„Wir müssen wachsen wie blöd“

Landwirtschaft

Wie viel Landwirtschaft wollen wir – und welche?

Die Zukunftswerkstatt 2014 der Agrarmarketing Gesellschaft Niedersachsen stellte die Frage: „Wie viel Landwirtschaft wollen wir – und welche?“ Franz-Georg von Busse, Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe Agrarwirtschaft wusste die alleinige Antwort: „Wir brauchen so viel Landwirtschaft, dass wir alle satt werden!“

Kommunikations-Kreismeister

Doch die Tücke steckt im Detail. Franz-Josef Holzenkamp, Vorsitzender der Marketinggesellschaft, entdeckt eine „gute Stimmung“ auf der Grünen Woche, registrierte aber auch Erwartungen, die unmöglich zu erfüllen sind. Die deutsche Agrarwirtschaft sei zwar Produktionsweltmeister, im Bereich der Kommunikation aber nur Kreismeister.
Ausgerechnet Niedersachsen mit seiner starken Veredlungswirtschaft hat einen grünen Landwirtschaftsminister bekommen. Agrarstaatssekretär Horst Schörshusen erklärte den erweiterten Blick des Ministeriums. Da gehe es nicht mehr nur um die Landwirtschaft, sondern um die Entwicklung der ländlichen Räume und die Erhaltung der bäuerlichen Betriebsstrukturen. Es gehe nicht um eine Wende rückwärts, sondern um neue Chancen. Was heute noch als Hindernis erscheint, kann den Betrieben morgen bereits neue Einkommen generieren. Den Handel bezieht er in seine Betrachtungen mit ein: „Materialschlachten“ wie der derzeitige Kampfpreis von Eiern müssten auch auf ihre Wirkung auf die Verbraucher hin betrachtet werden. „Darf man dem Handel solche Freiheiten gewähren lassen?“, fragte Schörshusen.

„Neues Made in Germany“

Die Landwirtschaft müsse ihre Grenzen erkennen. Die Wasserrahmenrichtlinie der EU oder zukünftige Tierhaltungsanlagen werden die Produktion in ihre natürlichen Grenzen weisen. Wenn Deutschland die Ziele verfehlt, dann gebe es teure Vertragsverletzungsverfahren, so Schörshusen.
Diese Erkenntnis kostet Aufwand. Max Schön, Geschäftsführer eines Stahlwerkes und Präsident des Club of Rome Deutschland, prognostiziert, dass vor allem der Westen Einkommen und Souveränität lernen müsse abzugeben, was bekanntermaßen auf Widerstand der „potenziellen Verlierer“ trifft. Zwei Milliarden Menschen kommen bis 2050 noch neu auf den Planeten hinzu. Wenn die Industrieländer nicht wollten, dass die Menschen dorthin gehen, wo der Wohlstand ist, dann muss der Wohlstand dorthin gebracht werden, wo er noch fehlt. Max Schön hält die Grenzzäune zwischen Nordafrika und den spanischen Enklaven im Maghreb für genauso schändlich wie die Zäune zwischen den beiden Deutschlands, zwischen Palästina und Israel oder den beiden Koreas. Das sei keine Lösung. Nachhaltigkeit ist die Brücke zwischen den Menschen. Schon alleine wegen der wachsenden Bevölkerung „müssen wir wachsen wie blöd“, so Schön. „Aber eben anders!“. Wirtschaften in Kreislausystemen werde der neue Anstoß für globales Wachstum sein und Deutschland könne mit einem „Neuen Made in Germany“ die Vorreiterrolle übernehmen. Mit Blick auf die Landwirtschaft warnt er die Akteure: Marktmechanismen funktionieren nicht, wo es keinen Markt gibt!“. Würde jeder Einzelne und jedes Unternehmen jährlich nur ein Prozent des Umsatzes in neue Technik stecken, dann sind die Nachhaltigkeitsziele in überschaubarer Zeit erreicht.

Jeder steht unter anderem Druck

Das Wissen über die Nachhaltigkeit ist nach Ansicht von Bio-Milchbäuerin Marijke Schröder vorhanden – aber nicht, wie die Ziele umgesetzt werden können. Vor allem den Jungbauern fehle Zugang zu Boden und Kapital. Gleichzeitig müssen sich die Bauern in einem Wettbewerb bewähren. Volker Roseler hat es da etwas einfacher. Er leitet den Einkauf im Studentenwerk Oldenburg. Obst und Gemüse wird überwiegend aus der Region bezogen, Fleisch kommt zu einem Drittel von Neuland-Betrieben und der Fisch trägt ein Nachhaltigkeitssiegel. Er kann sich auf die Kunden verlassen und daran orientieren. In einem neuen Projekt wird er zweigleisig eine konventionelle und eine nachhaltig erzeugte Milch anbieten. Der Kunde stimmt durch seine Nachfrage ab, welche Milch künftig allein angeboten wird.

Schwerer haben es Akteure, die nahe an der Erzeugungsstufe sind. Die Zeit für Höchstleistungstiere neige sich dem Ende entgegen, prognostiziert Dr. Thomas Grupp, Geschäftsführer der Bayer-Genetik GmbH. Bei den Milchkühen kommt das Zweinutzungsrind wieder. Das Fleckvieh kann weltweit in nahezu jedem Produktionsverfahren Milch und Fleisch erzeugen. „Gesundheit“, „Lebensleistung“ und „Fitness“ werden als Zuchtmerkmal Einzug in die Züchtung halten. Ein Wandel braucht aber seine Zeit. In der Vergangenheit hat die Politik auf Effizienz und Mehrproduktion gesetzt. „Selbstverständlich müssen wir umdenken“, so Dr. Grupp – aber das dauert und die Bauern dürfen dabei ihre Existenzgrundlage nicht verlieren.

Auch von Busse weist auf den Wandel hin, der bereits begonnen habe. Mit Precision Farming werden Ressourcen effizient genutzt und bei der Bodenbearbeitung steht Erosionsschutz auch mit neuen Techniken, wie dem Strip Till im Vordergrund.

Charlotte Ruschulte, Bürgermeisterin in Ohne im Landkreis Bentheim bescheinigt den Verbrauchern das Wissen und Wollen eines Wandels in Richtung Nachhaltigkeit. Aber mit einer deutlichen Einschränkung: „Alles darf, aber nicht vor der eigenen Haustür!“ Selbst in den Dörfern halte sich die Idylle von den kleinen Betrieben. Heute wisse niemand mehr, was hinter den geschlossenen Ställen passiere. Die riesigen Traktoren sind ein Symbol für eine neue Dimension einer „gefühlten Bedrohung“. Die Akzeptanz der Verbraucher werde neben Boden, Arbeit und Kapital zum vierten Produktionsfaktor.

Roland Krieg

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