Wie wild ist noch der norwegische Wolf?

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Norwegisches Wolfsmanagement: Vorbild für Deutschland?    

Die Debatte um den Wolf hat eine wütende Ernsthaftigkeit erreicht, deren Ansichten immer weiter auseinander gehen. Das könnte ein Satz aus Deutschland sein, wo der Wolf von den einen ungeteilt geliebt und verehrt wird, auf der anderen Seite jedoch abgrundtief gehasst und illegal gejagt. Da ist kein Raum mehr für Ideen. Es hilft nur der Blick über die Grenzen: Nach Norwegen, von wo der Eingangssatz in Wirklichkeit stammt. Die Geschichte des norwegischen Wolfes verlief nahezu identisch zum kurzen Zeitstrahl der deutschen und wiedergekehrten Wolfspopulation.

Wie wild ist der Wolf?

Hakon Stokland von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie (NTNU) stellt die Gretchenfrage, wie wild der Wolf im weiten Norwegen noch ist. Eine Frage, die auch Deutschland zugute käme. Die menschliche Besiedlung zwischen Rhein und Oder, zwischen Fehmarn und den Alpen lässt niemals mehr ein Tier mit wirklich wildem Charakter zu. Die Nähe des Menschen werden die Wölfe auch in den dünn besiedelten Gebieten spüren und sich anpassen. Dadurch wird sich der „wilde Wolf“ für immer von seinen Vorfahren unterscheiden. Das Anthropozän ist schon längst unter das Wolfsfell gekrochen. Mehr zu wollen ist Naturromantik.

Das gilt auch für Norwegen, wie Stokland darlegt. Derzeit leben rund 30 Wölfe im Land. Weitere 50 wandern zwischen Norwegen und Schweden hin und her. Das Besondere: Die Norweger haben ein Wolfsrevier im Südosten eingeräumt. Das reicht von Rendalen im Norden bis in den Süden von Aremark und umfasst die Städte Oslo, Baerum und Hvaler. Wölfe, die außerhalb dieser Region angetroffen werden, werden in der Regel geschossen. So wie auch der „überzählige Nachwuchs“. Die Norweger erlauben den Wolfspaaren drei Jungtiere. Mehr Nachwuchs kann, nicht muss, geschossen werden. Daher lebt der Wolf nicht nur in einer von Menschen geprägten Landschaft, sondern erfährt im Bestand auch noch eine Hege. Kann der „moderne Wolf“ also noch wild sein? Diese philosophische Frage führt in Norwegen offenbar zu einer Grundeinstellung zum Rückkehrer Wolf, die ihm und den Menschen sich den Lebensraum teilen lassen.

Wolfsland, Ausrottung und Hege

Bis in die Mitte des 1800 Jahrhunderts war der Wolf in ganz Norwegen weit verbreitet. Kopfprämien haben das Tier aber an den Rand der Ausrottung gebracht. In den frühen 1900er Jahren erreichte die Wolfsjagd ihren Höhepunkt. Nach Stokland spiegelte sich in der Jagd nach dem „Störenfried“ die Grundeinstellung nach der Kontrolle über die Natur wider. Der Wolf wurde weniger eingeschätzt, weil anderes Wild und die Fischerei höher bewertet wurden und den Menschen Gewinne einfuhren.

Hinter NINA verbirgt sich das Norwegian Institute for Nature Research, das seine Wurzeln schon 1936 im Wildtier-Forschungsinstitut findet. NINA hat nach langer Zeit den Wolf zurück in den Fokus gerückt und konnte in den 1970er Jahren eine Zeitenwende in der Naturbetrachtung erreichen. Ökologie wurde mehr als nur ein Schlagwort und der Schutz natürlicher Ressourcen gewann an Bedeutung. Der Wolf war einer der Gewinner der gesellschaftlichen Veränderung. Sein Status wechselte vom gejagten Räuber zum schutzbedürftigen Tier. Norwegen verlieh ihm 1973 einen gesetzlichen Schutzstatus, so wie er heute in der EU noch vorhanden ist. Als „Rückkehrer“ in das norwegische Ökosystem wuchs die Population durch Einwanderung von Wölfen aus Schweden, Finnland und Russland. So wie die deutsche Wolfspopulation von den polnischen Ahnen profitiert.

Verändertes Norwegen

Die Rückkehrer fanden ein anderes Norwegen vor, als das Land ihrer Ahnen. Und die Norweger mussten erst wieder lernen, mit dem Tier zu leben. Aus Sicht der Wölfe hatte sich das Weidetiermanagement deutlich geändert. Schafe und Rentiere wurden nicht mehr dauerhaft auf abseits gelegenen Weiden in großen Herden gehalten. Das brachte neue Konflikte mit sich, analysiert Stokland. Die Norweger mussten einen Ausweg aus dem Dilemma finden, eine geschützte Art zu hegen.

Das beschrieben Wolfsmanagement gibt allen Akteuren vom Städter über den Naturschützer bis zum Rentierhalter und dem Wolf eine Chance. Der Wolf hat sich grundlegend nur wenig geändert: er jagt, frisst, schläft, zieht Nachwuchs wie vor zweihundert Jahren auf. Er lebt allein oder im Familienverband. Doch ebenso hat sich der Lebensraum grundlegend verändert, weil er das nur noch in einem festgelegten Gebiet umsetzen darf. Und seine Gesamtpopulation wird am unteren Ende des Überlebens gehalten. So beschreibt Hakon Stokland die Geschichte der norwegischen Wölfe in seiner Doktorarbeit.

Der „neue“ norwegische Wolf

Zoologen sind heute in der Lage mit DNS-Karten die Stammbäume der einzelnen Wölfe nachzuzeichnen. Sie erhalten diese nicht nur aus verendeten oder geschossenen Wölfen, sondern auch von Bissspuren an gerissener Beute. Alle norwegischen Wölfe gehen auf zwei russische Wolfsfamilien zurück, von wo sie immer wieder Zuzug erhalten. Das verhindert Inzucht in einer kleinen Wolfspopulation.

Dieses Wolfsmanagement, so Stokland, ist nur mit einer Zielvorgabe einer Wolfspopulation, mit festgelegten Wolfsrevieren, Hege, Monitoring und genetischen Markern erfolgreich. Sein Fazit aus über 200 Jahren Wolfsgeschichte in Norwegen: „Zu einem großen Anteil ist diese Form der Populationsregulierung notwendig, um das Überleben einer so kontrovers angesehenen Art zu sichern.

Lesestoff:

Bauern verlassen EU-Umweltplattform

Lösungen für den Wolf werden dringlicher

Roland Krie; Grafik: NTNU

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