Wie viele Krisen verträgt die Welt?

Landwirtschaft

… und es wurde schlimmer

Als der Weltklimarat (IPCC) den zweiten Teil des 6. Berichtes vorstellte, war Putins Überfall auf die Ukraine schon eine Woche her [1]. Was sich bei allen bewaffneten Konflikten, Unruhen oder auch nur bei lokalem Terrorismus fern ab von Europa als Anhang wiederfand, steht jetzt auf der Türschwelle Europas: Ohne Frieden ist alles nichts. Einst blühende Länder wie der Jemen oder Syrien liegen in Trümmern. Wie schwer ein Wiederaufbau ist zeigt Kolumbien. Jedes Entwicklungsprogramm, jeder Euro, der in ein soziales, Umwelt- oder Wirtschaftsprojekt investiert wurde, wird durch Unfrieden vernichtet.

Nachhaltigkeitsziele und Krieg

Der von Putin angezettelte Krieg ist nicht nur ein Scheitern ziviler Prozesse, sondern kommt auch deshalb zur Unzeit, weil die Welt im Kampf gegen den Klimawandel ein entscheidendes Jahrzehnt vor sich hat. Dr. Hans-Otto Pötter vom IPCC stellte den aktuellen Bericht am Montag im Umweltausschuss des Europaparlamentes vor. Genau platziert in die Diskussion, ob Umwelt- und Klimapolitik nicht angesichts einer drohenden Hungergefahr in der Welt zurückgefahren werden sollten.

Allein auf die schon existentielle Bedrohung des Klimawandels bezogen, bedarf es keinen Aufschub, die Menschen und den Planeten vor der Zerstörung zu bewahren. Jede weitere Verzögerung schließt das Fenster für den Erhalt des 1,5 Grad-Zieles, auf den sich die Welt im Pariser Klimavertrag geeinigt hat. Zu dieser Verzögerung gehört auch der Krieg.

Pötter fiel es schwer, angesichts der Trauer und des Schmerzes in der Ukraine die verdrängte Wahrheit wieder nach vorne zu zerren. Wie wertvoll ist ein Blühstreifen, wenn Putin auf Krankenhäuser bombt? Wird es überhaupt noch einen Blühstreifen geben, wenn Putin sich in seinen Führerbunker zurückzieht und verlorene Schlachten noch zu gewinnen glaubt?

Resilienz schießt Frieden mit ein

Es gibt keine Auflösung für dieses Dilemma. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir fordert „eine Politik, die alle Krisen löst“. Der Satz galt aber in gleicher Wucht auch vor dem Krieg. Der Klimawandel führt zu höheren Temperaturen, Dürren, zu mehr Überschwemmungen und Zerstörung von Ökosystemen. Die Auswirkungen sind geringere Ernten, sinkende Haushaltseinkommen und Kampf um knapper werdende Ressourcen. Pötter führt weiter aus, dass bereits die Hälfte der Menschen in vom Klimawandel bedrohten Lebensverhältnissen leben.

Die negativen Auswirkungen überlappen sich und führen zu schwachen Regierungen, fehlenden Finanzmitteln und am Ende zu steigender Armut.

Gegen ein narzisstisches Weltbild

Das Problem der Autokraten ist das verzerrte Weltbild, weil sie glauben, ohne die Welt entscheiden zu können. Doch die Natur wartet nicht, wie Pötter sagte, bis der Krieg vorbei ist. Er kommt „nur“ noch zusätzlich hinzu.

Der Frieden muss als Element eines resilienten Systems einbezogen werden und fordert neue Einsichten ab. Der Weltklimarat fordert ein verbessertes Wassermanagement, eine verbesserte Lebensmittelversorgung, die Transformation der Städte und intakte Ökosysteme.

Das gleiche gilt auch für die Beseitigung des Krieges. Pötter warnt vor Fehlanpassungen, zu dem der Krieg verleiten kann, wenn Teile des Gesamtbildes vergessen werden. Die Re-Industrialisierung der Landwirtschaft sei so eine Fehlanpassung, die Umwelt und Klima nicht verzeihen, wenn sie auch im Zuge des Krieges richtig erscheint.

Viele Pfade für eine resiliente Welt haben die Menschen bereits verpasst. Das Verpassen weiterer Abzweigungen verschlimmert das Leben in der Nachkriegswelt.

Doch was gerade im Energiesektor geschieht, will Pötter auch im Agrarsektor sehen. Dort gibt es temporäre Ausnahmen für Kohlekraftwerke, neue Erdgasförderung aus der Nordsee, temporäre Hilfen für steigende Preise fossiler Energien und gleichzeitig wird die Entwicklung der erneuerbaren Energien beschleunigt. Auf einmal soll alles schnell geschehen und Barrieren werden temporär ausgesetzt.

So wird es auch für die Landwirtschaft sein. Der Klimawandel versenkt nicht nur ferne Inseln in der Südsee; die beiden Länder Spanien und Portugal haben zuletzt im Agrarrat um weitere Hilfen gegen die anhaltende Dürre gefordert. Der Krieg in der Ukraine könnte, so Pötter, als Chance genutzt werden, resiliente Agrar- und Ernährungssysteme schneller aufzubauen. Der Verzicht auf Fleisch gibt gleich so viel Flächen von Futtergetreide frei, dass der Ausfall von Schwarzmeergetreide kompensiert werden kann. In dem neuen Puzzle müssen Ökologie und Ernährungssicherheit aufeinander zu gehen. Die Landwirtschaft ist ja keine Frage des „entweder – oder“.

Das Zusammenrücken von grüner und Kriegslandwirtschaft muss von der Politik aus nach unten auch so kommuniziert werden.

Lesestoff:

[1] Klimaschrecken ohne Ende: https://herd-und-hof.de/handel-/klimaschrecken-ohne-ende.html

Roland Krieg

© Herd-und-Hof.de Nutzungswünsche: https://herd-und-hof.de/impressum.html

Zurück