"Wir verspielen nicht die Chancen"
Landwirtschaft
Seehofer stellt die Eckpunkte des Gentechnikgesetzes vor
Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer hat heute Nachmittag in Berlin die Eckpunkte zur weiteren Novellierung des Gentechnikgesetzes vorgestellt, von dem er hofft, dass sie im weiteren Verlauf des Jahres zum Gesetz würden. Die heute im Kabinett getroffene Entscheidung der Koalition ist eine Folge des Koalitionsvertrages zur Weiterentwicklung von Forschung und Entwicklung.
Eckpunkte für die Forschung?
In der Tat liegen die Schwerpunkte der Novelle im Forschungsbereich. „Ich will nicht, dass in zehn oder fünfzehn Jahren Chinesen oder Inder meine heutigen Fragen beantworten“, resümierte Seehofer. Nirgends in Europa gäbe es bessere Forschungsbedingungen und während hingegen Verbraucher der Gentechnik äußerst skeptisch gegenüber stehen, suchen Forschungseinrichtungen und Pflanzenzuchtunternehmen Zukunftsmärkte durch gentechnisch veränderte Pflanzen. Künftigen Herausforderungen resultierten aus veränderten Klimabedingungen, so dass Pflanzen mit Kälte oder Trockenheit besser umgehen müssten, nachwachsende Rohstoffe müssten wirtschaftlich effektiver genutzt werden können und die pharmazeutische Industrie wollen günstige Proteine vom Feld. So gilt der erste Punkt des Papiers der Forschung: „Die globale Entwicklung schreitet voran, unabhängig davon, ob in Deutschland Entwicklungsforschung betrieben wird oder nicht. Deutschlands Stärke liegt in der Innovation. ... Deshalb sollte Deutschland sich nicht aus der Entwicklung neuer gentechnisch veränderter Pflanzen zurückziehen und diesen Wachstumsbereich anderen überlassen.“ Betreiber von gentechnischen Anlagen brauchen keine Anmeldung mehr, sondern können gleich nach der Anzeige, dass sie eine betreiben, mit der Arbeit beginnen.
GVO wirtschaftlich unbedeutend
So sehr „das behutsame und sensible Papier“ (Seehofer) auf die Freiheit von Forschung und das Wissenschaftsverständnis eingeht, so unklar hinterlassen die „pragmatischen“ Festlegungen die Praxis. Auf nicht einmal 1.000 Hektar wurden im letzten Jahr gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut, was 0,006 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche umfasst – lediglich um gegen ein Schadinsekt resistent zu sein. So räumt auch Seehofer ein, dass die Nützlichkeit der gentechnisch veränderten Pflanzen den Verbrauchern nicht so offenkundig erscheint, wie im Bereich der roten Gentechnik in der Medizin.
Abstand: 150 Meter
Nach Bundeslandwirtschaftsminister Seehofer vorliegenden wissenschaftlichen Arbeiten nimmt der Auskreuzungsgrad nach 50 Meter „rapide ab“. Dieser Abstand ist ihm jedoch zu gering gewesen, so dass er im Kabinett den Abstandswert plus Sicherheitspuffer auf 150 Meter hat festlegen können. Der Erzeuger gentechnisch veränderter Pflanzen muss zudem auf seine Nachbarn zugehen und den Anbau öffentlich machen. Er ist dann auch für getrennte Lagerung, Beförderung, Ernte, den eingesetzten Gegenständen und für den Durchwuchs verantwortlich. Da nur Mais in der gentechnisch veränderten Variante angebaut wird, gilt die Abstandsregelung auch nur für dieses Getreide – für andere Früchte müssen individuelle Regelungen getroffen werden.
Für eine Verbraucherakzeptanz der grünen Gentechnik ist es wenig hilfreich, dass einzelne Mitgliedsländer die Abstandsfrage ganz anders regeln, so lange die EU es erfolgreich vermeidet eine einheitliche Position zu beziehen.
Jeweiliger Stand der Verordnungsentwürfe |
Abstand gegenüber | |
|
Konventionellen Nachbarn |
Ökoanbau / Saatgutvermehrung |
Dänemark |
200 m |
200 m |
Niederlande |
25 m |
250 m (Öko) |
Portugal |
200 m |
300 m (Öko) |
Tschechien |
70 m |
200 m (Öko) |
Lettland |
200 m |
400 m (Öko) |
Luxemburg |
800 m |
800 m |
Polen |
200 m |
300 m (Öko) |
Slowakei |
200 m 1 Reihe Mantelsaat ersetzt 2 m; Minimum 6 Reihen |
300 m (Öko) |
Spanien |
220 m plus 4 Reihen Mantelsaat; genehmigungspflichtig sind Nachbarfrüchte mit versetzten Blütezeiten, dann 0 m |
300 m (Saat) |
Ungarn |
400 – 800 m je nach Lage |
400 – 800 m je nach Lage |
Q: BMELV |
Für das BMELV sind einige dieser Werte „Phantasiewerte“, die spätestens dann keinen Bestand mehr hätten, legte die EU eine einheitliche Größe fest. Mit den 150 Metern wähnt sich Seehofer auf der sicheren Seite.
Aber trotzdem ist dieser Wert nur so fest wie ein Kuhschwanz: Bei den kleinstrukturierten Flächen in Süddeutschland sind 150 Meter Sicherheitsabstand rund um das Feld unpraktikabel. Was nach dem Abstimmungsaufwand eines anbauwilligen Bauern zur Sicherung des dörflichen Friedens noch an wirtschaftlicher Fläche übrig bleibt, wird den Anbau möglicherweise vollkommen unattraktiv machen. Hingegen locken die großen Flächen Nordostdeutschlands, räumte Seehofer ein.
Keine Last den Steuerzahlern
Wenn die Auskreuzung denn einmal passiert ist, räumt der Handel wieder die Regale leer, bleiben Ökobauern auf ihren Ernten sitzen und jeder sucht den Schuldigen. Vom Tisch sind Versicherungslösungen. Die werden sich auch in Zukunft nicht ergeben, fasst Seehofer seine Gespräche mit der Versicherungswirtschaft zusammen. Auch, so dass Eckpunktepapier: „Ein von den Wirtschaftsbeteiligten getragener Ausgleichsfonds wird von den Pflanzenzucht- und Biotechnologieunternehmen allerdings abgelehnt.“ Die Wirtschaftsverbände sollen stattdessen eine Selbstverpflichtung anstreben, die Bauern von den Haftungsrisiken zu entlastet. Es bleibt also bei der aktuellen gesamtschuldnerischen Haftung, weswegen beispielsweise der Deutsche Bauernverband den Bauern vom Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen abrät. Seehofer weiß nur eins: Der Bund wird nicht mit Steuergeldern für Auskreuzungsschäden aufkommen.
Besonders erwähnt werden Imker: „Imker haften nicht für Einträge von gentechnisch veränderten Pollen in konventionelle oder ökologische Kulturen, da sich der Flug der Honigbienen nicht kontrollieren lässt.“
Reaktionen:
Der Bund für Umweltschutz und Naturschutz Deutschland (BUND) sieht Seehofers Gentechnikpläne als Verrat an Landwirten, Lebensmittelherstellern und Verbrauchern an. Das vorgelegte Eckpunktepapier sei „die Vorstufe für ein „Gentechnik-Durchmarsch-Gesetz“. Würde der Plan realisiert werden, Entschädigungen erst oberhalb der Verunreinigungsschwelle von 0,9 Prozent zu gewähren „würde die Grundkontamination der Nahrungskette zur Regel und der Großteil der Haftungsfälle in Zukunft nicht mehr entschädigt.“ Als Vorbild nennt Heike Moldenhauer, Gentechnikexpertin des BUND die Steiermark. Dort wird ab 0,1 Prozent Kontamination bereits entschädigt.
Das Eckpunktepapier regelt auch nicht, wer die Kosten für zusätzliche Proben auf gentechnische Spuren zu tragen hat. Dazu bezieht der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) Stellung: „Wer Kosten verursacht, muss sie auch tragen. Die Labor-Überprüfung, um dies festzustellen, ist so teuer, dass sie einen erheblichen Teil des Gewinns aufzehrt.“ Der BÖLW fordert ein „Auskreuzungsmonitoring“, bei dem der Betrieb mit gentechnisch veränderten Pflanzen Kontaminationen in einem definierten Bereich um ihre Felder überwacht.
In wenigen Monaten soll das Parlament das Papier beraten.
Roland Krieg