„Wir haben es satt“ mit digitalem Protest

Landwirtschaft

Agraropposition demonstriert auch bei digitaler Grüner Woche

Wer ein echtes Anliegen hat, findet auch in Zeiten der Pandemie Formen des Protestes. Die Bewegung „Wir haben es satt“ versammelt sich am Samstag vor dem Bundeskanzleramt mit rund 30 Traktoren zum Protest für eine bäuerliche Agrarpolitik. Die Akteure haben die Demonstranten zwar aufgefordert, wegen der Pandemie zu Hause zu bleiben, aber auch einen Fußabdruck zu senden, der in Berlin ausgelegt wird. Einige Fußabdrücke sind mit Sprüchen und Anforderungen versehen und sollen einen ganzen Teppich ausmachen, wo sonst reale Füße gegen die Agrarpolitik demonstrieren.

Das Bündnis aus insgesamt 60 Organisationen hat vor dem Hintergrund er laufenden Trilog-Verhandlungen zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) eine „rückwärtsgewandte Haltung bei den GAP-Plänen ausgemacht. Sprecherin des Bündnisses „Wir haben es satt“ (WHES) Saskia Richartz sprach am Mittwoch per Videoschaltung zu Journalisten von einem Reformstau und hat für die im Herbst angesetzte Bundestagswahl fünf Messlatten vorgestellt, die eine krisenfeste Landwirtschaftspolitik sichern soll.

Bäuerinnen und Bauern müssen beim Umbau der Landwirtschaft unterstützt werden, damit nicht jede Stunde ein Hof schließen muss. Für den Stallumbau mit reduzierten Tierzahlen, müssten „Tierfabriken“ gestoppt werden, damit einher müsse sich der Konsum von Fleisch halbieren und Handelsabkommen wie das mit den südamerikanischen Ländern des Mercosurs sollen für die Vermeidung negativer Auswirkungen der globalen Landwirtschaft gestoppt werden. Generell müsse der Ausstieg aus den Pflanzenschutzmitteln angegangen und Gentechnik, inklusive der neuen Genom-Editierung gestoppt werden.

Für die Reduzierung der Tierzahl hatte Saskia Richartz kein quantitative Vorgabe genannt. Konsumenten müssten über die ausgewogene Ernährung informeirt werden und öffentliche Kantinen könnten ein gutes Vorbild leisten. Dann werde über den Schlüssel der Flächenbindung die Tierzahl an den neuen Konsum angepasst.

Vor allem die letzten Bauerndemonstrationen vor den Auslieferungslagern des Lebensmitteleinzelhandels habe gezeigt, wie verzweifelt die Situation auf den Höfen geworden sei. Klima-, Arten- und Tierschutz werden nach Elisabeth Waizenegger von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) umgesetzt, sofern die Landwirte faire Preise bekommen. Den aktuelle Appell der europäischen Wasserversorger zur Umsteuerung der GAP für die Sicherung der Trinkwasserressourcen nahm die Milchbäuerin aus dem Allgäu zum Anlass weitere Akteure von außerhalb der Landwirtschaft anzuführen, dass die Landwirtschaft deutlich mehr wasserschonende Bearbeitungsmethoden brauche und diese aus der GAP finanziell unterstützt werden sollten.

Volker Krause aus dem Vorstand des Bundesverbandes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) von der Bohlsener Mühle fordert mehr staatliche Eingriffe, denn der Markt regele von alleine nur die Spezialisierung und nicht die Regionalisierung. Der Agrar- und Ernährungswende müsse eine Wirtschaftswende mit neuen Fördermerkmalen vorgehen [1].

Saskia Richartz - Wir haben es satt

Interview mit Saskia Richartz

HuH: Wenn Ministerin Julia Klöckner kein Mindestbudget im Rat durchgesetzt hätte, wie hoch wäre die Chance gewesen, dass das Parlament ein Mindestbudget gegen Kommission und Rat eingeführt hätte?

Saskia Richartz: Ich gehe davon aus, dass Ihre Frage sich auf die Budgetmengen bezieht, die aktuell für Eco-Schemes – also die Öko-Regelungen - in den Verhandlungen diskutiert werden. Für diese Budgetregelungen gilt dasselbe wie im Grunde für alle Aspekte des Kommissionsvorschlages: Es ist ganz grundsätzlich die Aufgabe des Parlaments und der Vertreter*innen des Rates sich auf einen Finanzierungsrahmen zu einigen. Im Falle der Eco-Schemes, hätte sich die Kommission sogar einen deutlich großzügigeren Mindestsatz erhofft, als die vom Rat geforderte Untergrenze von 20% Prozent. Auch das Parlament fordert einen Budgetrahmen von mindestens 30% und ist damit ambitionierter, als der Kompromiss den Frau Klöckner im Rat erzielt hat. Aus der Sicht unseres Bündnisses sind Budgetrahmen von 20% und 30% Prozent zu gering. Steuergelder sollten grundsätzlich immer zielorientierte Maßnahmen fördern und nicht pauschal an Hand von Ackerfläche berechnet werden.

HuH: Die Ratssitzung in Luxemburg für den Ratsbeschluss hat gezeigt, dass vor allem die osteuropäischen Länder ganz andere, und vor allem wirtschaftliche Interessen, für die GAP hatten. Hat WHES dort keinen Einfluss?

Saskia Richartz: Das „Wir haben es satt!“-Bündnis setzt sich aus deutschen Bauern-, Umwelt-, Tierschutz- und entwicklungspolitischer Organisationen zusammen und hat noch keinen direkten Draht zu osteuropäischen Regierungen. Allerdings ist unser Bündnis Teil eines europaweiten Netzwerkes, dem auch Bündnisse aus Osteuropa angeschlossen sind. So stehen wir z.B. im Kontakt mit unseren Kolleg*innen in Polen. Auch in diesen Ländern gibt es eine wachsende Bewegung aus Bäuer*innen, Lebensmittelhandwerker*innen, Umwelt- und Klimaschützer*innen, die eine bäuerliche, ökologischere und somit auch krisenfestere Landwirtschaft fordern.

HuH: Es gibt in Dänemark und den Niederlanden  kein verbindliches Tierhaltungskennzeichen, weil das europarechtlich nicht möglich ist. Ist Ihre Forderung nach einem verbindlichen Kennzeichen nicht das nächste „Maut-Desaster“?

Saskia Richartz: Hätte Ministerin Klöckner eine verbindliches Tierhaltungskennzeichen tatsächlich gewollt, hätte sie diesen Weg zielstrebiger eingeschlagen und ggf. rechtliche Fragen auch von Gerichten klären lassen können. Noch erfolgsversprechender wäre es sicher gewesen, einen koordinierten Vorstoß mit Dänemark und den Niederlanden zu machen und zeitgleich auch eine verbindliche Kennzeichnung auf EU-Ebene voranzutreiben. Im Übrigen zeigt die EU-weite Kennzeichnung der Haltungsform bei Eiern, dass verbindliche Regelungen auf EU-Ebene auch möglich sind. Unverbindliche Regelungen sind dagegen keine zufriedenstellende Lösung, nicht einmal für die beteiligten Bäuerinnen und Bauern. Denn sie führen immer dazu, dass die Bemühungen weniger von anderen unterboten werden.

HuH: Eine Frage zu fairen Preisen? Im Bereich Milch gibt es Betriebe, die mit 28 Cent/kg auskommen und Betriebe, denen 40 Cent  zu wenig sind. Wo wäre da der faire Preis?

Saskia Richartz: Es geht nicht, kostendeckend Milch für 28 Cent/kg zu produzieren. Vielleicht kennen Sie ja die Verbrauchermarke „Du bist hier der Chef“? Eine Initiative in der Verbraucher*innen einen fairen Warenpreis definieren, indem sie abwägen, zu welchen ökologischen und sozialen Qualitätsstandards sie ein Produkt kaufen wollen. Im letzten Jahr haben sich über 9.000 Verbraucher*innen beteiligt und einen Preis von 1,45 EUR pro Liter Bio-Milch als fair befunden. Davon gehen 0,58 EUR pro Liter an den Bauern oder die Bäuerin, zzgl. weiterer 0,06 Cent pro Liter für die Einhaltung weiterer Qualitätsmerkmale, wie Weidehaltung und regional hergestellte Futtermittel. Diese Milch ist mittlerweile in vielen Geschäften in Deutschland erhältlich und der Marktanteil wächst. Dieses Beispiel zeigt: Verbraucher*innen sind durchaus bereit sehr viel mehr für ihre Lebensmittel zu bezahlen, wenn sie die Qualität kennen und mitbestimmen können. Es ist eine fatale Einbahnstraße sich global auf eine Dumpingpreispolitik einzulassen. Wir können und wollen in Europa nicht bei diesem Spiel mitziehen – langfristig kann das sowieso keiner. Wir sollten auf Qualität-volle Lebensmittelerzeugung setzen, das ist besser für Menschen, Tiere und Umwelt.  

HuH: Julia Klöckner hat in der vergangenen Woche einen ausführlichen Brief an die Landesminister zur nationalen Umsetzungsstrategie der GAP geschrieben und hat sie aufgefordert, einen Basisbetrag für die Direktzahlungen zu nennen, einen Prozentsatz für die Umschichtung und die Frage nach der Menge an nicht-produktiver Flächen. Wie groß schätzen Sie die Möglichkeit ein, über den neuen Strategieplan Nachbesserungen für Ihre Wünsche durchzusetzen?

Saskia Richartz: Klöckner könnte, wenn sie den politischen Willen hätte, den großen Gestaltungsspielraum des nationalen Strategieplans für Deutschland nutzen und so den Umbau der Landwirtschaft voranbringen. Der Prozentsatz für Eco-Schemes in der zukünftigen GAP ist ein Mindestsatz. Deutschland könnte also deutlich mehr als nur 20 bis 30 Prozent des Budgets von den Flächenzahlungen in diese Maßnahmen umschichten. Wir fordern, dass mindestens 70 Prozent der Gelder für eine Honorierung von Gemeinwohlleistungen wie Klimaschutz, Insektenschutz und artgerechte Tierhaltung genutzt werden.

Noch wichtiger als die Budgetanteile, ist die Qualität der Maßnahmen, die finanziert werden. Da müsste die Regierung sehr viel klarer differenzieren, um wirklich nur effektive Maßnahmen zu unterstützen. Klar ist, ein „Weiter so“ ist keine tragbare Option. Wir brauchen deutlich höhere Standards und effektivere Maßnahmen für Umwelt-, Tier- und Klimaschutz und eine bessere Unterstützung der Bauern und Bäuerinnen beim Umbau der Tierhaltung und Landwirtschaft.

HuH: Flächenförderung: Oft wird eine Bindung der Agrargelder an soziale Aspekte, wie der Zahl an Arbeitern gefordert. Was ist mit den Betrieben, die mit der Digitalisierung Ressourcen optimaler einsetzen können, aber weniger Arbeitskräfte haben. Werden die nicht benachteiligt?

Saskia Richartz: Wie in allen Branchen ist es nicht im Interesse der Allgemeinheit, dass die Digitalisierung dafür genutzt wird, Arbeitsplätze abzuschaffen. Schon gar nicht bevor unsere Gesellschaft bereit ist, ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle einzuführen. Es gibt viele Menschen, die durchaus gerne in der Landwirtschaft arbeiten oder arbeiten würden, wenn der Zugang zu Land und sozial, ökologisch und ökonomisch zukunftsfähiger Rahmen gewährleistet wäre.

HuH: Und noch eine Frage zur Zukunftskommission Landwirtschaft: Es gibt keinen Zwischenbericht, der für den Herbst 2020 vorgesehen war, und es sind sehr viel laute Streitereien zwischen den Akteuren zu hören. Offenbar waren die demonstrierenden Landwirte vor den Auslieferungslagern erfolgreicher. Ist die Zukunftskommission bereits tot? Wie nachhaltig ist das Angebot der Schwarz-Gruppe 50 Millionen Euro zusätzlich an die Brancheninitiative Tierwohl zu zahlen?

Saskia Richartz: Meiner Kenntnis nach, beginnt die Zukunftskommission im Grunde erst jetzt, die wirklichen Kernthemen einer zukünftigen Agrarpolitik zu diskutieren. Einige unserer Trägerorganisationen sitzen dort mit am Tisch, als Bündnis sind wir aber nicht in der Runde vertreten. Ebenso wie die demonstrierenden Landwirt*innen sind wir der Meinung, dass der öffentliche Druck auf Entscheidungsprozesse der Regierung absolut wichtig ist. Kommissionen können den öffentlichen Diskurs nicht ersetzen und Lösungen benötigen die Einbindung der gesamten Branche und Gesellschaft.

HuH: Vielen Dank für die Antworten

Die Fragen stellte Roland Krieg

Lesestoff:

[1] Wie regionale Wertschöpfungsketten entstehen: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/umstellung-braucht-gute-planung.html

Roland Krieg; Foto: Screenhshot der Videopressekonferenz

© Herd-und-Hof.de Nutzungswünsche: https://herd-und-hof.de/impressum.html

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