Zur Zukunft ländlicher Räume

Landwirtschaft

Landnutzung NO-Deutschland: Neues Buch der BBAW

Die Sorge um das Land ist nicht neu. Bereits 1788 veröffentlichte Rudolf Zacharias Becker die Schrift „Not- und Hilfsbüchlein für Bauersleute“. Sein Anliegen war, der auf dem Land lebenden Bevölkerung zur Modernisierung zu verhelfen. Auftraggeber: Die Berliner Königliche Wissenschaftliche Akademie.
Reinhard Hüttl, Oliver Bens, Tobias Plieninger und Stephan Beetz aus dem Nachfolger der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) haben am Mittwoch in Potsdam ihr neues Buch „Zur Zukunft ländlicher Räume“ vorgestellt. In der Tradition Zacharias.

Peripherisierung droht
Gerade im Nordosten Deutschlands, auf den sich das Buch bezieht, weist einen deutlichen demographischen Wandel auf, muss sich den neuen Herausforderungen im Anbau nachwachsender Rohstoffe stellen und für die Vielzahl der touristischen Angebote eine attraktive Landschaft erhalten. Unmerklich erobern immer mehr nicht landwirtschaftliche Unternehmen den ländlichen Raum.
Doch der ist schon immer dynamischen Prozessen unterworfen gewesen, wie die Autoren in einem Rückblick aufzeigen. Die Uckermark und die Ueckermünder Heide galten lange als Kornkammer Berlins. Mit den Be- und Entwässerungsmaßnahmen haben die Menschen deutliche Spuren hinterlassen, die mit abgesunkenen Grundwasserspiegeln bis heute nachwirken. Trotz Entwaldung haben die großflächigen aristokratischen Jagdwälder der Schorfheide auch den Sozialismus überdauerten.
Die heutigen Herausforderungen sind jedoch auch kommunaler Natur. Viele Menschen engagieren sich zwar in Vereinen und Netzwerken, doch den Weg in den Kommunen oder die Regionalentwicklung finden nur wenige. Meist weisen die Akteursnetzwerke nur lokalen Bezug auf. Die Querschnittssaufgabe „Entwicklung ländlicher Räume“ werde auch auf landespolitischer Ebene zu wenig bedacht, weil die beteiligten Ministerien nur mangelhaft zusammenarbeiten, so die Autoren. Sie malen eine düstere Prognose. Sinkende Ausbildung, weniger Breitensport und soziale Dienste seien erst der Anfang von deutlicher werdenden Einschnitten im Öffentlichen Personennahverkehr, der Schulinfrastruktur und der ambulanten Gesundheitsversorgung. Gerade der Rückbau der sozialen Infrastrukturen senkt die Attraktivität des ländlichen Raums. Er koppelt sich von dominanten und gesellschaftlichen Prozessen ab. Es droht die Peripherisierung.

Mehr als Landwirtschaft
Das Buch wartet auch mit Handlungsfeldern der Landnutzung auf. Verbesserung der Biomassenutzung, Potenziale von Pflanzen mit neuen Eigenschaften, Produktion der Tierhaltung an das Naturraumpotenzial anpassen, Umbau der Infrastruktur und Entwicklung von Märkten für ökologische Leistungen.
Die besonderen Stärken des Buchs allerdings liegen in den grundlegenden Gedanken und dem Beitrag der Wissenschaft: „Die Agrarwissenschaften besaßen lange Zeit das Primat der Erforschung ländlicher Räume.“ Lange Zeit prägte die bäuerliche Lebensweise und deren Wirtschaftsverfassung die Eigenart des ländlichen Raums. Die Themen Klimawandel, Biokonsum oder Peripherisierung jedoch läuten die neue interdisziplinäre Forschung ein.
So macht nicht eine „Idee“ oder eine „Erfindung“ eine Innovation aus, sondern deren Entwicklung bis hin zur Nutzung und Verbreitung. Die Innovationen im ländlichen Raum sind nicht immer nur marktorientiert und hoch technisiert. Dennoch ist die Kleinteiligkeit der Region und die nachbarschaftliche Vertrauensbasis ein Standortvorteil gegenüber der Stadt. Innovationen können einfacher gehandhabt werden. In der Historie haben oft von außen kommende Akteure neue Strategien entwickelt: Roggen, das Brotgetreide Brandenburgs, haben die Siedler in der Zeit des Landausbaus angepflanzt. Im 17. Jahrhundert brachten die Holländer die Milchwirtschaft, die Hugenotten den Tabak und die Kartoffeln in die Mark. Sie verbreiteten ihre Lebensstile und schafften neue Erwerbsmöglichkeiten.
Die heutigen Netzwerke sind jedoch nach Ansicht der Autoren kaum geeignet, vergleichbare Entwicklungen anzustoßen und zu verbreiten. Dafür braucht es neue Governance-Formen.
Konflikte zwischen Großinvestoren, Raumpionieren und Rückkehrern gehen oft auf unterschiedliche Ziele und Werte zurück. Wer also seine Ansprüche diskursiv rechtfertigen kann, der verfügt über „eine moralische Berechtigung zu einer bestimmten Landnutzung“. Neue Governance-Formen müssen daher kooperieren und moderieren, weil keine konkreten Ziele der Landnutzung mehr festgelegt werden können. Sie begleiten den „Aushandlungsprozess“.
Voraussetzung ist dafür, dass die regionale Handlungsautonomie gestärkt wird. Entsprechende Institutionen fehlen allerdings in den ländlichen Räumen zu oft. Diese Ziele sind genauso entscheidend für den ländlichen Raum, wie die Frage nach der angebauten Feldkultur.

Lesestoff:
Reinhard Hüttl, Oliver Bens, Tobias Plieninger und Stephan Beetz: Zur Zukunft ländlicher Räume. Entwicklungen und Innovationen in peripheren Regionen Nordostdeutschlands. Akademie Verlag 2008. ISBN 978-3-05-004485-9

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