigen Weizen zu. Die Genossenschaften konzentrieren sich vermehrt auf den eigenen europäischen Markt. Neue Stadt-Land-Beziehungen zwischen Landwirtschaft und Konsumenten bilden sich ja stetig heraus. Die Berichte über Gründerinitiativen verbleiben aber meist nur in der landwirtschaftlichen Presse.

Die hohen Standards in Europa lassen sich über den Markt nicht refinanzieren, beklagt Rukwied. Selbst die EU hat keinen Markt mit einheitlichen Standards. Rukwied sieht die Agrarpolitik gefordert, aber kein frisches Geld in den Länderetats.

Das ist nach Kühl auch kaum möglich, weil Ziele nicht definiert sind. „Was ist ein Hamster wert?“, fragt er. An wen richtet sich eine Biodiversitätsmaßnahme im Ackerbau? An die 20-Prozenz der Grünen-Wähler, an die bürgerliche Präferenz, bediene man die Umweltorganisationen oder den Obstbauern? Soll der Artenschutz als Ziel maximiert werden oder reicht ein integrierter Ansatz bei ausreichendem Ernteertrag? Daran werde in der Wissenschaft nur partiell gearbeitet. Das weite Forschungsfeld ist noch offen.

Für Prof. Werner Wahmhoff, ehemals Deutsche Bundesstiftung Umwelt, sind die Förderanreize „aktuell wirklich schlecht“ und passen wie beispielsweise mit dem Aussaattermin nicht in die bäuerliche Praxis. Eine Lösung wäre ein betriebsindividueller Biodiversitätsplan oder eine regionale Kooperation mehrerer Landwirte, wie sie in den Niederlanden umgesetzt wird.

Ein höherer Fokus auf den eigenen Markt mit finanziellem Ausgleich über die Politik löst nicht die Probleme in den Entwicklungs- und Schwellenländern, vertreibt aber die Angst vor Agrarimporten aus Ländern mit niedrigeren Standards. Das Handelsabkommen wird die Standards in die anderen Länder  exportieren.

Roland Krieg

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