Wohlfühlatmosphäre Markt
Landwirtschaft
„Markt Mobil“ in Essen
Zwei Tage lang stand Essen im Mittelpunkt der Wochenmarkt-Experten. In einem neuen Format und alle zwei Jahre traf sich am Sonntag und Montag die Fachwelt zu der Spezialmesse für Wochen-, Weihnachts-, Jahr- und Street-Food-Märkte "Markt Mobil".
Wochenmärkte sind beliebt und es gibt noch immer rund 3.000 Wochenmärkte in ganz Deutschland – aber nicht wenige fristen ein trostloses Dasein. Wenn es sich nicht mehr lohnt, bleiben die Anbieter weg. Die Besucher werden im ländlichen Raum immer älter und die Nutzungsbedingungen inklusive Wasser- und Stromanschluss stellen Anbieter vor bürokratische Hürden.
Der Wochenmarkt in Politik und Realität
Das weiß auch die Politik. Der Bundesverband Deutscher Schausteller und Marktkaufleute e.V. (BSM) hat im Bundestagsausschuss für Tourismus seinen parlamentarischen Ansprechpartner und ist in Brüssel über die World Union of Wholesale Markets an die Politik angebunden. Werner Hammerschmidt ist Hauptgeschäftsführer des BSM und erinnert auf der „Markt Mobil“, dass die Veranstaltung eines Wochenmarktes kommunale Aufgabe der Daseinsvorsorge ist. Dennoch liegen auf dem Weg zum Wochenmarkt 2030 große Steine im Weg. Zuletzt musste der BSM sich gegen die Registrierkassenpflicht auf dem Wochenmarkt wehren [1]. Aktuell sind die Marktbeschicker von Fahrverboten bedroht und fordern Ausnahmen für den Wochenmarktbetrieb. Ausnahmen bei der Sonn- und Feiertagsregelung hat der BSM gerade erst durchgesetzt. Das sind alles keine Selbstverständlichkeiten, betont BSM-Präsident Wilfried Thal. Der Wochenmarkt ist der Politik aus dem Bewusstsein entrückt. Nordrhein-Westfalen hat gerade erst die Nährstoffampel gestrichen, aber die Gebühren für unangemeldete Kontrollen sind noch nicht vom Tisch.
„Wir sind abhängig von positiven Rahmenbedingungen“, sagte Thal. Die Ernährung mit industriellen Speisen und die Verschiebung der Bevölkerung zu älteren Ein-Personen-Haushalten mache sich auf den Wochenmärkten bemerkbar. Trotz aller Beliebtheit sinkt der Umsatz, so Thal. Gegenüber Herd-und-Hof.de kritisiert Thal die Agrarpolitik. Die Marktanbieter sind oftmals Kleinstbetriebe, die von der Erzeugung bis zum Verkauf alles in einer Hand halten und von den Zahlungen benachteiligt werden. Dabei seien es genau die Betriebe, die von den Konsumenten geschätzt werden. Die Dokumentationen für die Erzeugung, Einhaltung fiskalischer Vorschriften für den Wochenmarkt, die Gefahr einer Maut für den regionalen Transport belasteten die Betriebe im Arbeitsumfang eines Nebenerwerbs. Dadurch erklären sich die seit einigen Jahren erstmals auftretenden Leerflächen auf den Märkten.
Die neue Generation
Gerade der Wochenmarkt lebt von Teilnehmern, die auch ein unternehmerisches Risiko eingehen wollen. Die junge Generation erobert mit Food Trucks die Märkte und realisiert viele neue Ideen. Dieser Marktcharakter hat die Zukunft der Wochenmärkte in der Hand. Ideen, Realisierung, Eigenständigkeit und Spaß am Umgang mit Kunden. Die etablierten Märkte werden auch 2030 Konsumenten Regionales, zurück verfolgbare Lebensmittel anbieten und für Überraschungen gut sein. Der Markt wird so lebendig sein, wie der ländliche Raum, der ihn umgibt.
Die Marktversorger
Die Arbeit für den Wochenmarkt darf nicht unterschätzt werden. Dr. Siegbert Panteleit ist Berater für Wochenmärkte und bringt über die SPE Standort- und Projektentwicklung Erzeuger und Konsumenten zusammen. Neben den traditionellen Wochenmärkten hat er in Gelsenkirchen die Feierabendmärkte kreiert. Mit dem „Markt am Dom“ in Gelsenkirchen-Buer richtet er sich speziell an Berufstätige und Familien mit Kindern. Seit 2014 gibt es ihn jeden Donnerstag und er öffnet erst um 16:00 Uhr. Bis 20:00 Uhr können Besucher Produkte lokaler Landwirte kaufen, einfache Gerichte verzehren und Neues testen. Der Markt „Heinrich“ in der City lädt mit Bierzeltgarnituren und Stehtischen zum Verweilen ein.
Panteleit bringt Erzeuger und Verarbeiter zusammen, die kleine Mengen sammeln und Produkte auf den Wochenmarkt bringen. Eine Software regelt den Mengenbedarf. Damit schließt er die Lücke der so genannten „letzten Meile“ bis zum Kunden. Die Erzeuger wirtschaften im Umkreis bis zu 70 Kilometer. Textilhersteller mit Waren aus regionalem Flachs oder regionaler Wolle bedienen den Trend nachhaltiger Textilien.
Food Trucks
Die ersten Food Trucks in Deutschland lebten in den Großstädten den individuellen Trend gestalteter Fahrzeuge und Lebensmittelspezialitäten nach. Mittlerweile hat der Fahrzeugbau den Food Truck entdeckt. Neben Spezialfahrzeugen für Grillhähnchen oder Fisch gibt es Grundbauten für den modernen Aufenthalt auf Wochenmärkten, die individualisiert werden können. Die Anforderungen an Qualität und Funktionsweise der technischen Einrichtung sind hoch und erfordert mehr als einen alten Bus.
Das süße Dessert
Sind es Pralinen? Ist es Kuchen? Gebäck? Die süßen Gourmetträume von Gregor Mallek aus Herne werten jeden Wochenmarkt auf. Vor sieben Jahren begann er mit Mandelleckereien und bezieht jetzt auch Cannoli aus Spanien, Italien und Frankreich. Dort werden die Süßigkeiten in Manufakturen hergestellt und gelangen über Mallek in den ausgesuchten bundesweiten Handel. Seit diesem Jahr sind die Leckereien auch im Portfolio von Slow Food. Carina Kowalsky bringt die Mandel-Krokant-Röllchen aus Sizilien, das Fruchtbrot mit 30 Prozent Walnuss aus Frankreich oder die luftig weichen Pasta Di Mandorla in den Handel, auf Gourmetveranstaltungen und eben auf Wochenmärkten unter.
„Erlebe Deinen Markt“
Gerade der Wochenmarkt bietet Erzeugern die Möglichkeit mit den Kunden in Kontakt zu treten. Den Wochenmarktfans gelten die üppigen Ost- und Gemüseabteilungen als „seelenlos und uniform“. Dort gibt es nur den Mainstream, beklagt Frank Willhausen von der GFI Deutsche Frischemärkte. Wie Erzeuger ihre Kunden ansprechen können zeigte Peter Berndgen von agro-kontakt. Heute zähle bei den Kunden das Bild mehr als tausend Worte. Die Einzigartigkeit, Eindeutigkeit und Konsequenz des Marketings sind die „alten“ Marketingparameter. Heute kommen Menschlichkeit und Interaktivität hinzu. Das Storytelling über die Hintergründe des Produkts ist die Brücke zum Verbraucher und könne heute mühelos über social media und den Wochenmarkt transportiert werden.
Die Briten haben den Niedergang des Wochenmarktes 2012 mit der Aktion „Erlebe Deinen Wochenmarkt“ aufgehalten. Zwei Jahre später hat die World Union of Wholesale Markets die Idee übernommen und die GFI Deutsche Frischemärkte folgte ein Jahr später. Auf dem Markt in Geesthacht wird am Stand der Tanzschule auch getanzt und gefeiert. Unter dem Logo des pinkfarbenen Herzen startete im Mai die jährliche Aktion, die im letzten Jahr speziell die „gesunde Ernährung“ in den Fokus rückte und sich in diesem Jahr um den Nachwuchs mit dem Leitspruch „Generation Frische“ an die Konsumenten wandte. Der Start der europäischen Initiative fand passend zur Messe in diesem Jahr in Essen statt. GFI stellt Werbematerial und Kontakte zur Verfügung. Die Kommunen können das Motto individualisieren und schicken ihre Berichte in das Netzwerk. In diesem Jahr haben in Deutschland 180 Märkte in 35 Regionen teilgenommen. IM nächsten Jahr sind 220 Märkte in 40 Regionen.
Eines hat die Initiative schon geschafft: Den Wochenmarkt stärker in das Bewusstsein der Menschen zu rücken. Übrigens. Die Besucher mit dem weitesten Anreiseweg kamen aus Russland. Vom dortigen Wochenmarktverband.
Lesestoff:
[1] Die Rechnung wird ohne INSIKA gemacht: https://herd-und-hof.de/handel-/die-rechnung-wird-ohne-insika-gemacht.html
Roland Krieg; Fotos: roRo