Züchtung gegen Claviceps
Landwirtschaft
Groß Lüsewitz erfolgreich gegen Mutterkorn
Seit der Mensch Nahrungsanbau betreibt, ist er der Gefahr durch Mykotoxine ausgesetzt. Die Bibel wusste bereits über Ergotismus zu berichten – Verzehr von Mutterkorn, ein Alkaloid des Pilzes Claviceps purpurea. An Mutterkornvergiftungen starben im Mittelalter Hunderttausende und Daten weisen darauf hin, dass auch die Giftstoffe von Fusarienpilzen schon in Europa des Mittelalters bis hin zur amerikanischen Kolonialzeit eine bedeutsame Krankheitsursache waren.
Roggen war das vorherrschende Brotgetreide und konnte bei Missernten bis zu einem Viertel aus Mutterkörnern bestehen, weiß Dr. G. Engelhardt von der Bayrischen Landesanstalt für Ernährung. Vergiftungen äußern sich anfänglich durch Kribbeln der Haut. Später werden ganze Gliedmaßen gefühllos und sterben ab. Die Menschen nannten es das „Antoniusfeuer“.
Roggen besonders anfällig
Das Roggen besonders anfällig für den Pilz ist, liegt daran, dass er sich nicht selbst befruchten kann. Deshalb spreizt er während der Blütezeit seine Ährchen weit auseinander, um fremde Pollen aufzufangen. Das bietet dem Pilz Claviceps gute Eintrittsbedingungen, die Blüten zu besiedeln und Mutterkörner heranreifen zu lassen. Insbesondere in feuchten Jahren, wenn wenig Pollen zur Verfügung steht, steigt der Infektionsdruck. Die Blüten müssen länger offen stehen, stellen die Wissenschaftler an der Bundesanstalt für Züchtungsforschung (BAZ) an Kulturpflanzen in Groß Lüsewitz in Mecklenburg-Vorpommern fest. Ihnen ist es aber jetzt gelungen, einen Abschnitt im Erbgut des Roggen zu identifizieren, der ihn toleranter gegen Mutterkorn macht.
Pollenschüttungsvermögen
Je mehr Pollen gebildet wird, desto eher können die Blüten befruchtet werden und desto geringer sind die Entwicklungschancen für Claviceps. Daher spielt das Pollenschüttungsvermögen der Pflanze für Dr. Bernd Hackauf vom BAZ eine wesentliche Rolle.
Die Fähigkeit, viel Pollen zu bilden, wird durch Gene bestimmt, die in exotischen Roggen vorhanden sind. Die sind aber nicht leicht zu erkennen, so dass am BAZ ein indirektes Diagnoseverfahren entwickelt werden musste. Eines der Gene, Rfp1, wurde mit Genom-Markern so genau abgesteckt, dass andere nachteilig wirkende Gene nicht mit erfasst werden mussten.
„Unser Ziel war es, molekulare Diagnosemarker zu entwickeln, die uns im riesigen Genom des Roggen als eine Art Wegweiser dienen können. Mit solchen Markern kann man in kurzer Zeit unter vielen tausend Pflanzen ganz gezielt jene aufspüren, die das erwünschte Merkmal – gute Pollenausschüttung – von den Kreuzungseltern geerbt haben“, erklärt Züchtungsforscher Dr. Hackauf. Mit denen kann man dann weiterzüchten.
Die Reisschablone
Als Schablone für die Fahndung, haben die Groß Lüsewitzer Informationen aus dem vollständig entschlüsselten Reisgenom genutzt. Damit suchten sie nach den entsprechenden DNS-Segmenten im Roggen. Die Fehlerquote liegt bei weniger als 0,005 Prozent. Institutsleiter Dr. Peter Wehling: „Die entschlüsselten Reis-Genomdaten ermöglichen es, wertvolle Einblicke auch in das Erbgut von verwandten Pflanzen zu gewinnen. Dadurch wird es nun auch für wirtschaftlich kleinere Fruchtarten wie dem Roggen möglich, molekulare Werkzeuge für den Nachweis wertvoller Merkmalsgene zu entwickeln.“
roRo; Foto: BAZ, Groß Lüsewitz