„Wo Streit ist, ist Hunger“
Landwirtschaft
Brot braucht der Mensch, solange die Welt besteht

Am 09. November besucht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Mauer-Gedenkstätte Bernauer Straße. Auf seinem Weg zur Kapelle der Versöhnung geht er zusammen mit den Präsidenten der Visegrad-Länder [1] durch das Roggenfeld des Vereins FriedensBrot [2]. Drei der vier Visegrad-Präsidenten haben mittlerweile eine skeptische Haltung gegenüber der EU eingenommen.
Unruhige Zeiten brauchen Besinnlichkeit
Prof. Dr. Axel Klausmeier hofft, dass der Termin den Zweiflern Ansporn für eine Reflexion über die errungene Wertegemeinschaft der EU verleiht. Der Direktor der Gedenkstätte Berliner Mauer richtete vergangene Woche auf dem 5. Forum FriedensBrot den Blick auch auf die türkische Invasion in Syrien, die mittlerweile mehr als 180.000 Menschen in die Flucht getrieben hat. Mit unsicherer Perspektive und Ernährungsunsicherheit.

Der Brückenschlag zwischen dem Friedensprojekt der EU nach dem Zweiten Weltkrieg und aktuellen politischen Geschehnissen kommt nicht von ungefähr. Die Zahl der Hungernden steigt dort, wo Krisen und Bürgerkrieg herrschen. Der niederländische Agrardiplomat Peter Vermeij berichtet aus den Niederlanden von dem Projekt „From Arms to Farms“ in den Philippinen. „Wo Streit ist, ist Hunger“, sagte Vermeij. Das Projekt hat bislang mehr als 600 ehemalige Moro-Kämpfer zu Landwirtschaftspädagogen ausgebildet und die Armut in den Projektgebieten um 40 Prozent reduziert [3]. Das Modell in der philippinischen Provinz Kauswagan hat mehrere Preise für seine Aufgaben der Bildung und Integration erhalten.
Eine gute Agrarpolitik kann den Frieden sichern. Eine schlechte Agrarpolitik allerdings zum Gegenteil führen, warnt Vermeij. Vor dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs hat es mehrere Dürren im Land gegeben und die Regierung strich 2007 die Subventionen für die Landwirtschaft. Die Ungleichheit in der Nahrungsmittelversorgung stieg und gilt als einer der Auslöser für den Bürgerkrieg [4].
Vor dem Hintergrund der mittlerweile in mehreren Ländern wie den Niederlanden, Frankreich und Deutschland laufenden Bauernprotesten sollten Gesellschaft und Politik im Gegeneinander für verschiedene Landwirtschaften einmal inne halten.
„Keiner bäckt sein Brot allein“

Bauer Gerd Sonnleitner, heute Ehrenpräsident des Deutschen Bauernverbandes, und Michael Wippler, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerkes, blickten auf dem Forum FriedensBrot auf ihre beruflichen Anfänge und die aktuellen Herausforderungen ihrer Branchen zurück. „Keiner bäckt sein Brot allein“, lautete ein Zwischenfazit des Bäckers.
Schon 1981 hatte Wippler die Dresdner Bäckerei von seinem Vater übernommen. Die DDR hatte zwar auch die Brotproduktion industrialisiert. Doch für die Versorgung der Bevölkerung durften Bäcker mit weniger als zehn Angestellten private Unternehmen führen. Die Entscheidung wurde auf dem Parteitag 1976 erneut fortgeschrieben. Dafür mussten die Bäcker 96 Prozent Spitzensteuersatz zahlen. Bekamen aber Brotprämien. Der festgesetzte Verkaufspreis von 1,04 Mark für vier Pfund Brot reichte nicht, um die Rohstoffkosten zu decken.
Schon im Januar planten vor allem die Dresdner Bäcker ihre Weihnachtsstollen. Rosinen und Zitronat waren Mangelware, aber wichtiger Bestandteil des Dresdner Christstollens. Wippler kaufte in den Konsum-Läden alle nicht verkauften Rosinen-Packungen auf und hortete sie bis zum Weihnachtsgeschäft. Der eine oder andere Kasten Radeberger wurde als Zahlungsmittel bei einer Firma eingesetzt, die Zitronat herstellte. Nachts, wenn die Straßen leer waren.
Das echte Zitronat für seine Kunden war Bäcker-Ehrensache. Die Staatsführung hatte in der Mangelwirtschaft grüne Tomatenstückchen karamelisiert und als Zitronat-Ersatz angeboten. Solche Geschichten haben Bäcker Wippler über die Krise der Wiedervereinigung geholfen. Nach der Wende galten alle Westprodukte mit verlockenden Verpackungen bei den Kunden als „ungeprüft besser“. Selbst die Dresdner kauften lieber verpacktes Westbrot von „der Tanke“ als das handwerkliche Brot aus dem eigenen Viertel. Da hat sich heute geändert, weil die Geschmackserfahrung die Kunden eines besseren belehrt. Die Kunden kamen wieder, wie auch im Allgemeinen der Trend zu handwerklicher Erzeugung absehbar ist.
Weltweite Brotkultur

Auch Gerd Sonnleitner hat 1981 den Hof des Vaters in der Nähe von Passau übernommen. Der Betrieb ist seit dem 13. Jahrhundert in Familienbesitz. Passau besaß in der Geschichte eine wichtige Zollstation für die Salzhändler aus dem Salzkammergut auf ihrem Weg nach Böhmen. Die Zollstation auf anderen Wegen zu umgehen war mit der Todesstrafe belegt. Der Hof Sonnleitners nahm nach dem Zweiten Weltkrieg Flüchtlinge aus dem Osten auf, die dem jungen Gerd Abwechslung und viele Geschichten bereit hielten. Einige mussten ihren Familienbetrieb innerhalb von zwei Stunden verlassen und konnten nur das Wichtigste mitnehmen. Die Geschichte und seine Jugend haben Sonnleitern geprägt. Handel darf nicht kleinteilig sein und kann zum Frieden beitragen. Zum anderen hat er aus eigener Erfahrung den Familienbetrieb als solchen schätzen gelernt. Beide Erfahrungen haben ihm später als deutscher und europäischer Bauernpräsident als Leitbild gedient. Die Landwirte stellen mit Getreide weltweit den Rohstoff her, den Bäcker für die Bevölkerung aufbereiten. „In allen Kulturen der Welt gibt es eine Brotkultur“, unterstrich Sonnleitner.
Gemeinsame Rahmenbedingungen

Nach der Wende war die Landesinnung der Bäcker sofort bereit in den Gesamtverband überzugehen. Auch die Landesbauernverbände stellten sich gegen verschiedene Interessensvertretungen und schlüpften mit der Warberger Erklärung unter das Dach des DBV [5]. Die „neue Zeit“ stellt beide Branchen heute vor Herausforderungen.
Dem Preisdruck der Industriebäckereien können die handwerklichen Betriebe nur den besseren Geschmack gegenüberstellen. Die kleinen Betriebe müssen die gleichen strengen Auflagen erfüllen, wie ein Großbetrieb, der gefrostete Teiglinge quer durch Europa zur Aufbackstation fährt. Diese Firmen können zudem eine Befreiung von der EEG-Umlage beantragen und günstiger produzieren. Außerdem gibt es Nachwuchsprobleme. Wipplers Sohn hat die Bäckerei übernommen, seine Tochter ergänzt die Firma als Konditormeisterin. Aber frühes Aufstehen ist vor allem bei Stadtkindern nur wenig verlockend, in das handwerkliche Backen einzusteigen. Sie bevorzugen, die frischen Brötchen um sechs Uhr morgens einzukaufen.

„Dazu braucht Europa Rechtssicherheit, Frieden und eine demokratische Ordnung“, ergänzt Wippler. Für Unternehmer sind diese Parameter wichtig und dann auch für die Gesellschaft. Dresden galt als „Tal der Ahnungslosen“, weil es kein Westfernsehen gab. Wippler bekannte, er habe neidisch auf die Bundesrepublik geblickt, wie stabil das Land trotz aller Krisen wie der RAF und um Westberlin geblieben ist.
Da sollte doch ein Saatkörnchen Vernunft in die Welt gelangen.
Lesestoff:
[1] Im ungarischen Visegrad schlossen sich Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei 1991 für den Integrationsprozess nach Westeuropa zusammen und wurden durch die Teilung in Tschechien und der Slowakei zur V4-Gruppe. Die Aufnahme in die EU im Jahr 2004 sowie in die Nato oder WTO hat bislang nicht zur Auflösung der V4-Gruppe geführt. Bulgarien und Rumänien gehören seit ihrem EU-Beitritt zur Visegrad-Gruppe 4+2 und zusammen mit den drei baltischen Ländern hat sich eine informelle Gruppe der osteuropäischen EU-Länder gegründet, die gemeinsame Interessen vertreten.
[2] Der Verein https://friedensbrot.eu/ hilft, die Trennung nach dem Eisernen Vorhang zu überwinden und stellt den Zusammenhang zwischen nachhaltiger Landwirtschaft und Friedenssicherung her.
[4] Das Saatgut des Friedens: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/das-saatgut-des-friedens.html
[5] Am 15. Juli 1990 einigten sich alle Landwirtschaftsverbände in der so genannten Warberger Erklärung auf eine gemeinsame undunabhängige Interessensvertretung, gleich welcher Rechtsform und Größenordnung. Der Übergang der LPGen zu eingetragenen Genossenschaften und anderen Betriebsformen dürfe nur auf der „freien Entscheidung des Eigentümers“ erfolgen.
Roland Krieg (Mitglied bei FriedensBrot e.V.); Fotos: roRo