Wiesenbrüter und glückliche Schweine

Landwirtschaft

Landwirtschaft im Spreewald

> Als die Ochsen dem Teufel durchgingen zogen sie mit dem Pflug tiefe Furchen, die sich rund 100 Kilometer südlich von Berlin schnell mit Spreewasser gefüllt haben. Möglicherweise entstanden die insgesamt etwa 1.550 km langen Fließe im Spreewald auch nach der letzten Eiszeit. Die Menschen rangen dem Spreewald mühsam Felder und Wiesen ab und noch heute betreiben rund 500 Betriebe Landwirtschaft im Spreewald.
Der Tourismus war für die Spreewälder bis vor wenigen Jahren nur ein Zubrot ? mittlerweile kommen rund vier Millionen Besucher in die Region. Trotzdem bleibt die Landwirtschaft noch immer ein wichtiger Faktor der Landschaftserhaltung und Spargel und Gurken Spreewald gewährleisten hohe Qualität aus der Region. Sind landwirtschaftliche Nutzung und die Bewahrung des 475 qkm große Binnendeltas, das 1990 von der UNESCO zum Biosphärenreservat ausgerufen wurde, vereinbar?
Annett Delius vom Biosphärenreservat Spreewald führte gestern die Presse auf einer vierstündigen Exkursion durch den unteren Spreewald, um zu zeigen, das Landwirtschaft und Naturschutz keine gegensätzlichen Nutzungsansprüche stellen müssen.

Biotopverbundsysteme
Auch im Spreewald gibt es größere Flächen, die wenig Struktur aufweisen. Da allerdings die Wasserwirtschaft im Spreewald ein sehr bedeutender Faktor ist, gibt es unendlich viele Meliorationsgräben zwischen den Feldern und entlang der Straßen. Diese können entweder kahl wirken und nur rasenhaft begrünt sein ? oder mit Gehölzen versehen werden. Annett Delius zeigte solch ein Flurgehölz zwischen Leibsch und Groß Wasserburg, dass zweireihig entlang eines Grabens vor fünf Jahren angesetzt wurde. Es besteht hauptsächlich aus Rot- und Schwarzerlen, Stieleichen, der Gemeinen Esche, Wildbirne und Wildapfel. Obwohl nur ein kleiner Streifen entlang des Wassergrabens bepflanzt wurde, musste die Erlaubnis von sehr vielen Eigentümern eingeholt werden, denen oft nur wenige Meter Land auf dem Streifen gehören. Wo sich die Eigentümer beharrlich verweigerten sind kleine Lücken im Gehölz. Die Agrargenossenschaft (AG) ?Unterspreewald? hatte die Pflege in den ersten Jahren übernommen. Dazu gehört das Bewässern, Unkrauthacken und das Beseitigen von Verbissschäden durch Wildtiere. Die Aufwände wurden von der Bundesregierung übernommen und belohnen die Landschaft mit Querverbindungen zwischen den Wäldern. So entstehen durch die üblichen Landnutzer, den Bauern, Biotopvernetzungen über großflächige Räume. Einzelbäume, Totholz oder Hecken können so Landschaften netzartig überziehen und schaffen nicht nur den Reisenden eine abwechslungsreiche Kulisse: Die Beschattung der Gewässergräben mindert die Verdunstungsverluste und bremst den Wind, der bei freier Fläche Sand in die Ortschaft Leibsch tragen würde.

Feuchtwiesen
Neugierig von einem Graureiher jenseits des Dahme-Umflut-Grabens beobachtet, beschreibt Annett Delius die Feuchtwiese im Wasigk-Becken. Bereits 1998 wurde die Wiese für Silage gemäht, was jedoch auf die Dauer zu aufwändig wurde: Es war festgeschrieben, welche kleinen Abschnitte wann zu mähen sind. Die Ernte wurde dann in verschiedene Silos gebracht. Heute wird die gesamte Fläche zweimal gemäht: Einmal bis kurz vor dem 15.06. damit die Wiesenbrüter Kiebitz, Rotschenkel und Bekassine schon ?durch? sind und nicht vom Mähwerk erfasst werden. Ein zweites Mal wird nach dem 31.08. gemäht. Vorher ?verhört? ein Ornithologe die Fläche. Nachts kann er die Wiesenbrüter zwar nicht sehen, aber hören und gibt die Fläche erst zur Bearbeitung frei, wenn alle Vögel weg sind. Die Bekassine wird wegen ihres meckernden Rufes übrigens auch ?Himmelsziege? genannt.
Die zweimalige Mahd ist im Vertragsnaturschutz als Programm aufgelistet, allerdings geschlossen ? weil es zu teuer wäre, wird es nicht umgesetzt. Doch die Feuchtwiese ist das einzige Stück Land, das in der Trockenheit überhaupt noch genutzt werden kann. Nur ein kleiner Deich trennt die Wiese vom Dahme-Umflut-Graben. Dort kann die Höhe des Wasserspiegels einfach abgelesen werden und zeigte gestern an, dass ein Betreten der Wiese schnell nasse Füße nach sich zöge. Befahren werden kann die Wiese eine Woche nachdem das Wasser über ein Wehr in den Graben geführt wird. Überhaupt ist das Wassermanagement im Spreewald sehr kompliziert. Im Frühjahr beraten die Beteiligten und das Landwirtschaftsamt in so genannten Staubeiratssitzungen über die Sommerbewässerung und im Herbst über die Wasserregelungen im Winter. Meist funktioniert das auch ? allerdings regelt manchmal Bauer Müller das Wehr mittags wieder ab, nachdem Bauer Schmidt für seine Wiese das Wehr am Morgen geöffnet hatte.
Hier ist noch dringend Regelungsbedarf, denn generell wird das Wasser im Spreewald knapp. Der Tagebau am Oberlauf der Spree verbraucht Unmengen Wasser, dass im Wesentlichen aus der Spree kommt. Der Tagebau hat auf einer Fläche von etwa 2.500 qkm das Grundwasser abgesenkt und die stillgelegten Gruben werden langsam mit Wasser aufgefüllt. Es müssen bis zu 10 Milliarden Kubikmeter Wasser zur Füllung des Grundwasserabsenkungstrichters und der Löcher eingespeist werden. Die Spree hingegen liefert am Pegel Cottbus pro Jahr nur 0,5 Milliarden Kubikmeter Wasser. Zum anderen hat der Spreewald selbst auf Grund seines etwa 30-prozentigen Torfanteils auch eine hohe Verdunstungsrate. Annett Delius beschrieb, dass die Spreewälder manchmal durch die Wasserknappheit im Sommer gezwungen sind, die Wehre so lange als möglich geschlossen zu halten: Bis die Berliner schreien, dass die Spree ?rückwärts läuft?. Im Trockenjahr 2003 mussten riesige Wassermengen aus Sachsen zugekauft werden. Grundlage ist ein seit 2000 bestehender Vertrag des Landes Brandenburg mit der Landestalsperrenverwaltung in Sachsen über eine jährliche Wasserbereitstellung von 16 Millionen Kubikmeter Wasser aus der Talsperre Bautzen und vier Millionen aus Quitzdorf.

Arbeit ohne Lohn?
Die Pflegemaßnahmen kosten Geld: Wasser, Arbeit, Maschinenkosten. Aufwand, der nicht entlohnt wird? Im Rahmen des Vertragsnaturschutzes gibt es eine Vielzahl von Förderprogramme, die Gelder bereitstellen. So wird nach Katalog mit 130 Euro jeder Hektar entlohnt, der extensiv genutzt wird. Eine Mähnutzung von Spreewaldwiesen mit Technikeinsatz und Landtransport wird mit 75 ?/ha gefördert. Programme laufen allerdings aus oder sind gar nicht offen, wie die zweimalige Mahd der Feuchtwiesen. Die Landeskassen werden zudem immer knapper und letztlich bleibt die Frage, ob das Fördergeld auch den tatsächlichen Marktwert wiederspiegelt. Bereits Heino Hermühlen von der Gäa Schäferei Hullerbusch in Freiberg beklagte, dass seine Tiere nicht marktgerecht verkauft werden können: Die Tiere halten den Magerrasen offen, aber erreichen nur kleine Schlachtkörper (Herd-und-Hof.de vom 10.03.2005), deren Vermarktung den Einsatz nicht wiederspiegelt.
Zwar entkoppele die laufende Agrarreform die Fördergelder von der Produktionsmenge und biete eine Flächenzahlung an, bei der landschaftspflegende Maßnahmen entlohnt werden. Aber, so zeigte sich gestern: ?Der Schuss kann auch nach hinten los gehen?, sagte Annett Delius. Geld für die Fläche, Geld vom Naturschutz ? warum dann noch Spreewaldgurken anbauen, die gegen Discountware keine Chance haben? Regionale Lebensmittel mit dem ?Nebenprodukt Naturschutz? haben einen anderen Wert: Ein höhere Preis beinhaltet die Beschattung der Wassergräben, die verhinderte Sanderosion und Nistmöglichkeiten für die Wiesenbrüter, wegen denen die Touristen in den Spreewald kommen. Im Biosphärenreservat gibt es etwa 200 Verträge im Vertragsnaturschutz, die durch das Land Brandenburg mit gut 0,6 Millionen Euro gefördert werden.

Schwein gehabt
Bunte Ferkel sausen durch das knöchelhohe Gras. Der Hunger treibt sie aus den Weidehütten an das Gesäuge der Mutter. Danach flanieren die kleinen Racker mit den kräftigen Keulen vor den Kameras. Die dunkelbraune Farbe weist auf den 50-prozentigen Duroc-Anteil hin. Duroc vererbt die gute Mütterlichkeit; Ferkel mit schwarzen Flecken und hellerem Hof deuten auf den fleischwüchsigen Pietrain-Eber als Vater hin; die Schlappohren stammen von einem Viertel Landschwein und das Edelschwein stellt weitere 25 Prozent Muttertier. Seit zwei Jahren dürfen im ökologischen Landbau für die Schweinefleischerzeugung keine konventionellen Ferkel mehr eingestallt werden. Für die AG ?Spreetal? Neulübbenau wäre der Bau einer Sauenanlage viel zu teuer gewesen wäre. So hat sich die stellvertretende Vorsitzende Sylvia Zeidler umgeschaut und ist in der Freilandproduktion fündig geworden. Zuchtsauen der beschriebenen Kreuzung kamen im Winter auf den Hof und mussten fortan Bioferkel im Freiland aufziehen. Mittlerweile sind es 80 Sauen und 15 Jungsauen die auf einer Wechselweide freien Auslauf haben. Die Sauen ferkeln in isolierten Hütten und die Ferkel können sich auf dem Gelände vollkommen frei bewegen. Ein Zaun mit zehn stromführenden Drähten sichert weniger das Ausbüchsen der Tiere, sondern hält viel mehr Wildeber davon ab, die rauschenden Sauen ungewollt zu decken.
Ganz ungefährdet ist das freie Leben allerdings nicht. Im letzten Jahr holten Kolkraben 86 Ferkel, weswegen Sylvia Zeidler den Freilandbetrieb schon einstellen wollte. Dieses Jahr blieben die Vögel jedoch weg. Sie waren auch nicht primär wegen der Ferkel gekommen, sondern wurden durch den nicht abgedeckten Hühnermist der Nachbarschaft angelockt.
Die Sauen suhlen sich in selbstgewühlten Kuhlen und bekommen alle zwei Jahre ein neues Stück Weide vorgesetzt. Auf der alten wird die Grasnarbe wieder erneuert. Im Gegensatz zur konventionellen Schweinehaltung zeigen die Tiere eine ungeahnte Lebendigkeit.
Für die AG ?Spreetal? lohnt sich die Freilandhaltung: 16 aufgezogene Ferkel schafft eine Sau jedes Jahr. Das ist zwar weniger als die konventionelle Haltung, aber das Kilo Fleisch wird nach der Endmast der Ferkel, die im eigenen Betrieb im Stall stattfindet, besser belohnt: Rund einen Euro mehr pro Kilogramm.

Unter Wasser unterwegs
In der Außenstelle Schlepzig der Naturwacht Unterspreewald gibt es eine Dauerausstellung, die dem Besucher bei einem Blick an die Decke sofort klar macht, wo er sich befindet: Über den Besucher zieht der Kiel eines Spreekahns hinweg und Schwimmblattpflanzen hängen von der Decke. In der Mitte des Raumes steht ein Aquarium mit Spreewaldbewohnern der Fließe. Der Wels am Grund und ein riesenhaft vergrößerter Wasserfloh zeigen dem Betrachter die spannende und vielfältige Unterwasserwelt. Geöffnet ist die Ausstellung täglich zwischen 10 und 17:00 Uhr, in der Zeit von November bis März jeweils bis 16:00 Uhr. Dorfstr. 52; 15910 Schlepzig; Tel.: 035472/64898

roRo

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