Zukunftswerkstatt „Stabile Landbewirtschaftung“

Landwirtschaft

Wohin geht die Agrarreise?

Zum 4. Mal haben „agrarzeitung“ und „Die Zeit“ am Dienstag in Berlin zum Zukunftsdialog für die Bereiche Agrar und Ernährung geladen. Vor dem Hintergrund steigender Weltbevölkerung mit veränderten Verzehrgewohnheiten sowie knapper werdender Fläche, kommt niemand mehr ohne das Wort Effizienz aus.

Stabile Systeme

Bei nur noch 2.000 qm Ackerfläche pro Kopf spricht Johannes Röring, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV), von hoher Nachhaltigkeit gegenüber den anvertrauten Ressourcen, aber auch von einem ethischen Problem, auf Ertrag verzichten zu müssen, wenn Betriebsmittel weniger eingesetzt werden müssten.

Martin Hofstetter von Greenpeace erinnert das an die Erzeugungsschlachten der 80er und 90er Jahre und schließt, dass die Ertragsmaximierung zur gegenwärtigen Situation der Umweltkonflikte geführt habe. Für ihn steht die ökologische Effizienz im Vordergrund, über die sich die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) und der WLV mit ihren Nachhaltigkeitspapieren ausgesprochen haben. Das erwartet Hofstetter auch von Deutschen Bauernverband.

Gute Fachliche Praxis

Dessen Generalsekretär Bernhard Krüsken sieht keinen Widerspruch. Setzen Landwirte zu viele billige Pflanzenschutzmittel ein, erhöhen sie die Resistenzbildung und würden mit steigenden Ausgaben bestraft. Selbst enge wirtschaftliche Fruchtfolgen erzielten lediglich in den ersten Jahren eine höhere Rendite. Wer seine betrieblichen Einkommen langfristig und generationenübergreifend nach Guter Fachlicher Praxis ausübt, käme auf stabile Systeme in der Landbewirtschaftung.

Diese stabilen Systeme sind Dr. Felix Prinz von Löwenstein vom Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft aber nicht genug. Es gebe zu viel Spielraum, Systeme mit nicht nachhaltigen Betriebsmitteln wie mineralischem Dünger und schwer abbaubaren Pflanzenschutzmittel aufrecht zu erhalten. Löwenstein spricht sich für eine ökonomische Neubewertung aus. Die Aneinanderreihung von Deckungsbeiträgen reiche nicht. Vorgeschaltet werden müsste eine Systemforschung, die nicht mehr nur den Tunnelblick Ertragsmaximierung im Fokus habe.

Innovationen

Innovation gilt als Schlüssel für die Weiterentwicklung der Landwirtschaft. Gerade in der letzten Zeit haben sich neue Innovationen in den Vordergrund gespielt, die Lösungen versprechen. Für den SPD-Politiker aus dem Bundestagsausschuss für Landwirtschaft Reiner Spiering  ist das technologische Potenzial noch lange nicht ausgereift. Big Data schone die Ressourcen und ermögliche vollkommen neue Arbeitstechniken. Damit aber nicht die Agrarindustrie den alleinigen Nutzen abschöpft, spricht er sich für eine staatliche Plattform des Datenhafens aus.

Für Stephanie Franck, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter (BDP), sind aber viele Missverstände vorhanden. Auch wenn die neuen Züchtungstechniken einfache Lösungen versprechen, gibt es sie nicht. Krankheitsresistenzen mit nur einem veränderten Gen entgegenwirken, widerspreche dem Züchterverständnis. Meist sind mehrere Gene an dem Geschehen komplex beteiligt. Der Pilz UG99, ein besonders aggressiver Vertreter des längst überwunden geglaubten Schwarzrostes durchbricht bislang alle neuen Resistenzen und hat 2015 Sizilien erreicht. Gegen ihn gibt es keine einfache „Genlösung“, so Franck. Die Gefahr drohe eher durch Einschränkung des Zugangs zu genetischen Ressourcen und Schutz des geistigen Eigentums, so dass die Züchter sich weltweit nicht bei der Arbeit an Resistenzen austauschen können. Hier müsse die Politik in „vorausschauende Verantwortung treten“.

Lösungen vermittelten zwischen den ökologischen und ökonomischen Effizienzen, sagte Saori Dubourg aus dem Vorstand der BASF. Ihrer Ansicht nach werde sich Europa zu einer großen Exportregion für Agrarprodukte entwickeln. China hingegen werde Nettoimporteur. Megatrends, wie das wöchentliche Hühnchen für die Armen zum Aufstieg in die Mittelschicht oder die personalisierte Ernährung in den Industrieländern ließen sich nicht in ein rein ökologisches oder konventionelles Korsett zwängen.

Die Rolle der Politik

Der Disput hat sich mal wieder als typisch deutsch herausgestellt. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt weist der Politik eine vermittelnde Rolle zu. Beispielsweise Tierwohl: Die Diskussion „verlaufe zwischen dem Prenzlauer Berg und der Realität“. Schmidt kritisierte die Tierschützer, die vom staatlichen Ansatz Abstand genommen haben: „Ich mag keine Selbstgerechtigkeit!“. Sie kritisierten die vorgesehene Vergrößerung der Haltungsfläche bei Schweinen als ungenügend, kämen mit ihrem vom Ministerium unterstützten eigenen Label selbst nicht voran. Langfristig werde die Nutztierstrategie den Landwirten Investitionssicherheit geben. Schmidt kündigte in den verbleibenden Wochen bis zur Sommerpause noch einen Milch-, einen Exportbericht und dann den ersten Entwurf der Nutztierstrategie an. Den Verbraucher bezeichnete Schmidt als hedonistisch, der für seine Genüsse den Mehrwert nicht bezahlen wolle. Mit dem Schulfach Ernährung will er der neuen Generation die Wertschätzung von Lebensmitteln und Landwirtschaft vermitteln. Schmidt bewarb sich um eine weitere Amtszeit im Ministerium und will an dem Ressortzuschnitt keine Veränderungen vornehmen. Klima und Umweltschutz sei die nächste große Aufgabe. Dafür könne die Bundesregierung auch bei einem Ministerium für Landwirtschaft und dem ländlichen Raum und einem für die Umwelt politische Gemeinsamkeiten entwickeln.

Roland Krieg

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