Zweifel an der Liberalisierung

Landwirtschaft

Schmidt will keine grenzenlose Landwirtschaft

Die Menschen essen nicht mehr, was auf den Teller kommt. Auf dem Zukunftsdialog Agrar & Ernährung der Zeitschrift „Die Zeit“ philosophierte Bundeslandwirtschafsminister Christian Schmidt in der letzten Woche vor dem Hintergrund der dauerhaft niedrigen Agrarpreise über die „Mitte der Gesellschaft“, wo die Landwirte sich so gerne angekommen fühlen.

Vor einigen Jahren freuten sich die Landwirte und deren Verbände noch, dass alle über die Landwirtschaft reden und der Berufsstand nicht mehr als Randnotiz wahrgenommen wird. Bis dahin unterlag die Landwirtschaft „statuarischen Gegebenheiten“. Die Landwirte haben Erträge produziert und sich weniger um die Verwertung gekümmert. Die Bundesbürger haben gegessen, was auf den Tisch kam. Der Ire Ray Mac Sharry kürzte zur Reduzierung der Überschussproduktion in seiner nach ihm benannten Reform 1992 die Interventionspreise und führte die Flächenstilllegung ein. Als Ausgleich für niedrige Agrarpreise bekamen die Landwirte eine Ausgleichszahlung. Die aktuelle Deliberalisierung der Agrarmärkte führt zur direkten Bindung an den Weltmarktpreis, der die höheren Produktionskosten der deutschen und europäischen Landwirte ohne Signale der Entspannung dauerhaft unterminiert.

„Haben wir alles getan, dass sich die Landwirte nach Auflösen des Außenschutzes dem Weltmarkt öffnen können“, fragte Christian Schmidt und gab gleich selbst die Antwort. „Ich glaube nicht!“. Schmidt stellte noch eine zweite Frage an die Verbands- und Industrievertreter: „Wie erhalten wir heute überhaupt den ländlichen Raum?“ Auch hier gibt Schmidt ein Signal für die Antwort: „Will ich die Landwirtschaft als Teil der Entwicklung der ländlichen Räume beibehalten?“

Wenn Schmidt die Landwirtschaft in die Mitte der Gesellschaft rückt, dann will er nicht nur die Landwirtschaft vom Rand in die gesellschaftliche Teilhabe rücken. Schmidt will die jüngsten Errungenschaften der Landwirtschaft beibehalten und nicht gleich wieder mit den niedrigen Preisen über Bord werfen. Tierwohl, Umweltschutz und bäuerliche Lebensweise will er sichern. Mac Sharry mit den Ansprüchen der Gesellschaft „versöhnen“ wie er sagt.

Schmidt scheint es satt zu haben, immer wieder die Schuldfrage nach der aktuellen Situation zu stellen; Schmidt scheint es satt zu haben, trotz Milchgipfel Ende Mai, Akteure in der Wertschöpfungskette an einen Tisch zu bringen, die derzeit alles andere als Marktsolidarität im Kopf haben. Hinter Schmidts Auftritt steckte eine tiefe Einsicht: „Mit reinen Marktkräften wird die Bereitschaft der Verbraucher, mehr zu bezahlen, nicht abgeholt werden!“ Wer diesen Satz noch nicht verstanden hatte, dem schickte er noch einen weiteren hinterher: „Marktwirtschaft ist nicht so zu verstehen, dass es keine flankierenden Maßnahmen gibt.“ Schmidt will keinen „Kohlepfennig“ für die Landwirtschaft, aber einen „Vertrag in der Gesellschaft“ für die „Mitte der Gesellschaft“. Da zweifelt politische Erfahrung an der Brancheninitiative Tierwohl, da zweifelt die ordnende Hand der Politik an der Freiwilligkeit der liberalisierten Branche – da will einer die entfesselten Kräfte des Agrarmarktes bändigen. Da steht einer „in der Mitte der Gesellschaft“ und braucht Unterstützung.

Roland Krieg; Foto: roRo (Archiv)

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