Zweinutzungshuhn in Brandenburg
Landwirtschaft
„ei care“ – Die Suche nach dem Bio-Huhn
Die Ausgangslage ist klar. Im Jahr 1800 hat ein Hunh
rund 50 Eier im Jahr gelegt, 1960 waren es schon 150 und die heutigen
Legehennen kommen auf rund 300 Eier im Jahr. Hinter dem züchterischen
Fortschritt steht ein ganz besonders Schicksal der Tiere. Die Legehennen haben
sich früher in der Mauser für eine zweite und dritte Legeperiode regenerieren
können, die „moderne Legehybride“ ist ein Stoffwechselumsatztyp, wandelt das
Futter in Ei um und hält sich gerade noch selbst am Leben. Nach einer
Legeperiode ist das Huhn erschöpft und scheidet aus der Produktion aus. Die
Masttiere sind so auf Fleischansatz spezialisiert, dass sie ihr Gewicht kaum
noch tragen können und drei Viertel des
Tages ruhen müssen. Im Verlauf der kurzen Mast erleiden sie Skelettschäden.
Fleisch- und Legeleistung sind genetisch negativ
korreliert. Wird das eine züchterisch bearbeitet, dann verliert das Tier die
Maximalpotenz für den anderen Markt. Da jedoch auch bei Hühnern die Nachkommen
zur Hälfte weiblich und zur Hälfte männlich sind, haben die männlichen Tiere
bei den Legespezialisten keine Chance mehr. Sie legen keine Eier und taugen
nicht für die Mast. Deshalb werden in Deutschland rund 40 Millionen männliche
Küken nach dem Schlüpfen geschreddert, vergast oder als Futter an Zoos
verkauft. Erlaubt ist das, weil der Begriff „unwirtschaftlich“ eine Ausnahme
vom Tierschutzgesetz erlaubt, nachdem einem Tier kein Leid zugefügt werden
darf.
Bei den 40 Millionen Küken sind auch zwei Millionen
Öko-Küken dabei, denn beide Wirtschaftsformen nutzen die gleichen Zuchttiere
für die Eierproduktion und unterliegen den gleichen Zwängen. Es gibt keine
anderen Tiere, ergänzte Carlo Horn, Fachberater bei Naturland, am Dienstagabend
in Berlin auf einem Themenabend der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau
Berlin-Brandenburg (FÖL).
Das Zweinutzungshuhn
Dr. Katharina Reuter, Agrarwissenschaftlerin und
Leiterin des Vierfelderhofes in Berlin-Gatow, zählte die Alternativen auf, mit
denen das Kükentöten beendet werden kann.
Demeter und das Max-Rubner-Institut versuchen das
Stubenküken zu optimieren. Da die kleinsten Mastküken mit rund 200 Gramm kaum
eine Vermarktungschance haben, wird hier nach alter Tradition verfahren, bei
dem in Norddeutschland männliche Küken bis zu sechs wochen lang „in der Stube“
gemästet wurden. Offenbar fallen diese Masttiere aber beim Verbraucher duch und
finden nur in der Nische einen Absatz, ergänte Horn.
Die Universität Leipzig setzt auf eine
Geschlechtererkennung noch im Ei. Doch ist das Verfahren noch nicht praxisreif.
Bleibt das Zweinutzungshun, dessen weibliche Tiere als
Legehenne genug Eier legen und dessen männliche Tiere ordentliche
Masteigenschaften aufweisen, so dass beide Produktionsrichtungen wirtschaftlich
sind. Dazu eignen sich viele Hühnerrassen, wie die französischen Les Bleues1),
die Les Marans vom Vierfelderhof mit ihren rotbraunen Eiern (Foto), die
tschechische Hybridlinie Sussex, mit der Demeter Schweiz arbeitet, das
Vorkwerkhuhn oder das Lakenfelder Huhn.
An den Zweinutzungshühnern ist nicht nur die Ökobranche
dran. Selbst große Firmen wie Lohmann suchen mit dem Schweizer Kombihuhn und
zusammen mit Demeter beim LB-plu S eine Legehybride, die auch für die Mast
wirtschaftlich ist. Solche Lösungen sind nach Dr. Reuter auf den Massenmarkt
ausgerichtet, Stubenküken und die Nutzung alter Rassen orintieren sich derzeit
auf eine Marktnische oder an bäuerliche Konzepte.
Ökologische Tierzucht
Das Zweinutzngshuhn steht als Symbol für die
ökologische Tierzucht, die selbst in der Biobranche nur stiefmütterlich
behandelt wird2). Im Eierbereich stallen die 148 Ökohennenhalter mit
ihren 2,2 Millionen Legehennenplätzen in Deutschland „natürlich“ die gleichen
Tiere auf, wie die Berufskollegen aus dem konventionellen Bereich. Seit den
1950er Jahren mit dem Beginn der Spezialisierung auf Legeleistung, haben sich
die industriellen Strukturen ausgebildet, wonach heute Lohmann und Hendrix aus
den Niederlanden 90 Prozent des
Weltgeflügelmarktes bedienen. Diese Firmen halten die Ausgangsgenetik unter
Verschluss, weswegen die Ökozüchter gar kein anderes Genmaterial zur Verfügung
haben, erläuterte Carlo Horn. Würden die Züchter mit den Legehybriden
weiterzüchten, dann kommen in der Folgegeneration alle genetischen
Eigenschaften außer der Legeleistung wieder zum Vorschein.
Daher verlaufen alle Versuche mit Zweinutzungshühnern
innerhalb von Kleinstbeständen. Die Züchter sind bei der Weiterentwicklung der
Hühnerrassen auf frische Hähne aus anderen Regionen angewiesen, um
Vollgeschwisteanpaarungen zu vermeiden. Das Thema Zweinutzungshuhn steht bei
den Bio- und Freilandverbänden nicht an der Spitze der Tagesordnung, räumt Dr.
Reuter ein. Im Jahr 2009 glaubte der damalige Bioland-Präsident Thomas Dosch,
in drei bis fünf Jahren sei ein wirtschaftliches Zweinutzungshuhn für die
Biobranche verfügbar. Das Halbzeitfazit von Dr. Reuter fällt heute nüchterner
aus. In zehn Jahren könnte eine konzertierte Aktion das echte Bio-Huhn
hervorbringen.
„ei care“ – Vom Betriebs- zum Pilotprojekt?
„ei care“ heißt das Brandenburger Projekt für das
Zweinutzungshuhn Les Bleues und wurde auf der diesjährigen BioFach mit dem
Preis für die beste Produktneuheit gekürt. Die Tiere leben in kleineren Herden,
haben Auslauf und bekommen regionales Getreide als Futter. Es gibt derzeit zwar
nur vier Herden in Brandenburg, aber das Besondere an dem Projekt ist die
Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette.
Die Les Bleues stehen nicht auf spezialisierten
Legehennenbetrieben, sondern bilden einen neuen Betriebszweig auf
Familienbetrieben. Die Hühner mit den blauen Füßen nutzen ein stillgelegtes
Gewächshaus auf dem Gartenbaubetrieb Lemke bei Wittstock. Anne Reinsberg bei
Fürstenwalde macht „nebenbei“ noch Ackerbau und hält Schafe. Entscheidend ist
die Beteiligung des Großhändlers „Terra Naturkost“ in Berlin, der für die
Vermarktung sorgt. In mehr als 35 Berliner Naturkostgeschäften und von
Neustrelitz bis Königs-Wusterhausen sowie in Dessau und Cottbus können
Verbraucher Eier und Gefügelfleisch der Les Bleues kaufen. Nach Meinrad
Schmitt, Geschäftsführer von Terra Naturkost, können die Betriebe derzeit
gerade 60 Prozent der Nachfrage abdecken.
Es ist aber noch ein weiter Weg, den Bio-Eierbereich
auf Zweinutzungshühner umzustellen. Das Ei kostet wohlwollende 49 Cent, ein
Kilo Fleisch 17 Euro.Eine handvoll Betriebe mit wenigen Tausend Hühnern und nur
wenigen Verbrauchern, die das Thema kennen und den Geldbeutel dafür haben
reichen nicht aus, um eine ganze Branche zu verwandeln. Nach Carlo Horn sind
die Leistungsergbenisse aus den verschiedenen Modellvorhaben wie 250 Eier pro
Jahr im Betriebsalltag noch nicht erreicht. Zudem müssen die Bauern einiges an
Elan mitbringen. Eine Bio-Legehenne kostet nach Horn acht Euro, eine Les Bleues
15 Euro, während eine normales Huhn schon für 2,20 Euro aufgestallt werden
kann. Diese Preise müssen sich an der Ladentheke wieder einspielen lassen.
Der Fachberater beklagt, dass für HighTech-Lösungen wie
die Geschlechtererkennung im Ei Forschungsgelder bereit stehen, „echte
Innovationen“ wie das Zweinutzungshuhn aber ausschließlich auf individuellem
Pioniergeist fußen müssen. Es fehle ein großes Modellprojekt, dessen Ergebnisse
anschließend „in die Fläche“ übertragen werden können. Mit sinkenden Kosten und
verbraucherfreundlichen Preisen könnten Tierschutz, bäuerliche Betriebskonzepte
und Verbraucherwünsche zusammengebracht werden.
Wenn „ei care“ in Berlin und Brandeburg zum Erfolg wird, hat die Branche auch ein praxistaugliches Modellprojekt.
Lesestoff:
1) Diskussion
Zweinutzungshuhn auf der Biofach 2010
2) Engpass ökologische
Tierzucht
Das Gut Herrmansdorf hat zum neuen Huhn auch gleich
eine neue Finanzierungsmöglichkeit abseits von Banken aufgebaut und wurde mit
dem Förderpreis Ökologischer Landbau 2012 ausgezeichnet
Roland Krieg (Text und Fotos)