Woran die Sonder-AMK gescheitert ist
Landwirtschaft
Wissen die Agrarpolitiker um was es geht?
Colette Vogeler arbeitet am Institut für Vergleichende Religionslehre und Politikfeldanalyse der Technischen Universität Braunschweig. Das klingt grundsätzlich agrarfern. Als sie allerdings am Freitag um 14:30 Uhr in der Videotagung der Evangelischen Akademie Loccum in Niedersachsen über die Bearbeitung ökologischer Externalitäten landwirtschaftlicher Produktion im Politischen System sprach, war sie mitten drin. Nicht nur inhaltlich. Zu dem Zeitpunkt saßen die Agrarminister der Bundesländer mit ihrem Gast, Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, ebenfalls per Videokonferenz bei einer Sondersitzung der Agrarministerkonferenz (AMK) zusammen. Sie wollten die Eckpfeiler für den Nationalen Strategieplan festklopfen, der bis Ende Juni aus 16 Einzelwünschen geformt, rechtlich begleitet und nach Brüssel übersandt sein sollte. Diese Grundlage muss die Kommission 2022 notifizieren, damit die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) am 01. Januar 2023 in Deutschland starten kann. Über die GAP laufen parallel noch Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Europaparlament in den so genannten Trilogen. Auf der Kommissionsbasis von 2018 haben Rat und Parlament ihre Grundsatzpapiere im vergangenen Jahr verabschiedet, der Agrarhaushalt steht ebenfalls.
Sektorales Denken
Doch zehn Stunden später ging die AMK im Wesentlichen einigungslos auseinander und bis Mitternacht stritten die Vertreter vor der Presse noch immer miteinander. Dr. Vogeler hatte in ihrem Vortrag das Ergebnis akademisch vorweggenommen. Lange Zeit waren die traditionellen Ziele der Landwirtschaft unbestritten: Ernährungssicherung, Einkommenssicherung der Landwirte und günstige Lebensmittel stehen seit Jahrzehnten auf der Agenda ganz oben. Seit einigen Jahren haben dort neue Ziele Platz gefunden: Ökologische Nachhaltigkeit, Erhaltung der Biodiversität und Tierwohl. Seitdem muss die Politik die traditionellen und neuen Ziele kombinieren, was „nicht konfliktfrei“ geschieht, so Vogeler. Es gibt auch Zielkonflikte, die aufgelöst werden müssen. So stößt das Ziel Auslauf in der Nutztierhaltung mehr Emissionen als die Haltung in einem geschlossenen Stallsystem aus. Wie Flächenstilllegung für hohe Biodiversitätsziele mit der öffentlichen Leistung Ernährungssicherheit verbunden werden kann, darüber arbeitet die Wissenschaft mit verschiedenen Pilotmodellen.
Mittlerweile geht es aber kaum mehr um einen politischen Diskurs, sondern um Maximalziele, bei denen die Akteure aneinander vorbeireden. Die Analyse von Vogeler zeigt, dass die Polarisierung in zwei verschiedene Lager „Umwelt“ und „Agrar“ geteilt sind und, verstärkt durch den Ressortzuschnitt in der Landes- und Bundespolitik, dem sektoralen Denken und die sektorale Bearbeitung wegen der komplexen Realität der Vorzug gegeben wird. Sie hat am Beispiel „Nitrateinträge in Wasser“ die Akteure in einer Grafik aufgelistet und konnte zeigen, dass bis auf ganz wenige „Broker“, die „Umweltexperten“ und die „Agrarexperten“ komplett ohne Überschneidung aneinander vorbeidiskutieren. Das aber ist kein deutsches Problem. Ihre Analyse weist das auch im Brüsseler Europaparlament und in den USA nach.
Das Ergebnis der Sonder-AMK belegte ein paar Stunden später, wie Recht die Wissenschaftlerin hat. Gegen 21:30 Uhr meldete sich Julia Klöckner noch einigermaßen positiv auf Twitter. Die Einigung über den nationalen Strategieplan sei weniger ein Problem der Parteifarbe, als mehr der unterschiedlichen Agrarstrukturen in den Bundesländern. Die Minister aber zeigten, wie tief die Gräben nach zehn Stunden Topfschlagen in der AMK wirklich sind.
Enttäuschung auf allen Seiten
Die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) zeigte sich nach der langen Videositzung enttäuscht. Gerade die grünen Ministerien hätten eine „Politik für kleine Strukturen und bäuerliche Höfe blockiert“. Bayern wollte höhere Gelder für die ersten Hektare durchsetzen. Till Backhaus (SPD, Mecklenburg-Vorpommern): „Die Konferenz zur Gemeinsamen Agrarpolitik der Länder hatte sich zum Ziel gesetzt, einen Beschluss darüber zu fassen, wie die Landwirtschaftspolitik und die Entwicklung der ländlichen Räume künftig deutschlandweit gestaltet werden soll. Am Ende wurden die strittigen offenen Punkte in die Runde der Staatssekretäre verwiesen.“
Brandenburger Minister Axel Vogel (Bündnis 90/Die Grünen): „Vorschnelle nationale Entscheidungen, vor Kenntnis des europäischen Rechtsrahmens, bringen weder die von uns allen gewünschte Planungssicherheit für die Landwirtschaft noch eine nennenswerte Beschleunigung der verwaltungstechnischen Abläufe. Jede Entscheidung über die Anwendung einzelner GAP-Instrumente, wie die von den CDU-Ländern geforderte massive Umverteilung zugunsten kleinerer Betriebe, insbesondere aber die voreilige Festlegung von Prozentsätzen - ohne das Vorliegen von Modellberechnungen - , war mit uns nicht zu machen, da jede Entscheidung unmittelbare Auswirkungen auf die Verteilung der EU-Mittel zwischen den Bundesländern hat“.
Der diesjährige Vorsitzende der AMK, Wolfram Günther (Bündnis 90/Die Grünen) in Sachsen. „Wir werden in der AMK jetzt intensiv weiterarbeiten, vernünftig und an Ergebnissen orientiert. Deshalb werden wir als Vorsitzland zu einer weiteren Amtschef-Konferenz und zu einer zusätzlichen Sonder-AMK im März einladen sowie zu einer weiteren Sonder-AMK, wenn die Trilog-Ergebnisse vorliegen. Wir brauchen eine wirksame, ambitionierte grüne Architektur in der Agrarförderung – für mehr Umwelt-, Klima-, Arten- und Tierschutz in und mit der Landwirtschaft.“
Alle anderen Bundesländer haben sich nach der AMK noch nicht mehr getraut, etwas zu vermelden.
Wurde etwas beschlossen?
Immerhin haben wohl alle Agrarminister die Dringlichkeit wegen des engen Zeitplans in Deutschland erkannt: Wolfram Günther hob hervor, „dass aufgrund des engen Zeitplans parallel zu den Trilog-Verhandlungen nationale Rechtstexte vorzubereiten sind.“ Wie auch immer weitere Beschlüsse ausfalle, sollen nach Abschlussprotokoll, „einzelne Bundesländer nicht unverhältnismäßig“ benachteiligt werden. Das heißt im Besonderen, dass die Mehrfamilienbetriebe in Ostdeutschland „chancengleich zu behandeln sind“. Für Junglandwirte werden zwei Prozent der Nationalen Obergrenze für die Direktzahlungen bereitgestellt. Bis zu 120 Hektar pro Betrieb werden 70 Euro pro Hektar ausbezahlt. Für weitere Prämien, wie die Umschichtung in die zweite Säule, Öko-Regelung, Weidetierprämie und vor allem Umverteilung auf die ersten Hektare gab es keine prozentualen oder absoluten Zahlenangaben. Was allerdings übrig bleibt solle weiterhin als jährlich entkoppelte Zahlung je förderfähige Fläche ausbezahlt werden. Die Bundesländer haben sich auch darauf geeinigt, dass der bürokratische Aufwand für Familienbetriebe werde das System der Zahlungsansprüche abgeschafft und das Kriterium „des echten Betriebsinhabers“ abgeschafft. Die Kleinerzeugerregelung bleibt erhalten, bekommt aber keine Befreiung von der Konditionalität. Dafür werden Kontrollen erleichtert. Dessen Definition richtet sich nach der Fläche und wird monetär auf 1.250 Euro pro Betrieb begrenzt.
Was wurde nicht beschlossen?
Wichtiger als die wenigen Beschlüsse sind die Liste und vor allem der Grund, was nicht beschlossen wurde. Till Backhaus (Sprecher der A-Länder mit sozialdemokratischen Agrarministerien) hatte nachts noch einmal betont: „Ohne eine Einigung auf den nationalen Strategieplan bis Ende dieses Jahres, wird am 01. Januar 2023 die Förderung der GAP für Deutschland nicht in Kraft treten. Dann gibt es kein Geld.“ Zuvor hatte Julia Klöckner darauf hingewiesen, dass die GAP-Pläne der Kommission schon seit 2018 vorliegen und Ende Dezember 2020 nationale Eckpunkte an die Länder versandt wurden. Im Grunde gab es nichts Neues.
Doch schief gegangen ist die AMK aus Interpretation von Bündnis 90/Die Grünen: „Wir wollen nur entscheiden, was zu entscheiden ist“, sagte Axel Vogel als Sprecher der G-Länder (grüne Agrarministerien). „Die Entscheidungen zu zentralen Instrumenten der GAP – Ökoregelungen, Umschichtung, Kappung und Umverteilung – in Deutschland können erst abschließend getroffen werden, wenn die Rahmensetzung auf Brüsseler Ebene abgeschlossen ist“, erklärte Vogel. Da die Triloge noch laufen, fehlten wichtige Eckdaten.
Dem aber widersprach Peter Hauk Sprecher der B-Länder (unionsgeführte Agrarministerien) als erster deutlich. Ob das Mindestbudget für die Eco-Schemes bei 20 oder 30 Prozent liegen oder ob die Biodiversitätsfläche drei oder fünf Prozent umfassen werden, werde in Brüssel entschieden. Die Grünen hätten nach Hauk bei feststehendem Agrarbudget sich für Deutschland positionieren können. Gegenüber der vergangenen Förderperiode mit dem Greening sind die Elemente der grünen Architektur bereits doppelt so groß ausgestattet. Für Backhaus breche sogar ein „ökologisches Zeitalter an“.
„Es braucht jetzt ein gemeinsames Handeln“, teilte Axel Vogel mit. „Ein `Weiter so´ in der Agrarpolitik können wir uns nicht leisten.“ Allerdings endete dieser Standpunkt in einer Totalverweigerung der Grünen. „So eine Konferenz habe ich bisher noch nicht erlebt“, sagte Hauk. Und weiter: „Das wir verschiedene Positionen haben ist logisch, aber dass man sich allen Positionen verweigert…“.
Warum wurde nichts beschlossen?
Das Warten auf die Trilog-Ergebnisse wird knapp am Zeitpunkt des Scheiterns sein. Die portugiesische Ratspräsidentschaft hat für den Block „grüne Architektur“ neue Märztermine festgelegt, weil die Verhandlungen so schwierig sind. Ein Ergebnis steht wohl erst im zweiten Quartal fest. Der deutsche Strategieplan muss mit fertigem Rechtsrahmen Kabinett, Bundestag und Bundesrat passieren. Mitte März stehen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt mit grünen Agrarministerien noch Landtagswahlen an. Offenbar könnte eine zu frühe Festlegung auf konkrete Vorgaben die Wiederwahl gefährden. Eine jeweils neue Koalition muss sich in den Ländern aber noch finden, um sich in die AMK einzubringen. Zusätzlich forderten Günther und Vogel Modellrechnungen, wie sich die Trilog-Ergebnisse auswirken könnten.
Nicht nur Hauk wähnte die AMK als Opfer des Vorwahlkampfes. Auch Axel Vogel gab zu, dass die „Länderwahlkämpfe Schatten auf die AMK und Pressekonferenz“ geworfen haben. Beste Voraussetzungen, um im akademischen Sinne von Dr. Colette Vogeler, mit dem sektoralen Parteihorizont, die eigentlichen Aufgaben und Zielpersonen aus den Augen zu verlieren.
Politik von der Straße?
Sowohl Klöckner als auch Hauk warfen den Ministern vor, Agrar- und Umweltthemen unterschiedlich zu behandeln. Die meisten Agrarminister verwalten auch das Thema Umwelt mit. Doch während sie auf der Umweltkonferenz konkrete Beschlüsse fassten, blieben sie in der AMK vage. Auch das passt zur Analyse von Dr. Vogeler.
Da ist es nicht von der Hand zu weisen, dass in den vergangenen Jahren zu viele Agrarier von der Agrarwende geträumt, aber die schrittweise Anpassung an die Realität auf den Betrieben verloren haben. Sachsens Minister Günther weist diese These von Herd-und-Hof.de zurück, gibt aber zu, dass der Ton in den letzten Jahren schärfer geworden sei. Die Fachminister seien gut informiert und diskutierten detailgenau. Erst die Trilog-Ergebnisse gäben den Ministern die Rechtssicherheit, nichts Falsches zu entscheiden. Zudem sei die AMK der einzige zentrale Ort, an dem über die Landwirtschaft aus Ost und West, aus Nord und Süd einstimmig entschieden wird.
Backhaus vermisst seit Jahren einen Bundesgeneralplan zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft und integriert die NGO in seine Landespolitik. Der Masterplan Landwirtschaft mit 168 Vorschlägen in Mecklenburg-Vorpommern sei aus einer Kooperation von Landwirtschaft, Akteuren des ländlichen Raumes, NGO und Kirchen entstanden. Axel Vogel sagte, er lasse sich nicht von NGO treiben, sondern habe, wie alle anderen Minister auch, die Interessen der Länder im Blick. „Es macht einen Unterschied, ob wir von 20 oder 30 Budgetanteil für die Eco-Schemes reden. Es ist noch nicht die große Agrarwende. Ich weiß auch nicht, ob wir das schaffen, aber wir wollen den möglichen Rahmen maximal ausschöpfen.“
Julia Klöckner zeigte sich verwundert: Zum einen verweigerten sich die Grünen den konkreten Zahlen, wollen die Triloge abwarten, stimmten aber der parallelen Arbeit an den Rechtstexten zu.
Was sonst noch scheiterte
Die aktuelle Umschichtung der Finanzmittel aus der ersten Säule der Direktzahlungen in die zweite Säule der Finanzierung des ländlichen Raumes liegt bei sechs Prozent. Die AMK hätte sich auf einen Prozentsatz für das zweite Übergangsjahr 2022 entscheiden – müssen. Das hat nichts mit der neuen GAP zu tun. Ein Beschluss wurde aber nicht gefasst. Backhaus plädierte für 7,5 Prozent mit Einsatz der zusätzlichen Mittel für das Insektenschutzprogramm, auch acht Prozent lagen auf dem Tisch. Heraus kam: Die Null. Politisch ist es jetzt dem Bundesministerium überlassen, einen Prozentsatz festzulegen. Julia Klöckner versprach, sich die verschiedenen Protokollerklärungen der Bundesländer anzuschauen und nicht hinter dem aktuellen Satz von sechs Prozent zurückzufallen.
Insektenschutz
Auch beim Insektenschutz hätte die AMK vor der Kabinettsbefassung am 10. Februar eine Entscheidung treffen können. In Berlin herrscht striktes sektorales Denken vor.
Für Bundesumweltministerin Svenja Schulze sollen strikte Reduzierungen in Schutzgebiete für Anwendungen beim Pflanzenschutz gelten, die Julia Klöckner so pauschal nicht hinnehmen will. Damit könnte ein Schutz von Streuobstwiesen vor der Kirschessigfliege wegfallen. Es geht auch generell um Natura-2000-Gebiete und gegen Kalamitäten im Wald. Der Schutz vor Schaderregern wird mittlerweile vermehrt als Schutz der Schutzgebiete angesehen. Zudem will Klöckner das Insektenschutzgesetz nicht ohne die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung zulassen. Vergangene Woche hieß es, das Insektenschutzgesetz solle am 10. Februar in das Bundeskabinett gehen. Das klingt nach Kompromiss.
Vor allem der Kessel im Umweltministerium wurde intensiv befeuert. In den vergangenen Jahren hat es mehrere Volksbegehren zur Rettung der Artenvielfalt gegeben, und jüngst hat das in Nordrhein-Westfalen eine erfolgreiche Halbzeitbilanz gefeiert. In Hannover ist es der Niedersächsische Weg, in Potsdam der zur Grünen Woche vorgestellte Brandenburger Weg, der den Landwirten mehr Gehör verschafft. Reduktion auf freiwilliger Basis mit Anreizprogrammen stehen auf den Agenden und Barbara Otte-Kinast, CDU-Landwirtschaftsministerin in Niedersachsen mit einem SPD-Ministerpräsidenten, fürchtet, dass der Niedersächsische Weg durch die Bundesumweltebene ausgehebelt wird. Da wäre die Sonder-Agrarministerkonferenz als Politgremium vor dem 10. Februar genau zur rechten Zeit für einen wichtigen Impuls da gewesen. Die Länderminister haben die Chance verfehlt. Keine Einigung. Klöckner zeigte sich dennoch für den kommenden Mittwoch optimistisch, dass die in den Bundesländern gefundenen Kooperationen zwischen Landwirten, Kommunen und Umweltschützern ein guter Weg wären: „Man können keine Produktionsstandorte so torpedieren, dass wir am Ende mehr importieren müssen.“
Wie geht es weiter?
Die Staatssekretäre sollen mit noch offenem Termin versuchen, ob sie weiter kommen. Ende März findet in Chemnitz die erste der beiden regulären AMK erneut im Videoformat statt. Sobald die Ergebnisse aus dem Trilog vorliegen soll eine neue Sondersitzung die offenen Zahlen einpflegen und den Strategieplan dem Parlamentarischen Verfahren zuleiten.
Roland Krieg
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