Wie radioaktiv ist Holz aus Osteuropa?
Landwirtschaft
Liefert Holz aus Tschernobyl mehr als Wärme?
Die Frage taucht immer wieder auf. Vor allem soziale Netzwerke eignen sich heute, Ängste zu duplizieren. Immer wieder taucht die Frage auf, ob Holz aus der Ukraine, Polen oder Weißrussland radioaktiv belastet ist [1]. Holz erfreut sich wachsender Beliebtheit und wird in Öfen als Scheitholz oder Pellet zur natürlichen Wärmegewinnung gerne verbrannt. Über das Internet werden große Mengen an Holz aus den Regionen angeboten, über die 1986 die radioaktive Wolke nach dem GAU in Tschernobyl wehte. Schlauberger verhökern das Holz auch schon mal mit einem Zertifikat über die Freiheit von Radioaktivität. Ernst gemeint oder nur ein Werbegag, der Ängste schürt?
Als sich vor zwei Monaten die Kernschmelze im Atomkraftwerk zum 30. Male jährte, keimte die Angst vor radioaktivem Holz erneut auf und beschäftigte in einer schriftlichen Anfrage auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Die Frage ist nicht unberechtigt, weil mit Fukushima und einem lange verheimlichten Unfall in einem Plutoniumwerk im russischen Kyschtym im Jahr 1957 weitere langlebige Radionuklide in die Umwelt gesetzt wurden.
Ausgangslage
In der noch heute gültigen Sperrzone um Tschernobyl wirtschafteten früher drei Forstbetriebe. „Chernobyl Forest“ ist davon noch übrig geblieben und Direktor Mikola Mikolajewich hat nach Angaben von Urs Fritze in der Schweizer Zeitschrift Wald und Holz verschiedene wissenschaftliche Arbeiten zum Thema gemacht [2].
75 Prozent des Sperrgebietes rund um Tschernobyl sind mit Wald bedeckt. Unmittelbar nach dem GAU starben die Bäume im Umkreis von sieben Kilometer ab und verfärbten sich dabei rötlich. Die rund 3.500 Hektar sind als „Rote Wälder“ bekannt. Chlorophyll wurde aufgelöst und Nadeln und Blätter färbten sich gelblich bis rot. Die Bäume wurden gefällt und vergraben. Am Ende ziehen Pilze, Moose und neue Bäume die Radionuklide aus dem Boden wieder heraus. Feuchte Wälder mit Wasserabfluss sind radioaktiv eher begünstigt, während trockene Standorte ohne horizontale Verfrachtung den Kreislauf der Radionuklide eher aufrechterhalten. Nach Urs Fritze sind auch flach wurzelnde Bäume eher betroffen als Bäume mit tiefer Wurzel. Föhren haben sich als aufnahmefreudiger als Birken und Eichen erwiesen, die zum Überleben eine Dosis aushalten, die 15 Mal stärker sein kann. Innerhalb der Bäume reichern sich die Teilchen in Blättern und Nadeln sowie der Rinde an. Ist der Stamm entrindet seien Pilze und Beeren deutlich stärker belastet als der Baum aus der Sperrzone.
Bei den Radionukliden handelt es sich um äußerst instabile Atome, die bei ihrem Zerfall unterschiedliche radioaktive Strahlung freisetzen. Sie kommen auch natürlicherweise in der Erdkruste vor und weisen lokal unterschiedlich hohe natürliche Radioaktivität auf. So finden sich Radionuklide auch in Ziegel, Fliesen und Zement, schreibt Prof. Dr. Rupert Wimmer von der Georg-August-Universität im Holzkurier [3]. Nach 30 Jahren interessieren vor allem die langlebigen Nuklide wie Cäsium 137 und Strontium 90. Cäsium 137 ist Calcium und Kalium chemisch ziemlich ähnlich und wird daher leicht von Pflanzen aufgenommen. Die dichte Bewaldung rund um den Reaktor soll weitaus Schlimmeres sogar noch verhindert haben, weil die Bäume die Radionuklide aus der Luft gefiltert haben.
Belastung
Die Strahlung wird heute einheitlich in Becquerel (Bq) angegeben. Der Wert gibt an, wie viele Atome in einer Sekunde in einem Kilogramm Ausgangsmaterial zerfallen. International liegt die Grundbelastung für Holz bei 2 bis 5 Bq. Proben der Universität Göttingen aus dem Jahr 1993 haben bei schwedischem Holz eine Belastung von 50 Bq gefunden. In österreichischen Fichten wurden Höchstwerte von 200 Bq gemessen. Nadeln kamen auf 3.000 Bq und kleine Äste sogar auf 5.000 Bq. Im Holz selbst liegt die Belastung deutlich niedriger und wird mit Werten zwischen „nahe Null und 69 Bq“ angegeben.
Holzhandel
Rund um den Katastrophenreaktor versucht „Chernobyl Forest“ den Wald wieder zu beleben. Im Grunde war es lange eine naturbelassene Verjüngung und Mikolajewich beschränkte die Arbeit auf Waldpflege. Seit 2004 ist der Verkauf von Holz aus der Sperrzone wieder zugelassen; sofern es von lizensierten Betrieben stammt. Die das Holz kontrollieren. Die Seattle Times allerdings zitiert den Rechtsanwalt Vadim Vnukov, der für die Gruppe „Stop Corruption“ arbeitet. Demnach werde Holz aus der Sperrzone auch in größerem Maßstab verkauft..
Für Artur Kalmykov, der in der Sperrzone lebt, wird das Thema der radioaktiven Belastung höher gehandelt als es in Wahrheit ist. „Die potenzielle Strahlenexposition durch kontaminiertes Holz ist als gering einzustufen“, antwortete auch Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth aus dem BMEL auf Anfrage von Nicole Maisch (Bündnis 90/Die Grünen). „Die Bundesregierung hält Importeinschränkungen aufgrund des Cäsium-137-Gehaltes von Holz für nicht erforderlich.“
Das eigentliche Holz ist auch nicht das Problem. Kritischer ist die Verwendung der Holzasche als Dünger im Garten. Dort kann die Strahlenbelastung wegen der Anreicherung nach der Verbrennung bis zu 100-fach höher sein als im Holz. Prof. Wimmer rät, Holzasche von radioaktivem Brennholz nicht im Garten auszubringen. Generell gelte: „Wer heimisches Holz verwendet, hat strahlungssicher gewählt“.
Deutschland ist schließlich auch Europameister in Sachen Holzvorrat im Wald.
Lesestoff:
[1] Im Jahr 2011 hat die Augsburger Allgemeine einen Artikel mit der Überschrift „Wenn Brennholz mehr als Wärme liefert“ veröffentlicht. Mit Blick auf 30 Jahre Tschernobyl hat die „Seattle Times“ die Frage gestellt, ob Menschen in einem Haus aus ukrainischem Holz leben wollten? Es würde nicht radioaktiv aufleuchten, aber gesundheitliche Risiken bergen, schreiben die Autoren am 25. April 2016.
[2] Urs Fritze: Wald als radioaktive Senke, in: Wald und Holz: 9/2006, S. 53 ff
[3] Prof. Rupert Wimmer: Wie strahlensicher ist Holz, in Holzkurier 18.08.2011 (AT)
Roland Krieg