Wie viel Natur ist Landwirtschaft?

Landwirtschaft

Resilienz von Natur und Landwirtschaft im Agri und Agrarrat

Gleich bei zwei Sitzungen in Brüssel wurde am Montag das Thema Wiederherstellung der Natur und Ernährungssicherheit diskutiert. Der Agrarausschuss für Landwirtschaft im Europaparlament diskutierte zunächst eine Stellungnahme zum Kommissionsvorschlag „Wiederherstellung der Natur“ [1] und gleich im Anschluss die „Gewährleistung der Ernährungssicherheit“. Die Französin Anne Sander (EVP) legte zur Natur eine Stellungnahme vor, für die Ernährungssicherheit stellte Marlene Mortler (CSU) die Änderungsanträge vor.

Zeitlich nur kurze Zeit später diskutierte der Agrarministerrat auf seiner Januar-Sitzung das Non-Paper der Griechen über die Resilienz der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Dem Papier von Minister für den ländlichen Raum, Georgios Georgantas, folgten 12 weitere Delegationen ohne Deutschland.

Wiederherstellung der Natur

Die zentrale Frage ist, wie Landwirtschaft, die mit einer Bewirtschaftung des ländlichen Raums in der Natur die essentielle Lebensmittelversorgung der Bevölkerung sicher stellt, und die Funktionalität der Natur auszubalancieren sind. Die Weltnaturkonferenz COP 15 in Montreal im Dezember 2022 hat den Schwund an Artenvielfalt wiederholt in den Fokus gerückt. Arten schwinden, weil Ökosysteme wie Feuchtgebiete kleiner werden, weil der menschengemachte Klimawandel Trockenheit begünstigt, aber auch, weil der wertvolle Stickstoff regional im Überfluss vorhanden ist und ins Grundwasser gelangt. Wer in der Landwirtschaft auf Nützlinge setzt, muss ihnen neuen Raum in Form von Hecken zugestehen, wer vielseitige Fruchtfolgen anbaut, kann den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren – aber weil es keine selbsttragende Ökonomie dafür gibt, kommen diese Ansätze im Wesentlichen nur über Subventionen auf die Äcker. Die Frage, wie viel Natur in der Landwirtschaft, oder wie viel Landwirtschaft in der Natur verträglich ist, beschäftigt die Politik bei jeder neuen Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Das die Lösung keine einseitige Entscheidung ist, wurde am Brüsseler Montag einmal mehr deutlich.

Die Europäische Kommission hat mit den Strategien zur Biodiversität und „Vom Acker bis zum Teller“ (F2F)  zwei entscheidende Rahmen in ihrem Green Deal gesetzt. Die Notwendigkeit steht außer Frage, wie Anne Sander betonte. Doch kann jeder machen, wie er will? Maria Noichl (SPD) will die EU-Mitgliedsländer an die „kurze Leine“ nehmen, weil alle bisherigen freiwilligen Maßnahmen nicht ausgereicht haben. „Die Verbesserung der Natur ist eine Chance für die Landwirte und eine Versicherungspolice gegen den Klimawandel“, sagte Europaabgeordnete. Die EU müsse weltweit voran gehen, bevor sie anderen Ländern Ratschläge zur Verbesserung der Umwelt mache, ergänzte Martin Häusling (Bündnis 90/Die Grünen). Er verweist auf das deutsche Bundesland Baden-Württemberg, in dem die schwarz-grüne Landesregierung beispielhafte Landwirtschafts- und Umweltpolitik mache [2].

Der Südtiroler Herbert Dorfmann (EVP) kritisierte Noichls Aussagen, die Europas Landwirtschaftspolitik schlechter machen, als sie ist. Jede neue GAP wurde grüner. Mit dem Wiederherstellungspaket sei ein echter Paradigmenwechsel, der aber viele Fragen offen lässt. Dort, wo Moore und Feuchtgebiete wieder vernässt werden, müssen Landwirte einen tiefen Eingriff in ihr Eigentum befürchten. Nicht nur in Südtirol wurden Ländereien zur Ausrottung der Malaria trockengelegt.

Was in der Diskussion fehlt sind die pragmatischen und positiven Beispiele, sagte Anna Deparnay-Grunenberg von den Europagrünen Die deutsche Abgeordnete beklagte, dass die meisten Diskussionen „Angst ausströmen“.

Wie beispielsweise ihre Parteikollegin Sarah Wiener. Die Idee des Carbon Farming sei reine Geldverbrennung, argumentierte die Österreicherin, weil „die Kohlenstoffeinlagerung nichts mit Humus zu tun“ habe. Würden Landwirte sanktioniert, wenn es zum Abbau von Humus durch Trockenheit komme? [3].

Selbst dem irischen Linken Luke Ming Flanagan geht die Verordnung zu weit. Viele irische Landwirte wirtschaften in trockengelegten Regionen und wissen nicht, was auf sie zukommt. Es fehlten Ausführungsdetails und die Antwort, von was die ländlichen Regionen leben sollen, wenn es dort keine Landwirtschaft mehr gebe?

Wer hinter die deutsch-deutschen Diskussionen über Natur oder Landwirtschaft blickt, sieht weiter: Der polnische Konservative Krzysztof Jurgiel dürfte für einige osteuropäische Länder und die schwedischen Rechte sprechen, die derzeit im Agrarrat den Vorsitz haben: Der Artikel 16 im Gesetzesvorschlag müsse komplett gestrichen werden. Im Absatz 2 des Artikels sichert die Kommission Agrarverbänden und Nichtregierungsorganisationen den Rechtsweg zur Klage bei vermeintlichen Verstößen gegen die Wiederherstellung der Natur zu.

Welche Landwirtschaft?

Die spanische Sozialdemokratin Clara Aguilera fragte im Ausschuss süffisant, wo in dem Gesetzpaket der Schutz der Landwirte bleibe. Denn das Thema Ernährungssicherheit wird erst im zweiten Gesetzespaket ausreichend gewürdigt. Mehr als 530 Änderungsanträge zur Resilienz der Wertschöpfungskette sind eingegangen. Marlene Mortler bewertet das als starkes Interesse an dem Thema. Der grüne Abgeordnete Pär Holmgren aus Schweden sieht in der Menge eher die große Kluft zwischen den Abgeordneten. Einmal mehr prallen hier die Gegensätze aufeinander. Sarah Wiener und Martin Häusling beklagen die Verschwendung von Anbauflächen durch Futteranbau und Rohstoffe für Biokraftstoff, Mazaly Aguilar von den spanischen Konservativen wehrt sich gegen die Bevormundung über den Fleischverzicht. Entsprechend hat Mortler Änderungsanträge, die auf eine Änderung der Ernährungsweise abzielen nicht berücksichtigt, weil sie das Thema verfehlten.

Tatsächlich ist die Kommission langsamer als die Realität. Es fehlt noch immer eine Eiweißstrategie, die den Import von Soja und anderen Futtermitteln ablösen soll, bedauert der spanische Sozialdemokrat Paolo de Castro. Ebenso werden Innovationen wie neue Züchtungstechniken und Präzisionslandwirtschaft zur Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln und Dünger zu wenig berücksichtigt. Peter Jahr von der CDU kritisiert die Vorstellungen der Grünen, mit Auflagen die Landwirtschaft steuern zu wollen. „Sie müssen den Landwirt als selbstständigen Unternehmer begreifen, die schon während der Finanz- und Coronakrise die Lebensmittelversorgung sicher gestellt haben. Für Häusling hat aber das marktwirtschaftliche Credo zu den niedrigen Erzeugerpreisen geführt, die den Strukturwandel beschleunigen.

Die Folgen sind schwer abzuwägen. Nach Anne Sander nehmen die französischen Bauern Abstand vom Zuckerrübenanbau, weil keine saatgutbeizen mit Neonicotinoiden mehr erlaubt sind. Deshalb ändern die europäischen Konsumenten aber ihren Zuckerkonsum nicht und verbrauchen die gleichen Mengen.

Wenig Spielraum

Alles was mehr Natur nach sich zieht und was die Agrar- und Ernährungswirtschaft stützen soll, unterliegt engen Grenzen. Agrarkommissar Janusz Wojciechowski unterstrich im Agrarrat, dass der Agrarhaushalt unter dem Diktat von Sparmaßnahmen festgelegt wurde. Wer eine Änderung habe möchte, muss zunächst einmal den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU vergrößern. Dessen Überprüfung steht aber erst Ende des Jahres an. Bis dahin wird von der EU-Kommission auch nicht viel zu erwarten sein, denn 2024 wird sie neu besetzt.

So bleibt Wojciechowski auch gegenüber den griechischen Wünschen vage. Neben den wichtigsten Visegrad-Ländern (ohne die Slowakei) inklusive Bulgarien und Rumänien sowie Österreich Lettland und Belgien fordert Athen mehr Finanzhilfen im Kampf gegen die Inflation. In der östlichen EU liegen die Inflationsraten wie beispielsweise im Baltikum bei 25 Prozent. Nicht in allen Ländern zeichnen sich sinkende Tendenzen wie beispielsweise in Deutschland ab. Die gestiegenen Betriebskosten für Dünger, Pflanzenschutzmittel und Energie belasten die Betriebe, die Verarbeiter wie Mühlen und die Ernährungsindustrie noch langfristig. Die politische Unsicherheit bleibe auch ein Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine erhalten. Den Konsumenten fehle es an Kaufkraft, was auch die Länder spüren, in denen die Landwirte größere Unternehmergewinne wie in Deutschland eingefahren haben [4].

Ohne weitere Finanzhilfe ist die Transformation in eine grünere Landwirtshaft nicht möglich, heißt es in dem Papier. Zudem will die Europäische Union strategisch unabhängiger von Importen werden, was mehr Investitionen in die Agrar- und Ernährungsbranche erfordert. Der Agrarbereich fühlt sich gegenüber den Stützungsmaßnahmen für die Industrie benachteiligt. Der polnische Staatssekretär für Landwirtschaft, Henryk Kowalczyk fordert mehr Flexibilität zwischen den Agrarfonds und die Einbindung des Agrarsektors in die Resilienzpläne der EU.

Immerhin hat Wojciechowski für die noch ausstehende Amtszeit eine Prüfung angekündigt, was noch mehr getan werden kann.

Lesestoff:

[1] Wiederherstellung der Natur: „Wir und die Natur brauchen uns gegenseitig“ https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/die-wiederherstellung-der-natur.html

[2] In BW wurde aus dem Volksbegehren zur Rettung der Biene ein Gesetzespaket für die Landwirtschaft.

[3] Die Wissenschaft unterscheidet zwischen Nähr- und Dauerhumus. Der Humus im Oberboden unterliegt der Dynamik des Auf- und Abbaus, der unter anderem durch die Wahl der Pflanzen (humusmehrend oder humuszehrend, pH-Wert des Bodens und Trockenheit) gesteuert wird. Die dauerhafte Speicherung von Kohlenstoff in Form von Humus beginnt erst ab einer Bodentiefe von 75 Zentimeter.

[4] DBV-Situationsbericht https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/hoehere-erzeugererloese-machen-sich-bemerkbar.html

Roland Krieg

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