Wenn das Wasser weg ist…
Landwirtschaft
Den Bauern hat die Flut mehrjährigen Schaden beschert
Normalerweise wiegen sich jetzt goldgelbe Getreidefelder im Wind und die Mähdrescher ziehen Staubfahnen hinter sich her. Doch im Winkel des Zusammen-schlusses von Saale und Elbe erstreckt sich eine verfilzte Pflanzendecke in schmutzigem Braun über die Felder. Der Raps sieht wie im Sommer erfroren aus und trägt nur noch tote Minikörner. Zwischen den Pflanzen glitzert noch immer das Wasser von der Flut des Jahres 2013. Landwirtschaftsminister Dr. Hermann Onko Aeikens in Sachsen-Anhalt bereiste am Montag die Dörfer Diebzig, Lödderitz, Klein Rosenburg und Breitenhagen, wo im Schutz der Saale- und Elbedeiche Erdbeeren, Getreide und Raps angebaut werden. Am 09. Juni rutschte der Saale-Deich jedoch auf rund 80 Meter Breite ab und konnte nicht mehr verdichtet werden. Am Ende brach die Krone in Höhe von Klein Rosenburg und rund 120 Millionen Kubikmeter Wasser strömte in die Dörfer und Wälder und flutete die Felder. Nach Burkhard Henning, Leiter des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft, ergoss sich so viel Wasser über das Land, wie die Rappbodetalsperre aufstaut. Das ist die größte Talsperre im Harz.
Das Wasser ist noch da
Henning trat am Montag auch gegen die „Legendenbildung“
an, dass der Deich zu früh aufgegeben wurde und damit der Scheitel gebrochen
wurde, um das an der Elbe flussabwärts liegende Magdeburg zu retten. Der Schaden
am Deich war so groß, dass er nicht mehr gerettet werden konnte, so Henning.
Neun Stunden vergingen zwischen Deichrutsch und Deichbruch. Die Bundeswehr sei
nicht mehr in der Lage gewesen, den notwendigen Druck auf den Deichkörper
aufzubauen. Alles was auf den Restdeich geworfen wurde, drückte das Wasser
wieder weg. Es werde aber noch einen genauen Abschlussbericht geben.
Die Reise durch den Elbe-Saale-Winkel zeigt, dass das
Wasser noch immer da ist. Nicht mehr so spektakulär, aber dafür dauerhafter.
Landstraßen sind für den Schwerlastverkehr gesperrt, weil nur 50 Zentimeter
unter dem Asphalt noch das Wasser steht. Die Lkw üben durch das Befahren so
großen Druck aus, dass die Häuser entlang der Straßen Risse bekommen haben.
Dafür müssen jetzt die kleinen Straßen und Dörfer unter den Umleitungen leiden.
Getreidefeld nach der Überflutung
Das Wasser hat insgesamt eine Fläche von 85
Quadratkilometern überflutet. Teilweise stand es einen Meter über den Ähren,
einzelne Sandhügel blieben trocken, wo die Bauern noch Futter für ihre Pferde
gewinnen konnten. Der tonige und lehmige Boden allerdings gibt das Wasser nur
langsam wieder her. Zudem fließt es nur zäh über die Meliorationsgräben ab. Die
müssen alle komplett saniert werden, ergänzt Ronald Günther, stellvertretender
Flussbereichsleiter. So wie es auf den Feldern aussieht, sähe es auch auf der
Grabensole aus.
Seen wie der kleine Krügersee oder der Drähning bilden
sogar noch einen Ableitungspuffer und verzögern das Abfließen des Wassers.
Rückstau ins Land. Im Diebziger Busch, rund zwei Kilometer von der Elbe
entfernt, bedeckt das Wasser noch immer die Grasnarbe zwischen den Bäumen. Wann
die Böden wieder „trocken“ sind, weiß niemand vorherzusagen.
Unbefahrbare Felder
Nur stellenweise können die Bauern die Felder befahren.
Die Agrargesellschaft Lödderitzer und Breitenhagener Gbr. mit 1.560 Hektar Land
hatte 95 Prozent der Felder überflutet. An ein Befahren ist nicht zu denken.
Unter der verfilzten Pflanzendecke lauert Treibgut, das die Maschinen
kaputt machen kann. Derzeit ist ein
Abflammen der zerstörten Vegetation im Gespräch.
Endlich standen alle Früchte im Frühjahr einmal gut auf
den Feldern. Rund 40 Dezitonnen Raps hat die Agrargesellschaft erwartet. Aber
nicht nur die jetzige Ernte ist komplett zerstört. Bis Ende August müsste der
neue Winterraps in die Ernte. Die meisten Felder lassen aber keine
Herbstbestellung zu. Daher hat die Juni-Flut von 2013 auch Auswirkungen auf das
Erntejahr 2014. Auf bis 40 Prozent der Flächen kann die Agrargesellschaft
Lödderitz keine geordnete Herbstbestellung mehr durchführen.
Kaum noch zu erkennen, was hier einmal wuchs
Ein kleinerer Grünlandbetrieb bei Klein Rosenburg hatte
fünf Wochen lang Wasser auf seinen Weiden stehen. Der Betrieb muss die
Grasnarbe komplett erneuern. Die Entschädigung von 300 Euro je Hektar reicht
dafür nicht aus.
Alle Häuser in Breitenhagen, dem kleinen Weiler am
alten Elbedeich, sind „entkernt“. Der Hausstand türmt sich als Abfallberg vor
dem Haus. Nicht mehr alle Bürger wollen wieder zurück in ihr Dorf.
Das umfangreiche Hilfsprogramm
Mit 115.000 Hektar ist Sachsen-Anhalt das Bundesland mit den meisten überfluteten Hektaren.
Die Flut von 2002 hatte Schäden in Höhe von 1,3
Milliarden Euro verursacht. Das Landesamt für Hochwasserschutz hat bis 2011 gut 453 Millionen Euro für die
verschiedenen Schutzmaßnahmen in die Hand genommen. Nach Dr. Aeikens haben die
neuen Deiche gehalten, die etwa die Hälfte der Flusskilometer säumen. Wo es im
Jahr 2013 zu Problemen kam, lag es an den alten Deichen. Daher will das
Bundesland bis 2020 noch einmal rund 676 Millionen Euro für den Hochwasserschutz
ausgeben.
Das hilft aber nicht den in diesen Jahr Geschädigten.
Mit 2,7 Milliarden Euro Gesamtschäden an Infrastruktur, Bahnlinien, Häusern,
Kulturdenkmälern und der Landwirtschaft ist der Schaden für die letzte Flut
doch noch einmal deutlich angestiegen.
Für die Bauern gibt es ein dreistufiges Hilfsprogramm.
Von 4.200 landwirtschaftlichen Betrieben im Land haben bereits mehr als 700
einen Antrag auf Soforthilfe von 5.000 Euro gestellt. Bund und Länder finden
sich in einem ständigen Austausch über die Höhe und Menge weiterer
Hilfsprogramme. So werden die Bauern auf ihrer Fläche bis zu 50 Prozent mit
weiteren Geldern entschädigt. Für eine Hektar
Ackerfläche sind 500 Euro, für einen Hektar Grünland 300 Euro vorgesehen.
Trotz Gegenwind aus Baden-Württemberg und Bayern gibt es aber keine
betriebliche Obergrenze. Für Dr. Aeikens ist das ein Signal, Gelder, auch
Spendengelder sorgfältig einzusetzen, damit es nicht zu einer
„Überkompensation“ komme. Die nicht geschädigten Geberländer wollen wissen, wie
und wo ihr Geld ausgegeben wird.
Erdbeerfeld nach der Flut
Sonderkulturen werden extra entschädigt. Nach Volker
Rost aus dem Ministerium werden hier genaue Regeln angewandt. So kann die Flut
bei einem halben Hektar Pfingstrosen einen Schaden von 400.000 Euro angerichtet
haben. Ein Hektar überschwemmte Gurken wird mit 150.000 Euro zu veranschlagen
sein. Von diesem Rohertrag werden aber die Erntekosten noch abgezogen, bevor
der Schaden endgültig festgesetzt wird. Auch wenn möglicherweise bereits mehr
Geld vorhanden ist, als an Schaden auszugleichen wäre, bleibt es nach Dr.
Aeikens bei einer pauschalen Entschädigung für landwirtschaftliche Betriebe.
Gutachten für Bodenpunkte und langjährige Ernteerträge seien nicht praktikabel
und höhlten den Gedanken aus, dass der Staat mit dem Schadenersatz nur eine
Hilfe für die Selbsthilfe geben kann.
Betriebe, die besonders schwer getroffen sind, bekommen
schrittweise bis zu 90 Prozent ihres Schadens ersetzt. Plus Verluste für Tiere,
Technik und Gebäude, die nicht versichert sind. Aeikens hat der Bundeslandwirtschaftsministerin
mitgeteilt, dass auch die Mehrjährigen Schäden in der Landwirtschaft
ausgeglichen werden müssten. Welche Lösung sich dabei abzeichnet, ist derzeit
noch offen. Seit Montag gibt es zusätzlich Anträge für
Rekultivierungsmaßnahmen. Das können je nach Maßnahmen für Grünland 200 Euro je
Hektar und bei Ackerflächen für Abschlegeln und Mulchen 100 Euro je Hektar
sein. Für einen Zwischenfruchtanbau gibt es 250 Euro je Hektar.
Es gibt derzeit noch keinen Stichtag, wann das erste Geld ausgezahlt wird. Bund und Länder arbeiten noch daran. Es soll aber Ende August werden, wenn die Bauern eigentlich das erste Geld für ihre Ernte bekommen. Damit soll die Liquidität der Betriebe gesichert sein, so Aeikens.
Des Weiteren hat das Landwirtschaftsministerium mit der Landgesellschaft, der BVVG und der evangelischen Kirche gesprochen. Das sind die drei größten Verpächter im Land. Je nach Schadensgröße werden sie die Pacht reduzieren oder gar stunden. Nur bei den Banken sind die Probleme der Landwirte noch nicht angekommen. So war die Nord LB, bei der die meisten Bauern ein Konto haben, nur bereit zwei Tilgungsraten auszusetzen, „weil ab Januar die Bauern wieder Geld von der EU bekommen“. Minister Aeikens will sich mit dem Vorstand zusammen setzen und um mehr Rücksicht gegenüber den Bauern werben.
Langer Weg zur Normalität
Auch mehr als vier Wochen nach der Flut sind die Fragen nicht weniger geworden. Teilweise sind Milchkühe aus evakuierten Betrieben auf mehrere Ställe verteilt. Mit Hilfe der Ohrmarken müssen die Bauern sie erst langsam wieder einsammeln. Probleme gab es in den Flutnächten, weil Landräte keine Evakuierungsbescheinigung ausgestellt haben. Für die Bauern eine rechtliche Grundlage, die Kosten für den Transport rückerstattet zu bekommen. Es wurde aber alles dokumentiert, wann wo eine Evakuierung angeordnet wurde. Nach Volker Rost werden die Bescheinigungen auch nachgereicht.
Erosionsspuren auf dem Feld
Nach der Flut ist vor der Flut
Der Deich alleine reicht nicht für den künftigen Hochwasserschutz. An der Landesgrenze mit Sachsen, östlich von Bitterfeld stimmen beide Länder sich bei der Schaffung von neuen Poldern ab, die bei Bedarf Hochwasserscheitel minimieren sollen. Nach Dr. Aeikens wird ein ganzes Bündel an verschiedenen Maßnahmen einen breiten Hochwasserschutz gewähren. Dazu gehört auch eine Überarbeitung des Baurechts. „Nicht überall, wo man schön wohnen kann, muss ein Haus stehen“, gibt Aeikens die Richtung vor. Möglicherweise wird in Überschwemmungsgebieten der Hausbau eingeschränkt. Auch Öl- und Gasleitungen sollen überprüft werden, ob sie dort vorhanden sein müssen. Aeikens setzt dabei auf die Vernunft der Bürger: Wer sein Haus in der Straße „Am Quellgrund“ bauen will, der sollte nicht mehr mit einem Keller planen.
Lesestoff:
Die Antragsunterlagen zur Hilfe können unter www.elaisa.sachsen-anhalt.de heruntergeladen werden oder sind in den Ämtern für Landwirtschaft, Flurneuordnung und Forsten erhältlich. Über Einzelheiten zu den geförderten Maßnahmen, den Förderhöhen und sonstigen Verfahrensfragen informieren die Ämter für Landwirtschaft, Flurneuordnung und Forsten.
Eine umfangreiche Sammlung mit Antworten auch von Fragen aus dem Kleingarten- und Privatbereich hat das Landwirtschaftsministerium unter www.sachsen-anhalt.de/index.php?id=58771 bereit gestellt.
Roland Krieg; Fotos: roRo