Wind entlastet Biomasse

Landwirtschaft

Weichenstellung für eine nachhaltige Stromversorgung

Wenn man Dr. Joachim Nitsch vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt zuhört, fühlt man sich gleich beruhigt. Zwar hat die Welt im Jahr 2006 etwa 491 EJ Energie verbraucht, Sonne, Wind, Wasser, Geothermie, Biomasse und Wellen liefern jedoch die fünffache Menge an Energie. Würde der im Wüstengebiet liegende Assuanstaudamm komplett mit Solarzellen bedeckt, lieferten sie die Energiemenge, die der Mittlere Osten derzeit aus dem Erdöl gewinnt. „Von einem Energieengpass kann keine Rede sein“, so Prof. Nitsch.

Energiegrößen

1 Wattsekunde (Ws) = 1 J (Joule) /
1 Wh = 3,6 kJ / 1 kWh = 3,6 MJ

kJ (Kilo) – Tausend

TJ (Tera) - Billion

MJ (Mega) - Million

PJ (Peta) – Billiarde

GJ (Giga) - Milliarde

EJ (Exa) - Trillion

Derzeit besteht die Herausforderung darin, die derzeitige Nutzung gespeicherter Energie, wie Kohle, Öl und Gas, auf die von Energiequellen zu verlagern. Sonne und Wind stehen dabei mengenmäßig an erster Stelle, so dass künftig die Stromerzeugung für die Primärenergie der wichtigste Schlüssel für die Energieerzeugung aus regenerativen Quellen sein wird. Mit dem gewonnenen Strom wird dann auch Wärme produziert und die Mobilität gewährleistet. Der Mitautor der Leitstudie 2008 prognostiziert, dass die Kosten für erneuerbare Energien bezahlbar sind, doch die Höhe des Erdölpreises die Investitionen in diesen Sektor bestimmt.

Vier Optionen und fünf Thesen
Im April 2010 wird der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) das Sondergutachten „Weichenstellungen für eine nachhaltige Stromversorgung“ vorstellen und bot gestern Abend in Berlin vier Optionen und fünf Thesen vorab zur Diskussion. Denn, so Prof. Dr. Martin Faulstich vom SRU, wie die nachhaltige Energieversorgung einmal aussehen werden muss, weiß jeder. Doch der weg dahin ist umstritten.
Vier Optionen sind für Deutschland denkbar:
Option 1: Die schnelle Erneuerung des vorhandenen Kraftwerksparks (vor allem Kohlekraftwerke) ohne Einsatz von Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (Carbon Capture and Storage – CCS)
Option 2: Die spätere Erneuerung des vorhandenen Kraftwerksparks (vor allem Kohlekraftwerke) mit Einsatz von CCS ab cirka 2020
Option 3: Die Laufzeitverlängerung, der Ausbau und Neubau von Atomkraftwerken
Option 4: Der Ausbau der erneuerbaren Energien

Am Montag hat ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur CCS-Technologie ein überwiegend positives Echo gefunden. Unterschiedlich war nur die Auffassung, ob der Rechtsrahmen für die Abscheidung, den Transport und die dauerhafte Speicherung von Kohlendioxid dauerhaft oder zeitlich befristet für Forschungsvorhaben gelten soll.

These 1: Bis 2050 müssen die Industrieländer ihre Treibhausgasemissionen um mindestens 80 Prozent reduzieren (Klimawandel)
These 2: Die Weichenstellungen heute prägen die Emissionen 2050 (Weniger wichtig ist die Erreichung der politischen Vorgaben 2020 oder 2030, sondern der Aufbau von Grundlagen für den erfolgreichen Klimaschutz 2050. „Die aktuellen Neubaupläne für konventionelle Grundlastkohlekraftwerke ohne die Rückhaltung und Speicherung von CO2 sind daher nicht mit den Klimaschutzzielen für 2050 vereinbar“)
These 3: Eine vollständige Strombedarfsdeckung mit erneuerbaren Energien ist möglich (Umstrukturierungsbedarf vor allem der Energienetze)
These 4: Hohe Anteile von Grundlastkraftwerken sind mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien nicht vereinbar (Die Einsatzmöglichkeiten von Grundlastkraftwerken werden bei einem hohen Anteil erneuerbaren Energien eingeschränkt, stattdessen schnell startende Kraftwerke und Regelenergie benötigt.)
These 5: Die Systementscheidung sollte zugunsten der erneuerbaren Energien erfolgen („Die Energieträger Kohle und Kernenergie können keine nachhaltige und zukunftsfähige Stromversorgung sicher stellen.“)

„Die Mühen des Alltags sind erheblich“
Annette Agricola von der Deutschen Energie-Agentur (dena) ist skeptisch. Wichtiger als das mögliche energiepotenzial ist die „Ausgangslage des Verbrauchs bei den Menschen“. Gerade China, Indien und Brasilien haben einen enormen Nachholbedarf, der bis 2030 die Stromnachfrage der Welt verdoppeln werde. Die Internationale Energieagentur sieht im Jahr 2030 noch 47 Prozent der Energiebereitstellung aus Kohlekraftwerke stammen. Von dieser Basis aus gesehen sieht Agricola in der CCS-Abscheidung eine Effizienzminderung. Die aber sei der Schlüssel für den vernünftigen Energieeinsatz. Daneben gebe es noch reichlich Forschungsbedarf, Kohlendioxid zu verwerten. Hier könne Deutschland mit Hochtechnologie auch Exporte in andere Länder leisten. Die dena sieht nicht nur auf der Nachfrage-, sondern auch auf der Angebotsseite eine Effizienzlücke.

Vergleichsstudie unendlich viel energie de

Ein aktuelles Gutachten der Agentur für Erneuerbare Energien zeigt, dass die meisten energiewirtschaftlichen Prognosen die Entwicklung der regenerativen Energien unterschätzt haben. 50 Szenarien für Deutschland, Europa und der Welt wurden mit dem tatsächlich Erreichten verglichen – und lagen unterhalb der Realität. Der Informationskreis Kernenergie beispielsweise schätzte, dass nicht mehr als vier Prozent des Strombedarfes aus erneuerbaren Energien gedeckt werden könnten – es sind heute bereits 15 Prozent. Am Endenergieverbrauch von 238 TWh stellen sie einen Anteil von 9,7 Prozent. Am Stromverbrauch sind es 15 % (91 TWh), bei Wärme acht Prozent (109 TWh) und im Bereich Mobilität haben Biotreibstoffe einen Anteil von sechs Prozent.

Verbraucher überlastet
Nicht nur die Effizienz der Energieverwertung ist wichtig, sondern wohl auch die Effizienzsteigerung politischen Instrumente. So darf man Prof. Dr. Uwe Leprich verstehen. Der Experte von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes zählte auf, womit Verbraucher „überflutet“ werden: Energielabel, A++ - Geräte, Demokoffer für den energiesparenden Haushalt oder Wärmekompass. Das ist nicht verkehrt, weil 30 Prozent der hochveredelten Stromenergie im Haushalt hauptsächlich für den Niedertemperaturbereich wie Nachtspeicher oder Warmwasserführung „vergeudet“ wird. Doch 50 Prozent des deutschen Stroms entfallen auf mechanische Motoren in den Bereichen Industrie und Gewerbe. Vielleicht hat der Verbraucher „tausend andere Sorgen“ als sich um noch mehr Energiesparen zu kümmern, so Prof. Leprich. Das prognostizierte Einsparpotenzial in Höhe von 110 TWh bis 2015 durch Energieeffizienz könne auch anders erreicht werden.
Beispielsweise durch eine Lieferantenvorschrift, wie sie in anderen Ländern bereits üblich ist. Die Energieversorger müssen je Kunde und Jahr mindestens ein Prozent Energie einsparen. Das realisiere einmal die Idee der Produkthaftung, ist ein „Transmissionsriemen“ für politische Ziele hin zum Verbraucher, erfordert keine weiteren staatlichen Mittel und ist vor allem wettbewerbsneutral. Dr. Leprich: „Der Pfiffige gewinnt.“

Wie global die nachhaltige Energieversorgung künftig verbunden sein kann, zeigt die Desertec-Foundation, die mit Sonnenenergie aus den Maghreb-Staaten ganz Europa mit nachhaltiger Energie versorgen will. Im März wurde die Gründung in Berlin offiziell vollzogen. Max Schön, Präsident der Deutschen Gesellschaft Club of Rome und Aufsichtsratsmitglied der Desertec: „Sauberer Strom aus den Wüsten der erde kann innerhalb weniger Jahrzehnte einen erheblichen Beitrag zu Klima- und Energiesicherheit leisten. Besonders die Regionen rund um das Mittelmeer würde, wie es das Desertec-Konzept vorsieht, wirtschaftlich wie humanitär von der Nutzung der Sonnen- und Windkraft in den Wüstengebieten profitieren.“ www.desertec.org

Entlastung der Biomasse
Die Diskussion zwischen „Teller und Tank“ hat nicht nur die Bauern irritiert. Heute muss man den Disput nicht mehr so benennen. Doch Mais für die Biogaserzeugung, Verstromung oder Wärmegewinnung nutzt Fläche, die auch anderweitig Verwendung finden kann. Einen stetigen Fluss an nachhaltig produzierter Biomasse zu gewährleisten ist nicht so einfach. Dezentrale Anlagen werden auf Maisfelder für den Biogasfermenter nicht verzichten müssen, aber Energieversorger Vattenfall muss auch nicht als Bedrohung für Brandenburgs Wälder begriffen werden, sucht er 400.000 Tonnen Biomasse für sein neues Heizwerk.
Der Abend des SRU machte klar: Die Windenergie wird die künftige Säule für die Stromversorgung Deutschlands sein und wirtschaftet bereits nahe der Rentabilität. Lange danach kommt die „maximale Verwendung anderer Energieoptionen“ und dann erst die wettbewerbsrechtliche Ermittlung der Residuallast. Darin eingebettet hat auch die Energiepflanze ihren Platz, doch nur im realistischen Rahmen eines Energiemixes. Und da Prof. Nitsch das Elektromobil gangbares und nachhaltiges Fahrzeug prognostiziert, werden Raps- und Maisflächen wieder frei für andere Früchte.

Lesestoff:
Das Thesenpapier des SRU kann auf der Seite www.umweltrat.de eingesehen werden
Solarkonferenz auf Herd-und-Hof.de: Chancen und Grenzen der Biomassenutzung, jedes Jahr ein Bioenergiedorf.
Vattenfall will Biomasse nutzen.
Die Vergleichsstudie Prognose und Wirklichkeit finden Sie unter www.unendlich-viel-energie.de

Roland Krieg

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