Wie mit Schweinen Geld verdienen?
Landwirtschaft
BUND kritisiert hormonelle Brunstsynchronisation bei Sauen
Im vergangenen Wirtschaftsjahr haben sich die Einkommen der Veredlungsbetriebe erholt. In der Schweineproduktion wurden für Mastschweine und Ferkel höhere Erlöse erzielt. Das ist vergänglich, wie der Blick auf die aktuellen Schlachtpreise zeigt: Je Kilo erhalten die Erzeuger nur noch 1,52 Euro, was einem minus von acht Cent zur Vorweihnachtswoche entspricht. In der Handelsklasse E sind die Erzeugerpreise nach Angaben der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft AMI in den letzten drei Wochen um 20 Cent gefallen. „Überhang an Schweinen“ lautet die Überschrift. Aktuelle Tendenz: Schwächer.
Strukturwandel Schweinehaltung
Die Zeiten, in denen Eber, Sauen und Ferkel gemeinsam
auf einem Hof lebten sind vorbei. Die Schweineproduktion hat sich schon vor
langer Zeit arbeitsteilig aufgestellt und trennt Zuchtbetriebe, Ferkelerzeuger
mit Sauenhaltung und Mäster. Die Ferkelerzeugung ist davon die
arbeitsaufwendigste und wird überwiegend von Familien mit Arbeitskraftreserven
übernommen.
Dennoch hat in den letzten 20 Jahren ein umfassender
Strukturwandel stattgefunden. Gab es 1996 noch 206.000 Schweinehalter, hat der
Deutsche Bauernverband für 2013 nur noch 53.000 Schweine haltende Betriebe
gezählt. Auch der Teilmarkt Sauenhalter ging im gleichen Zeitraum zurück: Von
69.000 auf 15.000 Ferkel erzeugende Betriebe. Allein im letzten Jahr ging die
Zahl der Sauenhalter um 14,4 Prozent zurück, weil nicht alle mehr die
Umstellung auf die Gruppenhaltung im Stall finanzieren wollten.
Niedrige Preise und hohe Kosten haben zu
Effizienzsteigerungen in der Ferkelerzeugung geführt, bei der Zahlen des
Reproduktionsgeschehens im Mittelpunkt stehen.
Der Blick ganz zurück zwingt zu einer einfachen
Unterscheidung. Alle heute domestizierten Hausschweine gehen auf das
Wildschwein „Sus“ zurück. Während das Wildschwein jedoch nur einmal im Jahr
Ferkel zur Welt bringt, kommt das „moderne Schwein“ auf statistische 2,3 Würfe
im Jahr.
Neben Mast-, Schlachtleistung oder
Fleischbeschaffenheit sowie Gesundheit ist die Reproduktionsleistung der Sau
ein Bündel aus verschiedenen Parametern, die sich im Lauf der Zeit geändert
haben. Zu diesen Parametern zählt das Erstferkelalter, die Zahl lebend
geborener Ferkel pro Wurf und pro Jahr, oder die Wurfabstandstage.
Spielte die Wurfgröße 1980 eine zwar wichtige, aber
keine bedeutende Rolle, wurde über 1990 bis heute dieser Kennwert immer
wichtiger. Wichtiger wurde auch die „Produktivität der Sau“, während der Faktor
„Langlebigkeit“ erst in den letzten Jahren stärker in der Züchtung
berücksichtigt wird [1]. Die Fruchtbarkeit der Sau ist das entscheidende
Merkmal in der Schweinehaltung. Ziel sind 25 bis 28 Ferkel pro Sau und Jahr.
Die Rolle des Tierhalters
Das termingerechte Erkennen der Brunst durch den
Tierhalter ist einer der entscheidenden Faktoren für eine Trächtigkeit und
viele Ferkel, die den wirtschaftlichen Erfolg der Sauenhaltung sichern. In der Brunst
sind die Tiere unruhig, fressen kaum und wollen auf andere Tiere aufspringen.
Die Scham ist gerötet, glänzend und geschwollen. Transparenter Schleim ist
sichtbar. Die Brunst dauert zwei bis drei Tage und nur während des so genannten
Duldungsreflexes erlaubt die Sau die Annäherung des Ebers. Der Sauenhalter kann
das durch Drücken mit der Hand auf den hinteren Rücken der Sau eindeutig
feststellen. Es gibt aber auch Brunstverläufe, die vom Lehrbuch abweichen und
nicht so schnell zu erkennen sind. Dann muss der Tierhalter wieder 21 Tage auf
die nächste Brunst warten.
Heute kosten Abweichungen von Produktionsparametern
Geld, das die schmale Marge weiter schmälert. So kostet nach Dr. Stefan Viebahn
vom Ingenieurbüro für Tierproduktion (SVIFT) allein die Brunstkontrolle
außerhalb der Belegungswochen 4,37 Euro pro Sau. Zusammen mit Umrauschtagen,
also Tagen ohne Ferkel, verminderter Abferkelrate und höherer Ferkelverluste
können bei ungenügendem Herdenmanagement leicht bis zu 100 Euro Verlust pro Sau
und Jahr zusammen kommen.
Produktionszyklusprogramm
Der Brunst als Teil der wirtschaftlichen
Reproduktionsleistung kommt daher eine Schlüsselrolle
zu. Wer 20 Sauen einstallt, der hat 20 Tiere in verschiedenen Sexualzyklen. Gegenüber
Rindern dauert der Geburtsvorgang beim Schwein wesentlich länger. Die normale
Geburt währt rund drei Stunden und zwischen dem Erscheinen einzelner Ferkel
kann bis zu 30 Minuten Wartezeit vergehen. Um den Ferkeln zu helfen, die Sau zu
beruhigen oder aufzupassen, dass keine Ferkel erdrückt werden, ist das
Abferkeln eine arbeitsintensive Tätigkeit. Vernachlässigte Geburtsbeobachtung
äußert sich schnell in Ferkelverlusten.
Was bei 20 Sauen kein Problem darstellt, wird mit
steigender Tierzahl zu einem. Es gibt zahlreiche Einflussfaktoren, die den Sexualzyklus
der Sau beeinflussen. Neben Fütterung und Haltung kann auch die Umgebungstemperatur
den Zyklus beeinflussen. Kontinuierliche Stallbelegungen mit neuen Sauen,
kontinuierliche Besamungen und Bestandsergänzungen nach Bedarf erhöhen nicht nur
den Arbeitsaufwand, sondern auch Risiken der Stallhygiene. Daher hat sich die „Rein-Raus-Methode“
schon früh durchgesetzt. Dabei werden die Sauen gruppenweise besamt, was einen
gruppengleichen Sexualzyklus voraussetzt. Die Abferkelungen und das Absetzen
der Ferkel finden in einem planbaren Zeitfenster statt. Daher hat sich in
großen Betrieben die Ferkelerzeugung nach einem Produktionszyklusprogramm
etabliert.
Zootechnischer und biotechnischer Zyklusstimulation
Die seit Anfang 2013 vorgeschriebene Gruppenhaltung von
Sauen ist eine natürliche Angleichung der Sexualzyklen zwischen den Tieren. Mit
der so genannten Flushing Fütterung bekommen die Sauen rund eine Woche vor dem
Decken eine energiereiche Futterration von drei Kilogramm je Tier und Tag. Ziel
sind 16 Millimeter. Das Körperfett reguliert Sexual-, speichert
Geschlechtshormone und wichtige fettlösliche Vitamine. In Fettzellen bildet
sich das Hormon Leptin, das für den Sexualzyklusablauf wichtig ist.
Auch mit Hilfe von Lichtprogrammen können Sauen in
einem Stall auf den gleichen zeitlichen Sexualzyklus gebracht werden.
Für Jungsauen gibt es ein ausgeklügeltes „Eingliederungsprogramm“.
Dazu werden sie etwa 45 Tage vor dem geplanten Belegtermin ein einen eigenen
Stall gebracht und erhalten das energiereiche Futter für die Bildung dicken
Rückenspecks. Die separate Aufstallung gibt den Jungsauen Zeit, sich an die
neue Keimumgebung zu gewöhnen, was als effektiver gilt, als der Kontakt mit
Altsauen. Eine kurzfristige Umstallung mit Eberkontakt und Kontakt zu
rauschenden Altsauen induziert und synchronisiert die Rausche bei den Jungsauen.
Zyklussteuerung mit Hormonen
In großen Sauenbeständen, vor allem in Ostdeutschland, hat die hormonelle Brunstsynchronisation einen festen Stammplatz. Die ersten Gedanken dazu gab es aber bereits 1935 von Fritz Hofmann, der über ein zeitlich festgesetztes Deck- und Abferkelsystem die Fortpflanzungstermine einer Herde lenken wollte. Ende der 1950er Jahre konnte er das in der Praxis ausprobieren. Im Westen wurde mit dem Präparat Aimax gearbeitet, dass aber 1972 wegen Missbildungen bei trächtigen Schweinen wieder aus dem Handel genommen wurde [2]. In den DDR-Kombinaten wurde ab 1977 Suisynchron eingesetzt. Mit Hilfe von Zinkverbindungen wird die Ausschüttung von GnRH (Gonadotropin Releasing Hormon) aus dem Hypothalamus unterbunden und damit das Follikelwachstum gehemmt.
Heute funktioniert das ausgeklügelte System in mehreren Stufen: Zunächst werden die Sauen mit Altrenogest durch die Zyklusunterbrechung auf den gleichen Ausgangsstatus gebracht. Dann wird mit Equine Chorion Gonadotropin (eCG (früher PMSG)) die Brunst zeitgleich ausgelöst. Nachzüglerinnen können mit GnRH noch nachstimuliert werden. Die Mittel werden über das Futter nach einem strengen Terminplan verabreicht.
„Gleichschaltung der Sauen“
Und das ist der Kritikpunkt des BUND, der in den
meisten Medien seit dem Wochenende arg verkürzt wieder gegeben wird.
Prof. Dr. Bernhard Hörning von der Hochschule für
nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (Brandenburg) hat in einer umfangreichen Studie
den hormonellen Einsatz in der intensiven Sauenhaltung beschrieben.
BUND-Vorsitzender Prof. Dr. Hubert Weiger verglich am
Dienstag in Berlin den Einsatz von Hormonen mit dem Einsatz von Antibiotika: „Die
Studie ist ein weiterer Beleg dafür, dass wir durch den Prozess der
Industrialisierung der Tierhaltung nicht nur die Gesundheit der Tiere, sondern
auch Mensch und Umwelt gefährden.“ Hormone werden nicht für therapeutische
Zwecke eingesetzt, sondern im Rahmen bestimmter Haltungsbedingungen. „Wir
müssen von einem relevanten Problem ausgehen“, so Weiger weiter. Denn wie bei
den Antibiotika fürchtet der BUND, dass die Offenlegung der Verwendungszahlen deren
Schätzung weit übertreffe. Die Anwendung von Hormonen wird zwar im Arzneibuch
für jedes Tier dokumentiert, aber nicht ausgewertet. Sie ist relevant für die
Einhaltung der Wartezeit, falls das Tier doch in die Schlachtung komme,
erklärte Benning.
Die letzten veröffentlichten Zahlen stammen aus dem Jahr
2003. Demnach wurden bundesweit 670 Kilogramm Hormone eingesetzt. Die Behörden
weisen keine Auswertungen aus, die Betriebe legen sie nicht offen und die
Pharmaindustrie hält sich seit zehn Jahren mit weiteren Zahlen bedeckt,
kritisiert BUND-Agrarreferentin Reinhild Benning.
Der Einsatz von Hormonen wird nach Auskunft von Dr.
Schulte-Wülwer von der Landwirtschaftskammer Weser-Ems, einer viehdichten
Region, von vielen Bauern kritisch gesehen. Die einen möchten die hormonelle
Brunstsynchronisation zwar nicht mehr missen, andere lehnen sie jedoch
entschieden ab. Die Studie von Hörning gibt ein heterogenes Bild wieder:
1993/94 verwendeten Ferkelproduzenten in Brandenburg zu 63,2 Prozent das
Präparat Regumate. In Thüringen wurde das Mittel zeitweise verboten, heute
nutzen es wieder 72 Prozent der Produzenten. Im Rheinland setzen nach
Empfehlung der Landwirtschaftskammer 2007 etwa 35 Prozent der Sauenbetriebe eCG
ein. In Baden-Württemberg hatten 20 untersuchte Betriebe zehn Prozent
Veterinärkosten für Biotechnik.
Der BUND kommt zu dem Ergebnis, dass mit steigender Betriebsgröße
der Einsatz von Hormonen, wie auch von Antibiotika zunimmt. Als Paradox
empfinden Weiger und Benning, dass die EU den Einsatz von Wachstumshormonen in
der amerikanischen Rinderproduktion kritisiert, aber den Einsatz für die
Brunstsynchronisation in eigenen Sauenbetrieben duldet.
Zahlreiche Auswirkungen
Dr. Schulte-Wülwer zeigt sich pessimistisch, dass der
Einsatz von Hormonen weiter um sich greift. Die Medikamentenkosten sind sehr
hoch. Die Studie von Hörning weist Probleme bei der Fruchtbarkeit durch
dauerhaften Hormonanwendung und vor allem zu große Ferkelzahlen aus. Die einzelnen
Ferkel werden kleiner, je mehr im Uterus gebildet werden. Zu niedrige
Geburtsgewichte und nicht lebensfähige Ferkel haben vor Jahresfrist zu den drastischen
Bildern von totgeschlagenen Ferkeln geführt.
Am Ende werden die Hormone als Stoffwechselendprodukt
wieder ausgeschieden. Dr. Heribert Wefers vom BUND verweist auf zunehmende
Hormonrückstände in der Umwelt. Sexualhormone im Trinkwasser können den
natürlichen Zyklus stören, schaffen Probleme in der Organentwicklung und
verminderter Fruchtbarkeit bei Männern, sowie eine Verfrühung der weiblichen
Pubertät. Dr. Wefres betont aber auch, dass nur fünf Prozent der Hormone aus
der Sauenhaltung stammen. 95 Prozent der Rückstände stammen aus der
Humanmedizin, wie über die Anti-Baby-Pille oder chemischen Substanzen, die
hormonähnlich wirken.
Die Forderungen
Auf Nachfrage von Herd-und-Hof.de wehrt sich der BUND
nicht gegen die Brunstsynchronisation allgemein. Die nicht-hormonelle
Zyklussteuerung ergibt sich schon alleine aus der Gruppenhaltung.
Lichtprogramme gelten zwar auch nicht als besonders Tierschutzgerecht, sind
aber besser als Hormone, so Reinhild Benning.
Der Bund fordert die Eingrenzung der Hormonanwendung
auf therapeutische Zwecke und einen „Tierschutz-TÜV“, der Stallsysteme und Haltungen
so gestalten soll, dass unnötige Anwendungen nicht mehr vorkommen.
Was bei dem Thema noch fehlte ist die Sicht des
Verbrauchers. Nur durch umfangreiche Information kann er sich für bestimmte Produkte
entscheiden. Die Zahlungsbereitschaft muss er selbst aufbringen. Nur wenn die
Kunden wissen, wie arbeitsaufwendig die Sauenhaltung, bei Verzicht auf Hormonen
ist, entlohnt er das auch.
Eigentor DBV
Mit der BUND-Studie hat auch die diesjährige Grüne
Woche ihr Agrarthema. Die Studie hat gezeigt, dass nicht alle Sauenhalter den
Hormoneinsatz nutzen. Die umfangreiche Literaturauswahl hat zahlreiche
Fachpublikationen berücksichtigt, die offen mit dem Thema Hormone umgehen.
Nur der Deutsche Bauernverband hat am Dienstag undifferenziert
reagiert. Statt Hormone wird der Begriff „Eiweiß-Präparate“ verwendet. Es gebe
keinerlei Gefahr, die Studie sei fachlich nicht korrekt. Nur, wie die
Sauenhaltung in Deutschland wirklich funktioniert: Das hat der DBV den
Verbrauchern nicht erklärt.
Lesestoff:
Prof. Dr. Bernhard Hörning: Zum Einsatz von Hormonen in der intensiven Sauenhaltung, 03. Januar 2014 im Auftrag des BUND www.bund.net
[1] FAL Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft: Schweinezucht und Schweinefleischerzeugung. Empfehlungen für die Praxis: Sonderheft 296; 2006; ISSN 0376-0723 (heute Thünen-Institut)
[2] Holger Lau: Untersuchungen zum Einfluss verschiedener fortpflanzungssteuernder Maßnahmen auf die Fruchtbarkeitsleistung von Jung- und Altsauen unter Großbestandsbedingungen. Dissertation an der Georg-August-Universität Göttingen, Fakultät für Agrarwissenschaften, Januar 2008
Roland Krieg