Wer hat es satt?
Landwirtschaft
Aigner hat es satt
Während
der Internationalen Grünen Woche zogen 22.000 Menschen durch Berlin und demonstrierten
unter dem Motto „Wir haben es satt“ gegen die „Agrarindustrie“. Gleichzeitig
warb die Branche mit großformatigen
Anzeigen für ihre Arbeit und proklamierte „Wir machen Menschen satt!“.
Über
das letzte Wochenende hinweg berichteten verschiedene Medien über die neuen
Pläne im Bundeslandwirtschaftsministerium: Verbot der Kleingruppenhaltung für
Legehennen und die Einführung eines Tierschutzlogos.
Nicht neu, aber revolutionär
Das
Bundesverfassungsgericht hatte Anfang Dezember 2010 der Legehennenhaltung in Kleingruppen bereits das Ende
beschieden, allerdings eher wegen Formfehler, nicht wegen der Haltungsform im
eigentlichen Sinne.
Ein
Tierschutzlogo solle möglichst auf europäischer Ebene eingeführt werden. Dort
befindet sich ein entsprechendes Vorschlagspapier bereits auf dem Weg in das Europäische Parlament.
So
sind die Vorschläge für einen verschärften Tierschutz nicht neu. Für den
Kleingruppenkäfig haben sich auch die wenigsten Legehennenhalter entschieden,
da die Eier aus dieser Haltungsform die gleiche Bezeichnung „3“ bekommen, wie
aus der alten und verbotenen Legebatterie. Die Bodenhaltung konnte vom Wegfall
der Batteriekäfige profitieren. Nur knapp neun Prozent der Hennenhaltung findet
in Kleingruppen statt, teilt der Zentralverband der Deutschen
Geflügelwirtschaft (ZDG) Herd-und-Hof.de mit.
Sind
die Vorschläge also auf dem ersten Blick nicht neu, zeigt sich auf dem zweiten
Blick die revolutionäre Perspektive. Offenbar hat die Demonstration der 22.000
Verbraucher mehr bewegt, als eine Demonstration des Berufsstandes. Die Politik
nimmt den Druck der Straße auf – und mit dem Lissabonner Vertrag wird auch das
Europäische Parlament, das nun im Agrarbereich mitentscheidet, das Ohr mehr auf
den Bürgersteig legen, als der Branche lieb ist?
Gesellschaftlicher Diskurs
Ganz
so negativ sieht der ZDG das aber nicht. Eine Sprecherin versteht die
Demonstration zur Grünen Woche als Zeichen eines gesamtgesellschaftlichen
Diskurses, nicht nur von Städtern, die sich von der landwirtschaftlichen
Produktion zu weit entfernt haben. „Die Zeiten ändern sich“, sagte sie und die
Branche muss darauf reagieren. Auf diese Weise sind die Tierschutzstandards
immer weiter angestiegen. Die Branche sei gefordert, die Kommunikation
aufzunehmen.
Der
ZDG mahnt aber bei der Politik Verlässlichkeit an. Der Kleingruppenkäfig steht vor allem bei kleineren Betrieben, die hohe
Investitionen getätigt haben. Für diese Anlagen fordert der ZDG 30 Jahre
Bestandsschutz. Und wirtschaftlich müsse beachtet werden, dass im EU-Ausland
noch immer Legebatterien zugelassen sind, aus denen Eier nach Deutschland
exportiert werden.
Lesestoff:
Die
Entfremdung zur landwirtschaftlichen Produktion ist kein Kind der modernen
Zeit. Vera Hierholzer schreibt in ihrem Buch „Nahrung nach Norm“, ihrer Doktorarbeit, dass die Entfremdung mit der
Industrialisierung begann. Als die Menschen vom Selbstversorger zum
Gebrauchskonsumenten wurden.
Roland Krieg