Wie viel ist uns Europa wert?

Landwirtschaft

Mehrjähriger Finanzrahmen ab 2020

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hat die Argumente und Kritik des Europaparlaments bei der Vorstellung des ersten Entwurfs zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für die Förderperiode 2020 bis 2027 aufgenommen. Er betonte, dass alle 28 Kommissare für den Entwurf stimmten. Der Entwurf dient der Diskussion, die in den kommenden Wochen im Parlament und in den Mitgliedsstaaten an Fahrt gewinnen wird. Im Europaparlament kritisierte jeder die Kürzungen für seinen Lieblingsbereich. Das wiederrum kritisierte Oettinger: Die Reaktionen reichten von „gering enttäuscht bis ungeheuerlich hoch“. Das grundlegende Problem: Jeder will zwar Geld von Brüssel, aber niemand will mehr Geld in den Investitionshaushalt stecken. „Wie tun unser möglichstes“, versprach Oettinger und meinte die Quadratur des Kreises. Angesichts des Defizits durch den Brexit von rund 12 Milliarden Euro sei eine proportionale Sparsamkeit über alle Etats keine Austeritätspolitik. Nominal bekämen die Regionen der EU27 für die Kohäsion das gleiche Geld wie in der EU28.

Zahlen in Kürze

Die Kommission schlägt einen Haushalt in der Größenordnung von 1.135 Milliarden Euro vor. Das entspricht einem Beitrag von 1,11 Prozent der 27 nationalen Bruttonationaleinkommen. Bisher sind es maximal 1,0 Prozent. Diesen Mitteln stehen 1.105 Milliarden und 1,08 Prozent der Bruttonationaleinkommen gegenüber. Ergänzend zu geplanten Effizienzgewinnen müssen die Mittel für Grenzmanagement, junge Menschen, Digitalisierung und Nachhaltigkeit aufgestockt werden. Kürzungen gibt es jeweils um moderate Größen von jeweils fünf Prozent für die Kohäsion und die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Um die Kürzung umzusetzen müssten sich die Länder eine Obergrenze oder eine Degression, also kontinuierliche Kürzung von höheren Prämien, überlegen.

Der neue Haushalt soll „modern, einfach und flexibel“ sein. Modern heißt Abbau der Bürokratie und ein einheitliches Regelwerk für die bessere Überwachung von Ergebnissen. Einfach heißt, Kürzung der Programme von 58 auf 37 und flexibel heißt, Gelder zwischen den Programmen nach Bedürfnissen einfacher zu verschieben. Der Brexit bietet der EU die Möglichkeit, das Rabattsystem zwischen den Mitgliedsländern innerhalb von fünf Jahren auslaufen zu lassen.

Bis Mitte Juni sollen Details für die einzelnen Segmente ausgearbeitet werden. So steht die GAP für den 01. Juni auf dem Programm.

Eingrenzung

Das EU-Budget ist lediglich allein betrachtet ein riesiger Batzen Geld. Im Vergleich zu 27 Nationalstaaten sind es nicht mehr als 1,2 Prozent aller nationalen Etats. Der EU-Haushalt ist ein Investitionshaushalt, also ein Null-Summen-Spiel. Eingezahltes Geld wird woanders verausgabt. Dabei bleibt offen, ob die EU-Investitionen von den Mitgliedsländern allein für die gleichen Ziele projektiert würden. Für diese Einsichten bieten die Verhandlungen wenig Spielraum.

Besser als erwartet

Es verschiebt sich einiges im Finanzrahmen der EU, was Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner so begründet:

„Die GAP hat einen erheblichen Anteil an Integrationsleistung, einen erheblichen Anteil an der Einigungsleistung der Europäischen Union, mit Blick zum Beispiel auf die ländlichen Räume. Und diese Integrationsleistung muss auch nach außen wirken, wie beispielsweise bei der Bekämpfung von Fluchtursachen. Gerade die Landwirtschaft ist ein Bereich, wo wir mit Knowhow und Technologietransfer auch außerhalb der EU abgestimmt unter den Mitgliedsstaaten aktiv werden können.“

Ländliche Regionen müssten vital bleiben und das Prinzip der gleichwertigen Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land dürfe nicht gekippt werden. Klöckner will eine solide ausgestattete GAP für die Landwirte und die ländlichen Räume. So sei die Vorlage wegen der Erwartungen der letzten Wochen dennoch eine gute Grundlage für die kommenden Gespräche. „Es war klar, dass der größte Posten, der Agrarhaushalt, nicht ungeschoren davon kommen würde.“ Der Vorschlag aber sei maßvoll gegenüber den Befürchtungen, die von Kürzungen bis zu 30 Prozent ausgingen. Die überproportionalen Kürzungen in der zweiten Säule in Höhe von 175 Millionen Euro für Deutschland könnten gut kompensiert werden, sagt Klöckner: Zum einen über die GAK, wo die Mittel im vergangenen Jahr  von den Bundesländern in Höhe von 70 Millionen Euro nicht voll ausgeschöpft wurden. Hinzu kommt der Sonderrahmenplan für die ländlichen Räume, der im Bundeshaushalt debattiert werde und gebe die Möglichkeit, die Förderkulisse der GAK zu erweitern. Außerdem werden in Brüssel mehr Maßnahmen für Klima- und Umweltschutz angeboten. „Und natürlich gehört die Landwirtschaft dazu.“ Und letztlich: Forschungsgelder: Zehn Milliarden im Bereich Landwirtschaft und Ernährung stehen dafür bereit.

Agrar

Sachsens Agrarminister Thomas Schmidt hatte sich telefonisch bereits mit Klöckner abgestimmt und ist ebenfalls zuversichtlich, das Sachsen fehlende Mittel ausgleichen kann. Voraussetzung sei allerdings, „dass nicht nur Deutschland, sondern auch alle anderen Mitgliedsstaaten zur EU stehen und ihren Beitrag zum EU-Haushalt leisten“.

Der Deutsche Bauernverband hält die Einschnitte im Agrarbereich für „schmerzhaft“. „Die Kürzung im Agrarhaushalt wird die Landwirte hart treffen und zu einer Schwächung der ländlichen Räume führen“, sagte DBV-Präsident Joachim Rukwied. Die Kürzungen würden vor allem die „Spielräume für zusätzliche gesellschaftliche Leistungen, etwa für Klima- und Umweltschutz, einschränken.“ Rukwied will die Gelder direkt beim Bauern unterbringen.

Sorge um den ländlichen Raum hat auch Landwirtschaftsminister Volker Wissing in Rheinland-Pfalz. Die Kürzungen träfen vor allem Flächenländer, die für den Brexit die Zeche zahlten. Wissing fordert den Bund für eine deutliche Nachverhandlung auf.

Kürzungen sind alles andere als überraschend gewesen. Da jedoch die Direktzahlungen nur um vier Prozent gekürzt werden, werden die Umweltmaßnahmen überproportional stärker belastet, kritisierte der Europagrüne Martin Häusling. „Das ist genau das falsche Signal.“ Die Gelder sollten „zielorientierter und sinnvoller ausgegeben werden als bisher.“ Für Häusling sind auch die 25 Prozent der Mittel für die Bekämpfung des Klimawandels zu wenig.

Jan Plagge vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft erinnert an den Erdüberlastungstag. Der MFR wurde an dem Tag vorgestellt, an dem Deutschland seine Jahresressourcen rechnerisch bereits verbraucht hat. Die Landwirtschaft müsse umgebaut werden und braucht daher mehr Investitionen: „Dabei müssen wir weg von Gießkannen-Subventionen und hin zur gezielten Honorierung für Bauern, die Besonderes für Tierschutz, sauberes Wasser und Artenvielfalt tun.“

Freundlicher kommentiert Agrarministerin Barbara Otte-Kinast aus Niedersachsen den Vorschlag. „Jede Kürzung tut weh! Dennoch: Diese Vorschläge der EU-Kommission bieten für den Agrarbereich eine solide Gesprächsgrundlage.“ Sie wartet die Legislativvorschläge von EU-Agrarkommissar Phil Hogan ab.

Agrarminister Till Backhaus aus Mecklenburg-Vorpommern kritisiert: „Ein erneuter Hinweis auf eine obligatorische Kappung und Degression der Direktzahlungen pro Betrieb ist weder ein Beitrag für eine ausgewogene Verteilung, noch wäre damit eine Vereinfachung des Verwaltungsaufwandes verbunden.“ Eine Kürzung der zweiten Säule um 15 Prozent sei mit höheren Umweltleistungen nicht mehr vereinbar.

Mehr Geld?

Die Alternative für Deutschland (AfD) fordert die Bundesrepublik auf, sich den Nettozahlern Österreich und den Niederlanden anzuschließen, die keine neuen Gelder an Brüssel überweisen wollen.

Mehr Geld ist auch für die FDP lediglich die „Ultima Ratio“, sagte der europapolitische Sprecher Michael Georg Link. Die Liberalen wollen eine echte Haushaltsreform und ein Ende der Dauersubventionierung“. Wer künftig Geld erhält, muss sich, so wie auch geplant, an Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit halten. Die Kommission kann bei einem Defizit in der Rechtsstaatlichkeit dem Rat eine Kürzung vorschlagen, die nur durch eine qualifizierte Mehrheit abgewendet werden kann.

Forschung

Forschung ist an die internationale Wettbewerbsfähigkeit geknüpft. Daher kritisiert Joachim Lang vom Bundesverband der Deutschen Industrie die mageren Vorstellungen der Kommission. Nur zwei Prozent der Bruttoinlandsprodukte werden in der EU für Forschung ausgegeben. In Japan sind es 3,6 und in den USA 2,7 Prozent. Mit dem EU-Vorschlag „verliert Europa gegenüber seinen internationalen Wettbewerbern weiter an Boden“. Für mehr Forschungsgelder sollte der Agrar-Etat straffer diszipliniert werden.

Roland Krieg

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