Wird die Eiche zum Problembaum?
Landwirtschaft
Die Zukunft der Eichenwirtschaft – nicht nur in Brandenburg
Seit mehr als einer Woche hören die Berliner Reisenden
in Richtung Dresden und Hannover, dass die Autobahnen A9 und A2 mehrmals am Tag
für rund 15 Minuten voll gesperrt werden. Grund: Hubschrauber überfliegen die
Brandenburger Forsten und bekämpfen den Eichenprozessionsspinner. Zunächst
lautete die Meldung, dass „Gift“ versprüht wird, nach Pfingsten waren es
Chemikalien und heute haben die Radiosender auf „Pflanzenschutzmittel“
umgeschwenkt. Ein Lernprozess, der die Eiche den Bürgern einmal auf eine andere
Weise näher bringt, als es die Assoziation „deutscher Charakterbaum“
normalerweise vermag. Das liegt auch an den Brennhaaren der Raupen, die
Hautirritationen und allergische Schocks bei Menschen auslösen können. Mensch und
Eiche sind gleich betroffen, was den Blick in den Eichenwald schärft.
Das ist nötig, denn die Eiche ist in Not geraten. Der
Waldzustandsbericht 2012 Berlin-Brandenburg weist Trauben- und Stieleichen
schon im Vorjahr als Bäume mit den höchsten Kronenverlichtungen aus. Nach dem
Rekordsommer stiegen die Schäden bei 45 Prozent der Eichen deutlich hervor.
Aktuell sind nur noch zehn Prozent der Eichen ohne Schäden.
Schadstufenentwicklung der Eichen 1991 bis
2012. Gesunde Bäume (grün), geringe Schäden (gelb) sowie starke Schädigungen
und tote Bäume (3 und 4, rot); Waldzustandsbericht 2012 der Länder Brandenburg
und Berlin; MIL
Zeit für eine Fachtagung des Landesbetriebes Forst Brandenburg (LFB) und des Brandenburgischen Forstvereins (BFV) im Landeskompetenzzentrum Forst Brandenburg in Eberswalde (LFE) am Donnertag.
Alte und neue Eichen
Eigentlich ist die Zeit für Eichen um. Nach Dr. Ralf
Kätzel vom LFE hatte die Eiche ihre Hochzeit vor rund 7.000 Jahren gehabt. Seit
4.000 Jahren wird sie zunehmend von der Buche verdrängt. Die Eiche ist ein
typischer Übergangsbaum, der Nadelhölzern folgt und von Schattenbäumen wie
Buche, Hainbuche und Linde wieder verdrängt wird, ergänzt Dr. Sven Wagner von
der TU Dresden. In Brandenburg allerdings könnte die Eiche auch ein
Abschlussbaumn der Sukzession werden, wie die Forstleute die natürliche
Waldentwicklung bezeichnen.
Seit dem 5. Jahrhundert haben die Menschen die Eichen
als Mastbaum genutzt. Die Eichelmast hat den Menschen zu Fleisch verholfen.
Damals mussten die Eichen nicht hoch, sondern mit einer breiten Krone versehen
sein. Erst dadurch hat der Baum viele Früchte gebildet, mit denen sich die
Schweinen in der Waldweide selbst gemästet haben. Hochstämmige Eichen wurden
erst später für die Nutzung von Bauholz interessant, führte Dr. Falk Stähr
(LFE) aus. Das Holz musste eine hohe Festigkeit aufweisen. In der
Forstwirtschaft des 18. und 19. Jahrhunderts war weniger die einzelne Eiche von
Bedeutung als mehr der Eichenwald, der als Vorratsbestand angelegt wurde. Über
die Jahrhunderte hinweg hat die veränderte Nutzung das Erscheinungsbild der
Eiche mit verändert.
Im 17. Jahrhundert musste nach einem Erlass der
Bräutigam vor der Trauung nachweisen, dass der jeweils sechs junge Obstbäume
und Eichen angepflanzt habe. Erst Friedrich II hob die Verpflichtung zu
Bräutigamsbäumen wieder auf. Das Edikt entsprang der Sorge um die Eiche. Im
deutschen Wald sank deren Anteil von 60 auf 15 Prozent bis 1750 herab, erklärte
Birgit Korth aus dem Brandenburger Landwirtschaftsministerium.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Holzbedarf in
Ostdeutschland rund 550.000 Kahlschlagsfläche hinterlassen, was ab 1948 zu
Aufforstungen mit Nadelhölzern mit fünf Prozent Eichen geführt hat. Dieses
Erscheinungsbild in Ostdeutschland hat sich bis heute kaum verändert.
Die besonderen Seiten der Eiche
Die Eiche hat viele Vorteile. Sie erhöht die
Humusproduktion im Wald, dient der Bodenbildung, beherbergt räuberische
Insekten, die den Schmetterling Nonne von Kiefern und Fichten fernhalten kann
und hat zusammen mit den Hähern eine optimale Strategie zur Naturverjüngung
herausgearbeitet. Zudem sind einzelne Bäume oder kleine Bestände im
Nadelholzwald für Besucher äußerst attraktiv, erklärt Dr. Wagner. Die Eiche hat
Zukunft für die Wertholzproduktion und die Anpassung der Wälder an den
Klimawandel.
Doch die Eiche ist äußerst sensibel geworden. Der Kampf
gegen den Eichenprozessionsspinner ist nur ein Teil eines Komplexes, der den
Eichen auf die Rinde rückt. In Deutschland und Europa seit den 1980er und in
Ostdeutschland seit den 1990er Jahren nimmt das „Eichensterben“ dramatisch zu.
Neu ist es nicht, wie ausführliche Studien am Standort Eberswalde bereits zu
Beginn des 20. Jahrhunderts belegen. Aber, so Dr. Kätzel: Die Länge der
Schadensperioden nehmen zu, die Intensitäten der Schäden steigen, die befallene
Fläche wird größer und die Ursachen werden vielfältiger.
Dr. Kätzel unterstreicht, dass Eichensterben nicht
gleich zusetzen ihrem Aussterben ist. Dennoch sind die Zahlen
besorgniserregend: Vor allem die „jüngeren Bäume“ zwischen 50 und 140 Jahre
sind betroffen. Und das in ganz Europa. Werden kritische Vitalitätskennzeichen
erreicht, dann sterben die Bäume innerhalb der nächsten vier Jahre ab. Darunter
zählt der Blattverlust von mehr als 70 Prozent, das Absinken des
Feinwurzelanteils auf unter 40 Prozent und ein Totastanteil von mehr als 40
Prozent.
Die Eiche ist gegenüber dem Bündel an Schadereignissen
so sensibel, weil sie so besonders ist. In ihrem Stamm trägt sie ein
ringporiges Wasserleitungssystem mit durchmesserstarken Tracheen. Damit kann
sie innerhalb einer Stunde Wasser bis auf 30 Meter Höhe saugen. Die Buche
schafft in dieser Zeit nur zu drei Meter. Kommt es bei der Eiche aber zu einer
„Gasembolie“ bricht das Versorgungssystem zusammen.
Die Eiche passt im Alter ihre Kronenarchitektur dem
Licht an, fällt aber gegenüber der Buche bei Blattmasse und Chlorophyllgehalt
zurück. Die Blätter weisen weniger Phenole auf, die andere Bäume vor Fraßinsekten
schützen. In der Summe muss der Baum für den Winter einen Stärkevorrat
aufbauen, während Buche und Kiefer „von der Hand in den Mund“ leben können, so
Kätzel.
Daraus ergibt sich das Bild, dass anfällige Bäume wegen
mangelnder Blattmasse zu wenig Reserven aufbauen können. Treffen
krankheitsauslösende Faktoren auf solch anfällige Bäume, dann sind die Insekten
nur noch „die Vollstrecker“ der Eichen.
Die Förster sind gefragt
Die Forstverwaltungen müssen zwischen kurzfristigen und
langfristigen Maßnahmen unterscheiden. Das Besprühen der Eichen vom
Hubschrauber aus, ist die wirksamste Methode, beschreibt Dr. Kathrin Möller vom
LFE das Mittel der Wahl. Eine Einzelbaumbehandlung mit einem großen Absauger
ist den Kommunen genauso zu teuer wie eine Bekämpfung vom Boden aus. Das
Mittel, das nicht nur in Brandenburg versprüht wird, ist das zugelassene
ökologische Bekämpfungsmittel Dipel ES. Naturschutzverbände kritisieren den
Einsatz, weil es ihrer Meinung doch nicht selektiv wirke und großflächig
ausgebreitet werde. Doch, so Dr. Möller, ausgerechnet gegen den Eichenprozessionsspinner
haben sich die bisherigen Waldnützlinge noch nicht als Gegenspieler etabliert.
Dem Besprühen ist ein umfangreiches Monitoring
vorgeschaltet. Im Sommer werden die Fraßschäden kartiert, im Winter die
Eigelege der Eichenprozessionsspinner gezählt. Im Herbst haben die Förster auch
schon die Eigelege der Schwarmspinner gezählt. Solche Maßnahmen stoßen auf
finanzielle und personelle Engpässe kritisiert Dr. Möller.
Vor allem müssen Förster auf vitale Eichen setzen. Das
fängt bei zertifiziertem Saatgut an und geht jahrzehntelang mit richtigem
Durchforsten weiter. Die Eiche ist besonders anspruchsvoll. Dr. Matthias Noack
(LFE) konnte anhand von Versuchen zeigen, dass eine Standortoptimierung die
Produktivität und Vitalität der einzelnen Bäume steigern kann. Dazu gehört die
Möglichkeit der Eichen, große Kronen zu bilden. Das bedeute geringeren
Laubverlust.
In den letzten Jahren hat eine neue Pflanztechnik
Furore gemacht. Die „Trupp“pflanzung. Dabei werden einige Eichen in Nadelwälder
nesterweise eingesetzt. So zählen die Eichen zwischen 1.100 und 5.000 Bäume je
Hektar, während ein konventioneller Bestand bis zu 11.000 Bäume aufweist. Die
Eiche wird zu einem Beimischungsbaum im Nadelwald und kann vergleichbare
Holzqualitäten durch gezielte Stammpflege erzielen wie die Buche, erklärt Dr.
Wagner von der TU Dresden.
Eichenwirtschaft ist möglich
Trotz aller Sorgen hält Dr. Stähr eine Eichenwirtschaft
im norddeutschen Tiefland für möglich.
Zwar ist die Brandenburger Sägeindustrie derzeit auf
Nadelholz ausgerichtet, doch nach Antje Maschmann-Fehrensen, Geschäftsführerin
der Holzindustrie Templin, passe sie sich wechselnden Anforderungen der Kunde
an. Eiche sei aber sehr heterogen, so dass die volle Wertschöpfung des Holzes
nur über eine „extreme Sortierung“ ausgenutzt werden kann. Ihr Holz geht in die
Parkett- und Möbelindustrie. Neu auf dem Markt sind Dünnschichtfurniere und
Thermoholz. Bei der Wärmebehandlung der Eiche ändern sich die Eigenschaften.
Das Holz ist formstabiler und dauerhafter gegen Pilze und Insekten.
Nur eines bereite der Chefin des Sägewerkes Sorge: Von
einer Million Hektar Wald in Brandenburg sind fast 700.000 Hektar in
irgendeiner Form von der Nutzung ausgeschlossen oder eingeschränkt. Der
Naturschutz „entmündige“ die Holzindustrie.
Roland Krieg