Wie viel Angst hat Bio vor dem Wachstum?

Landwirtschaft

BÖLW vermisst ökologisches Gesamtkonzept

Alexander Gerber

Traditionell gibt der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) am Mittwoch den Startschuss der Pressekonferenzen zur Internationalen Grünen Woche in Berlin. Die Bilanz über die Ökopolitik der Bundesregierung fällt nach Dr. Alexander Gerber „desaströs“ aus. Auch wenn vor dem Herbst zum Mehrjährigen Finanzrahmen die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2020 angehalten wurde, weil es bis dahin auch ein neues Europaparlament und einen neuen Agrarkommissar geben wird, vermisst der Bio-Handel ein Gesamtkonzept für die ökologische Transformation. Da die Landwirtschaf mit öffentlichen Geldern unterstützt wird, sollte nach Gerber die Zielsetzung auch den gesellschaftlichen Wünschen entsprechen. Eine Konditionierung der Direktzahlungen zu 70 Prozent wäre noch realisierbar.

Volker Kraus

Es geht dabei nicht nur um die Landwirtschaft. Die Reduktionsstrategie der Ernährungsministerin Julia Klöckner sei zwar richtig, aber die kalorienarmen „neuen Zucker“ Allulose und Cellobiose werden unter hohem technischen Aufwand hergestellt, kritisiert Volker Kraus von der Bohlsener Mühle. Das Konzept Bio müsse ganzheitlich auch in eine Ernährungsstrategie münden. Das Wachstum der Biobranche bringe Verarbeiter in den Zwang technische Lösungen einzuführen, die am Ende auch Zusatzstoffe benötigten. Dabei sei die Wiederentdeckung alter Lebensmittel ein ständiges Thema der Naturkostbranche.

Elke Röder

Tierwohl ist das große Thema der Internationalen Grünen Woche. Darin eingebettet wird von Julia Klöckner viel Neues über das staatliche Tierwohllabel erwartet. Doch in den drei geplanten und in Brüssel zur Notifizierung eingereichte Label fehlt der Biobereich, kritisiert Elke Röder. Mit 40 Tage Säugezeit bei Ferkeln lassen die Biobauern die Tiere fünf Tage länger bei der Mutter als bei der geplanten Premiumstufe. Das Platzangebot ist 300 Prozent größer. Mit Blick auf die Eierkennzeichnung, die bei Frischeiern die Käfigware aus den Regalen verbannt hat, verlangt Röder eine vergleichbare klare und einfache Kennzeichnung für alle tierischen Produkte – und ebenso verpflichtend.

Hausaufgaben hat die Branche noch vor sich, weil gerade Detailverhandlungen für die im letzten Jahr beschlossene neue EU-Ökovereinbarung laufen. 2020/21 soll sie in Kraft treten. Verstörend sei der Umgang mit Kontaminanten. Bioware könne nicht weniger Rückstände aufweisen, als sowieso in der Natur vorhanden sind. Außerdem stammen die Kontaminanten wie vom Wind verwehte Pflanzenschutzmittel aus dem konventionellen Landbau. Es solle das Verursacherprinzip gelte. Die konventionelle Landwirtschaft solle die Mittel so anwenden müssen, dass keine Kontamination möglich ist, die zu einer Verkaufssperre oder Betriebssperre von Biobetrieben führen kann. Diese Möglichkeit sollte nur greifen, wenn Betriebe gegen die EU-Ökoverordnung verstoßen.

Felix Prinz zu Löwenstein

Während das Entwicklungsministerium den Ökolandbau als Strategie einsetzt, vermisst BÖLW-Vorsitzender Felix Prinz zu Löwenstein die vergleichbare Umsetzung bei den heimischen Zielen. Das Thünen-Institut werde während der Grünen Woche noch eine Metastudie zur ökosystemaren Analyse des biologischen Landbaus und damit die Vorzüge dieser Wirtschaftsweise vorstellen. 20 Prozent Ökolandbau bis zum Jahr 2030, so das erklärte Ziel der Bundesregierung, hält Löwenstein für realistisch. Auf der Grundlage der EU-Bioverordnung. Es müsse aber mehr geschehen als in der Zukunftsstrategie ökologischer Landbau, die im letzten Jahr verlängert wurde (BIOFACH).Die Zeit für Monitoring und Studien sei vorbei, es sei Zeit für die Umsetzung.

Doch konnte der BÖLW die Unzufriedenheit in der Branche nicht überspielen. Das Beispiel „Logocos“ zeigt, dass nicht alles erlaubt ist [1]. Elke Röder vom Bund Naturkost Naturwaren (BNN) wollte sich auf Nachfrage von Herd-und-Hof.de dazu genauso wenig äußern, wie zu dem neuen BÖLW-Verband: Die Interessengemeinschaft Biomärkte hatte sich erst im letzten Jahr gegründet und ist kurz vor der Grünen Wooche dem BÖLW beigetreten. Der IGBM spricht nach eigenen Angaben für den spezialisierten Naturkostfachhandel, der bislang im BNN sein zu Hause hatte. Jetzt sind die Ladner eigenständig organisiert.

Es kracht schon länger im Gebälk. Den letzten Riss verursachte Bioland, der seine Milch jetzt auch bei Lidl verkauft. Anders ist ein Anstieg im Ökoangebot auch nicht realisierbar. Elke Röder hingegen sagte in Berlin, diese Zusammenarbeit „ist ein strategischer Fehler“. Die Verbandsware müsse sich gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel abheben, sonst entscheide der Kunde nach dem Preis. Offenbar hat die Biobranche einen Teil ihres Profils an den LEH verloren.

Dennoch: „Ich habe keine Angst vor Wachstum“, sagte von Löwenstein. Mit zunehmender Größe des Marktes finden auch Differenzierungen statt und bieten sich Möglichkeiten der Kundenprofilierung. Alexander Gerber gibt die Hausaufgabe aus: „Jetzt wird sich zeigen, wer an einer wirklichen Transformation Interesse hat.“

Lesestoff:

[1] Logocos wehrt sich: https://herd-und-hof.de/handel-/logocos-wehrt-sich.html

Roland Krieg; Fotos: roRo

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