Wo bleibt das Zweinutzungshuhn?

Landwirtschaft

Grundsätzliche Fragen zum Zweinutzungshuhn noch offen

Vor 150 Jahren legte ein Huhn rund 50 Eier und legte in mehr als 80 Tagen Gewicht bis zu einem Kilogramm zu. Heute legen die Hochleistungstiere mehr als 300 Eier und das Masthühnchen wächst in 34 Tagen bis zu einem Gewicht von zwei Kilogramm heran.
Die Leistungssteigerung ist biologisch begründet, denn Mast- und Legeleistung sind nur sehr gering miteinander korreliert. Daher konnten in den letzten 50 Jahren hoch spezialisierte Zuchtlinien gezüchtet werden, die so extreme Leistungen vollbringen. Der Nachteil: Die männlichen Küken der Legelinien legen keine Eier und taugen nicht für die Mast. Rund 40 Millionen männliche Legehennenküken werden in konventionellen und ökologischen Betrieben vergast oder gemust. Über eine der Lösungen diskutierte am Dienstag Neuland auf der Grünen Woche.

Zurück zum alten Huhn?

Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz favorisiert die in-vivo-Lösung, gab Abteilungsleiter Bernhard Kühnle bekannt. Wissenschaftler suchen nach der Möglichkeit, das Geschlecht eines befruchteten, aber noch nicht bebrüteten Eis auszumachen, um keine männlichen Küken töten zu müssen.
Zwei andere Möglichkeiten bieten sich an: Bei den Legehennen wird die Mauser induziert, so dass sie ein zweites Jahr genutzt werden können. Damit bräuchten die Bauern weniger Tiere und es entstehen weniger männliche Küken, erklärte Inke Drossé vom Tierschutzbund. Oder die männlichen Küken werden mit einer schlechten ökonomischen Rentabilität gemästet und trotzdem vermarktet [1]. Beides hält Drossé für eine Nische.
Seit fünf Jahren versuchen verschiedene Akteure das Zweinutzungshuhn zu züchten, das sowohl ausreichend Eier legt, als auch ausreichend Fleisch ansetzt.

Wunsch und Wirklichkeit

Prof. Dr. Dr. Matthias Gauly, Nutztierwissenschaftler der Universität Göttingen, setzt dem Wunsch schnell Grenzen. Die Herausforderungen für ein Zweinutzungshuhn sind in den Grundzügen viel größer als auf dem ersten Blick erkennbar. Die Lösung werde nicht in einem Zweinutzungshuhn der alten Hühnerrassen liegen, das in Reinzucht weiter optimiert werden könnte. Die Lösung werde eine Einkreuzung alter Rassen in moderne Leistungshybride sein. Aber:

- Es liegen bei den alten Hühnerrassen kaum beschreibende Leitungsparameter wie Legeleistung und Funktionsparameter wie Krankheitstoleranz vor, auf die weitergezüchtet werden kann.

- Es stellt sich die Frage, wer die alten Hühnerrassen erhalten und weiter züchten möchte. Für eine bundesweite Umstellung auf Zweinutzungshühner werde ein zweistelliger Millionenbetrag fällig. Ohne konventionellen Züchter ginge es nicht.

- Es gibt derzeit keine Definition, was ein Zweinutzungshuhn eigentlich ist. Es müssten Grenzwerte der Leistung festgelegt werden, damit es sich von der hybriden Leistungszucht unterscheiden kann.

- Je nach verwendeter Hühnerrasse oder Zuchtlinie entsteht ein unterschiedlicher Anteil zwischen Mast- und Legeleistung. Dadurch entstünden verschiedene Produkte, die möglicherweise auf verschiedenen Märkten abgesetzt werden müssten.

- Ökonomisch könnte es sinnvoll sein, Mast und Eierproduktion wieder auf einen Betrieb zurück zu verlagern, um ökonomische Vorteile zu erzielen.

In der Praxis gibt es aber bereits mehrere Beispiele, wie das Zweinutzungshuhn realisiert werden kann. Steffen Weigend vom Friedrich-Loeffler-Institut stellte das Kollbecksmoor Huhn vor. Das wird speziell vermarktet und entsteht durch die Kreuzung eines Vorwerkhuhns mit einer Legehybriden der Rasse White Rocks. Seit 2005 zeige das Huhn, dass eine schnelle Lösung für ein Zweinutzungshuhn vorhanden ist und Verbraucherwünsche erfüllen kann. Nebenbei bleibt die Rasse Vorwerkhuhn erhalten.

Die Folgen des Zweinutzungshuhns

Lohmann Tierzucht arbeitet mit verschiedenen Betrieben und Organisationen ebenfalls schon länger an dem neuen Lege-Mast-Geflügel. Versuche zeigen, dass Broiler ohne Intensivhaltung in 70 Tagen rund 3,8 Kilo Mastendgewicht auf die Waage bringen. Das Zweinutzungshuhn schafft 2,9 Kilo. Optimiert würden beide nach etwa 50 Tagen und bei Endgewichten von 3,2 und 2,1 Kilo geschlachtet, erläuterte Prof. Dr. Rudolf Preisinger.
Die Schlachtausbeute liegt beim Zweinutzungshuhn mit 67 Prozent ganze vier Prozentpunkte über dem konventionellen Broiler. Aber das Verhältnis von Brust zu Keule verschiebt sich. Das Zweinutzungshuhn erzeugt weniger Brustfleisch, dafür mehr Keule. Das entspreche nicht den deutschen, aber den japanischen Verbrauchergewohnheiten, so Preisinger. Folge: Die Verbraucher müssten sich auf neue Produkte einstellen.
Einen größeren Nachteil erfahren jedoch die Betriebe. Die konventionellen Legehühner brauchen rund 133 Gramm Futter pro Ei. Die Zweinutzungshühner hingegen 204 Gramm, was einer Erhöhung des betrieblichen Futterverbrauchs von 50 Prozent bedeutet.

Wer kauft das Produkt?

Nicht nur Forschung und Praxis haben Hürden zu überwinden. Auch die Vermarktung muss neu ausgerichtet werden. Toni Hubmann aus der Steiermark hat Wege gefunden, Verbraucher für „Die besten Eier unter der Sonne“ zu begeistern und mit dem Motto „Willkommen Jungs“, die Kunden auf pfiffige Art anzusprechen. Bei einem Preis von 3,50 Euro für sechs Eier und 20 Euro je Kilogramm Geflügelfleisch sind die Produkte auch dringend erklärungsbedürftig. Möglicherweise, so Hubmann, müssten die Eier das Fleisch subventionieren.
In den erfolgreichen Supermärkten gehen nach Hubmanns Auskunft aber 60 Packungen Eier in der Woche weg und die Gastronomie entdeckt das Spezialitätenfleisch. Der „90 Tage alte Hahn“ wird als Qualitätsmerkmal vermarktet und findet seine Abnehmer. Wer 240 Eier gegessen hat, der darf sich dann auch einen Festtagsbraten gönnen, so Hubmann.
Dahinter steckt der Wandel des Verbrauchers in der Einstellung zu seinen Lebensmitteln: Weniger, aber mit mehr Qualität im Einklang mit dem Tierschutz.
Die pfiffigen Sprüche helfen, die Barriere für dieses sperrige Thema gegenüber dem Verbraucher abzubauen. Auch die Verpackung macht´s: Weil das Masthähnchen keine „Model-Maße“ aufweist, wird noch eine Jutetasche und Schleife als äußere Hülle verwendet: Hier verbirgt sich ein lohnender Schatz!
Das ist nicht unwichtig. Ein Fazit von Dr. Preisinger lautet: Das Projekt Zweinutzungshuhn wird nicht an fehlenden Alternativen scheitern, sondern eher an mangelnder Rentabilität. Das Zweinutzungshuhn braucht die Konsumenten.

Lesestoff:

[1] Legeschwestern und Mastbrüder auf dem Bauckhof

Roland Krieg

[Sie können sich alle Artikel über die diesjährige Grüne Woche mit dem Suchbegriff „IGW-13“ im Archiv anzeigenlassen]

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