„Wir dürfen nicht nur an uns denken“
Landwirtschaft
Eine Handvoll Euro für die Entwicklungsarbeit
Die Entwicklungspolitik rückt in Zeiten der Pandemie in eine neue Rolle, sagt Gerd Müller, Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Er hat die undankbare Rolle des Rufers in der Wüste, wenn alle nur mit sich beschäftigt sind. Die Coronakrise trifft auch die Ärmsten und das am härtesten. „Wir dürfen nicht nur an uns denken“, sagte er am Mittwoch im Bundestag. Das sagen alle Minister und in der Entwicklungshilfe Tätigen seit Jahrzehnten. In der Zeit, wo Billionen Euro in Europa für die Krise in der Pandemie zur Verfügung gestellt werden, bettelt Müller um lediglich drei Milliarden, die als Corona-Sofortprogramm über das BMZ für die mehr als 100 Partnerländer bereitgestellt werden sollen. FAO, die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Kirchen und Entwicklungsorganisationen machen seit Beginn der Pandemie auf die schlechte Situation im globalen Süden aufmerksam: Ein mangelhaftes Gesundheitssystem, fehlende Infrastruktur, hoch verschuldet und jetzt im globalen Egoismus auch noch allein gelassen. Es ist die denkbar ungünstigste Zeit, sich noch um andere zu kümmern. Die völkische AfD will sogar ein Moratorium für neue Gelder der bi- und multilateralen Zusammenarbeit. So lautet ihr Antrag.
Erfolge werden zerschossen
2020 war eigentlich als Jahr für die Reisefreiheit in Afrika vorgesehen. Die Afrikanische Union plante schon 2016 einen Afrika-Pass für alle Bürger. Die Grenzen schließen aber nicht nur wegen SARS-CoV-2, sondern auch, um den illegalen Handel zwischen den Ländern zu unterbinden. Im Fokus der Corona-Hilfen könnten Malaria und Masern in Afrika vernachlässigt werden. Lediglich Deutschland hat über die Kurzarbeit-Funktion Arbeitslosigkeit bislang komplett verhindert. In den USA ist die Zahl bereits auf 20 Millionen angestiegen, sagte später Wirtschaftsminister Peter Altmaier im Bundestag. Soziale Sicherungssysteme fehlen in vielen afrikanischen Ländern erst recht.
Zeigt die Pandemie die Schwachstellen der Industrieländer auf, gilt das umso mehr für die Entwicklungsländer, wo in den vergangenen Jahrzehnten nur wenige Fortschritte erzielt wurden. Vieles machen asymmetrische Kriege gerade wieder zunichte. Dort steigen Hunger und Armut. Da steht die neue Afrikabeziehung von Europa unter einem unglücklichen Stern. Die Partnerschaft soll nach Willen der Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen von der Entwicklungshilfe weg, zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe.
Dem wird kaum widersprochen. Leichter ist es in der Pandemie aber nicht geworden. Da bleibt es um Müller herum einsam, wenn er einen „New Deal“ mit Afrika vorschlägt. Die Mittel für den Kontinent müssten sich verdoppeln.
Lieferkette: Das Abwarten hat ein Ende
Mitte Mai hatte die Koalition bei einem Antrag von Die Linke für ein verbindliches Lieferkettengesetz nach die Warte-Karte gespielt [1]. Am Mittwoch wurde Gerd Müller deutlich und kündigt den Gesetzentwurf an.
Am kommenden Freitag endet die zweite Befragungsrunde der Unternehmen. Die detaillierte Auswertung steht erst Mitte Juni an. Doch im Bundestag sagte Müller, sei das Ergebnis genauso ernüchternd wie die erste Evaluation. Nur 30 Prozent der Unternehmen haben geantwortet und die Antworten seien mangelhaft wie zuvor.
Unzufrieden ist Müller auch mit seinem Textilbündnis. Die Hälfte der Unternehmen machen mit. Das sei gut, bedeute aber auch, dass eine zweite Hälfte fehlt. Zusammen mit Arbeitsminister Hubertus Heil wird er noch vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf für das Lieferkettengesetz vorstellen. Müller freut sich über Signale aus Brüssel. Justizkommissar Didier Reynders will die deutsche Vorarbeit auf europäische Ebene übernehmen.
Mercosur mit wem?
Müller hat einen Prozess eingeleitet, der Entwicklungshilfe in einen neuen Rahmen stellt. Länder, die weder demokratische noch Menschenrechte achten, wurden, wie Myanmar von der Partnerliste gestrichen. Beim Handelsabkommen mit dem südamerikanischen Wirtschaftsbund Mercosur steht der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro in der Kritik. Es handelt sich nach Uwe Kekeritz (Bündnis 90/die Grünen) um ein „verbrecherisches System, das nur an seinen persönlichen Profit denkt.“ Die Balance ist schwierig. Wird Mercosur mit Bolsonaro oder mit Brasilien und den weiteren Ländern Argentinien, Paraguay und Uruguay abgeschlossen? Kann so ein Vertrag nach Politikvorgaben an- und ausgeschaltet werden? Auch wenn nach Entwicklungspolitiker Sascha Raabe von der SPD ein sanktionsfähiges Nachhaltigkeitskapitel verankert wissen will, so bleibt immer die Frage, nach Rückzug oder internationalem Finger, der noch einen Einfluss hat.
Die Antwort haben die vergangenen Jahrzehnte nicht hervorgebracht. Das wird auch Gerd Müller in seiner verbleibenden Amtszeit nicht mehr umsetzen. Die finanzielle und technische Zusammenarbeit wird immer mit „schwierigen Ländern“ durchgeführt, sagte Müller. In der nächsten Woche stellt das Ministerium ein neues Waldprogramm vor, dass auch über den Mercosur erweitert werden könnte.
Lesestoff:
[1] Wie verbindlich soll das Lieferkettengesetz sein: https://herd-und-hof.de/handel-/lieferkettengesetz-verbindlich-gestalten.html
Roland Krieg
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